Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 30. Sonntag im Lesejahr C 2013 (1 Timotheus)

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27. Oktober 2013 - Kleiner Michel (St. Ansgar), Hamburg

1. Das Evangelium nicht instrumentalisieren

  • Vor Gott soll sich niemand rühmen, besser zu sein, als seine Mitmenschen. Das Beispiel vom selbstgerechten Pharisäer und dem demütigen Zöllner macht das ganz deutlich. Jesus lässt keinen Zweifel daran, dass es meine Beziehung nicht nur zu den Mitmenschen, sondern auch zu Gott zerstört, wenn ich meine, vor Gott ein Dankgebet sprechen zu können, worin ich mich rühme "nicht zu sein wie...". Sich vor Gott der eigenen Überlegenheit über andere zu rühmen ist absurd.
  • Schräg würde dieses Argument aber, wenn etwa das heutige Evangelium von denen gebraucht würde, die in den Leitungsfunktionen sitzen, und wenn die Inhaber von Machtfunktionen damit vor Kritik geschützt werden sollten, dass darauf verwiesen wird: "Wer sich selbst erhöht, wird erniedrigt, wer sich aber selbst erniedrigt, wird erhöht werden", deswegen dürfe man diesen Wirtschaftsführer, Politiker oder Bischof nicht so scharf kritisieren. Das wäre das Evangelium auf den Kopf gestellt.
    Selbstgerechtigkeit und Kritik hängen immer auch von Symmetrie oder Asymmetrie der Macht ab. Da wird etwa weitere Kritik moralisch diskreditiert mit dem Argument, man dürfe jemand, der auf dem Boden liegt, nicht weiter treten. Das ist natürlich richtig. Es ist sogar immer richtig. Eigentlich soll man nie andere Menschen treten. Aber wenn jemand amtierend auf dem Bischofsitz sitzt, dann liegt er nicht am Boden. Nachfragen, wenn ein Amtsinhaber seine Schuldvorwürfe relativiert oder zurückweist, ist etwas anderes als nachtreten.
  • Sie werden bemerkt haben, dass ich auf die Kritik der letzten Wochen am Limburger Bischof Bezug nehme. Da gibt es sicher viel zu klären und ich freue mich sehr, dass der Papst darauf verzichtet hat, alle Aufklärung durch eine Entscheidung von oben ad absurdum zu führen. Aber zumindest in der Frage, ob jemand der zweifelsfrei einen Meineid geleistet und Journalisten damit fälschlich der Falschaussage beschuldigt hat, darf ich im vorliegenden eine Meinung haben und diese äußern, solange dieser offensichtliche Meineid relativiert und geleugnet wird. Vertuschen, verleugnen und verschweigen von Fehlverhalten in verantwortlichen Positionen kann sich nicht auf das Evangelium berufen.

2. Ein Testament des Apostels Paulus

  • Zu dem Thema lohnt der Blick auf den 'Zweiten Brief an Timotheus', aus dessen Abschluss die heutige neutestamentliche Lesung genommen ist. Die moderne Bibelwissenschaft ist sich weitestgehend sicher, dass der Brief nicht von Paulus selbst stammt, sondern in der Tradition seiner Briefe eine Generation später geschrieben wurde. Der Verfasser wählt die Fiktion eines Briefes des Heiligen Paulus an seinen Mitarbeiter, den Bischof Timotheus. Der Brief endet wie ein Testament. Wir hören also eine Lesung, die eine spätere Generation das Vermächtnis des Paulus an einen Bischof mithören lässt.
  • Ich gehe davon aus, dass so ein Text einen Anlass hat. Da hat sich jemand aus gutem Grund entschieden, zur Fiktion eines Abschiedsbriefes des Paulus zu greifen, weil er überzeugt war, dadurch der Kirche seiner Zeit etwas Wesentliches im Sinne des Paulus sagen zu können. Wir wissen, dass diese Texte sehr bald in den Gottesdiensten zusammen mit den echten Paulusbriefen verlesen wurde; die frühe Kirche teilte also offensichtlich die Meinung, dass hier etwas Wesentliches authentisch gesagt werde.
  • Es ist nahe liegend anzunehmen, dass der Anlass des Briefes die Stellung und das Verhalten von Bischöfen zur Zeit der Abfassung des Briefes gewesen ist. Der Verfasser hat sich dann gefragt, was Paulus wohl diesem Bischof gesagt hätte, der hier konkret vor Augen sein mag. Gerade wenn im Zweiten Timotheusbrief Paulus auf sein eigenes Lebensende und auf seine Hoffnung verweist, dann wird sozusagen vom Himmel her Paulus für die Gemeinde der Gegenwart des Briefes lebendig.
    Genau betrachtet geschieht genau das, wenn wir heute eine solche Lesung im Gottesdienst verkünden und hören. So sehr wir durch Jahrhunderte getrennt sind, so sehr ist der Apostel Paulus - mit den anderen biblischen Autoren - vom Himmel her gegenwärtig und legt hier und heute in diesem Gottesdienst mit seinem Leben Zeugnis ab für das Evangelium.

