Predigt zum 30. Sonntag im Lesejahr A 2002 (Matthäus)
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27. Oktober 2002 - Universitätsgottesdienst, St. Ignatius Frankfurt
Die Struktur, der der Gedankengang dieser Predigt folgt, nimmt den Film
"Nackt" von Doris
Dörrie (2002) auf. In einer streng strukturierten Darstellung führt
der Film drei Paare zusammen, lässt sie die Erfahrung machen, dass
weder das körperliche noch das seelische Um-alles-wissen Grundlage
der Beziehung sein kann, und lässt die drei Paare dann vorsichtige
Schritte der Wiederannäherung bzw. der Stärkung ihrer Beziehung
machen. Das Erstaunlichste bei diesem Film ist, dass er das so gut gelaunt
erzählt, dass man den Film mit großem Vergnügen sieht.
(Vgl. die Taufpredigt,
die den Grundgedanken aufnimmt) |
1. Lieben
- Mit ganzem Herzen, dem innersten Organ, von dem her alle Teile meines Körpers durchblutet werden. Mit ganzer Seele,
der göttlichen Anhauchung in mir, durch die ich atmen kann. Und mit all meinen Gedanken, was mich beschäftigt und
berührt, im Gestern, Heute und Morgen. Mit all diesen Kräften zu lieben, ist nicht wenig. Mit all diesen Kräften Gott zu
lieben, ist nun wirklich ein großes Gebot.
- Vergleichbar ist das nur noch dem Versprechen, einen Menschen zu lieben, zu achten und zu ehren, so lange ich lebe.
Und ein anderes hat das Gebot der Liebe zu Gott und das Versprechen der Liebe zum Partner gemeinsam: Sie werden
konkret in einem Bund, der das ganze Leben umschließt. Diese Gemeinsamkeiten sind nicht nur Grundlage dafür, dass
die Ehe ein Sakrament ist. Diese Parallelen lassen auch vermuten, dass die Beziehung zu Gott und die Beziehung zu
einem Menschen im Bund der Partnerschaft ganz ähnliche Erfahrungen zeitigen.
Es ist schon erhellend, wie die Beziehung im Bund der Ehe dem ähneln kann, wie wir uns in unserer Beziehung zu Gott
wiederfinden, der uns in der Taufe in seinen Bund berufen hat. Hier wie dort ist das Leben im Fluss, hier wie dort finden
sich typische Situationen.
- - Da ist das Paar, das sich auseinander gelebt hat, vielleicht nicht einmal mehr zusammen wohnt, das Paar das die
Erfahrung macht, dass über Kleinigkeiten Streit entsteht - und das doch sich liebt, auch wenn es ihnen so selten gelingt,
das auch im Alltag zu leben.
- Da ist aber auch das Paar das jeden Tag als Geschenk erfährt, weil sie sich nahe sind, das Paar, das einander die
Zärtlichkeit schenkt, die hilft, den Alltag zu bewältigen.
- Da ist aber auch das Paar, für das das Zusammenleben zur Gewohnheit geworden ist. Sie merken zwar, wie fremd sie
sich geworden sind, schaffen es aber nicht, sich das einzugestehen. Es ist ein Leben am Abgrund des jeweils anderen.
2. Prüfung
- So verschieden wir sind, so verschieden wie Phasen unseres Lebens, so verschieden ist unsere Beziehung zu Gott. Eine
gespannte Beziehung, eine verliebte, eine entfremdete, eine vertraut schweigende oder eine, in der wir uns nichts zu sagen
haben. In dieser Verschiedenheit sind wir zusammen.
- Es fällt nicht immer leicht, diese Verschiedenheit zu akzeptieren. Gerade für Menschen, die das Gefühl haben, sie seien
mit ihrem Versuch, den "Bund des Lebens" zu schließen, gescheitert, kann es schwer sein, sich an dem Glück anderer zu freuen.
Groß ist da die Versuchung des Zynismus. Ihm gegenüber ist der Glaube und ist die Liebe so wehrlos. Gegen die
weltkluge Abwertung und das Zerreden, gegen das Spötteln und gegen die Abgeklärtheit ist die ehrliche Treue wehrlos.
Wer mit ganzem Herzen und aus ganzer Seele liebt, ist wehrlos gegen diesen Gegner. Er kann nur eines tun: Das Ohr
dem Versucher nicht leihen, sondern das tun, was er tun will, und auf das bauen, was er erfahren hat.
- Denn Liebe hält der Nachprüfung nicht stand. Sie einem Experiment zu unterwerfen bedeutet bereits, das Herz und die
Seele geteilt zu haben. Denn Liebe ist nicht die Summe des Wissens um den anderen, sondern das Staunen über das
Geheimnis des anderen. Selbst der Mensch, den ich in allen Lebenslagen kenne, selbst der Mensch, der mir in seiner
Nacktheit ausgeliefert ist, wird immer mehr sein als das, wenn ich ihm im ganzen Ernst meiner Lebensentscheidung treu
bin.
3. Entdecken
- So auch Gott. Nackt hängt er vor uns am Kreuz. Sein Wort hat Gott in unsere Hände gelegt, das Wort in dem Gott sich
selbst ausspricht, sich seiner Gottheit entblößt. Es ist die Versuchung nicht nur des studierten Theologen, Gott zum
Gegenstand des Wissens und der Untersuchung zu machen. Gott aber kann mit ganzem Herzen und mit ganzer Seele nur
geliebt werden, wenn er mir Geheimnis bleibt, das in den Wellenbewegungen meines Lebens neu zu entdecken ist.
- Auch dies hat die Beziehung zu Gott mit der Beziehung zum Partner gemeinsam.
- Das Paar, das die Gnade hat, in einer glücklichen Beziehung zu leben, kann an diesem geschenkten Glück wachsen. Es
kann entdecken, dass eine solche Liebe etwas ist, das über sich hinausweist.
- Das Paar, das mehr nebeneinander als miteinander lebt, wo das Zusammenleben zur leeren Gewohnheit geworden ist,
dieses Paar kann aus der leidvoll erfahrenen Distanz heraus anfangen neu zu entdecken, dass nicht schon alles gewusst ist
und nicht schon alles in die Form der gegenseitigen Vorwürfe gegossen ist, sondern dass an dem anderen das Eigene erst
noch zu entdecken ist.
- So kann vielleicht auch der Mensch, der die Verletzung enttäuschter Liebesfähigkeit mit Zynismus überspielt, genau
dort ansetzen: An der eigenen Sehnsucht nach bergender Liebe. Es tut gut, erst einmal das grelle Licht der angeblich
offenbaren Tatsachen zu löschen und sich im Dunkeln selbst, mit eigenem Herzen und mit eigener Seele neu an den
geliebten Menschen heranzutasten.
- Wie wir unsere Beziehung leben und unsere Krise überwinden, das ist unser Beitrag dazu, miteinander Gemeinde und
Kirche Gottes zu sein. Denn wenn das Gebot der Gottesliebe nicht Theorie ist, sondern wirklich den ganzen Menschen
ergreift, unser Herz, unsere Seele