3. Limburg - Aktuelle Anwendungen

  • Im ganzen Zweiten Timotheusbrief wird deutlich: Die erste Aufgabe eines Bischofs ist, den Glauben treu zu verkünden. Es ist der apostolische Glauben, insofern er nicht selbst ausgedacht ist, sondern treu das bedenkt und verkündet, wozu Christus die Apostel berufen und gesandt hat. Nicht Nachplappern ist die Aufgabe des Bischofs, sondern, dass er sich die biblische Botschaft aneignet, die Zeichen seiner eigenen Zeit und Kultur bedenkt und so das Evangelium neu verkündet.
    In der Aufregung, die der Limburger Bischof in den letzten Monaten durch immer neue Angaben und Zahlen in Bezug auf die Bauarbeiten auf dem Limburger Domberg verursacht hat, ist untergegangen, warum er vor gut fünf Jahren zum Bischof gewählt und ernannt wurde: Weil er ein guter Theologe ist, der auf wichtige Fragen, wie der Glaube heute verkündet werden sollte, wegweisende Antworten gefunden hat. Es wäre mehr als bedauerlich, wenn diese Gabe nicht in guter Weise auch künftig in der Kirche Frucht bringen könnte.
  • In der Weise, wie das fiktive Testament im Timotheusbrief jedoch von Paulus und dem Bischof Thimotheus spricht, formulieren diese Texte auch ein Modell davon, wie ein Bischof nicht nur mit seiner Lehre, sondern auch in seinem Verhalten Zeugnis geben soll. Der 'Paulus' der Lesung kann im Rückblick auf sein Leben sagen, dass er "den Lauf vollendet, die Treue gehalten" habe, ohne damit zu leugnen, dass er ein sündiger Mensch ist und - wie andere Apostel auch - schwere Fehler gemacht hat. Man schaue nur auf die vielen Beispiele über das Verhalten des Petrus, die sich in den Evangelien finden, die seine Rolle als Sprecher der Apostel nicht in Frage stellen. Die Bibel vertuscht, leugnet und verschweigt das nicht, sie relativiert es auch nicht, sondern stellt Aposteln wie Pharisäern das Beispiel des Zöllners vor Augen: "Gott, sei mir Sünder gnädig!"
  • Wann und warum ein konkreter Bischof sein Amt, das Evangelium in seinem Bistum zu verkünden, nicht mehr wahrnehmen kann, ist sicher nicht so leicht zu sagen. Mir scheint, dass Katholiken damit leben könnten, wenn ihr Bischof betrunken bei Rot über die Ampel gefahren wäre (was natürlich ohne Zweifel ein äußerst tadelnswertes Verhalten ist!). Schwierig wird es, wo sich der Eindruck verfestigt, dass die Wahrheit verbogen wird, selbst in Banalitäten wie der Frage, ob man erster Klasse oder Business-Class im Flugzeug gesessen habe und ob im Innenhofteich des Hauses billige Goldfische oder teurere japanische Karpfen geschwommen hätten. Es sind solche Fragwürdigkeiten im Kleinen wie eben auch im Großen, aufgrund derer Journalisten und - viel zu wenige und mal wieder viel zu spät - das kirchliche Umfeld Nachfragen gestellt und Missstände benannt hat. Wir müssen offensichtlich in der Kirche erst noch weiter lernen, den kritischen Blick auf Amtsinhaber nicht mit Pharisäismus zu verwechseln. Die Bibel zumindest scheint mir in diesen Fragen klar und hilfreich zu sein. Amen.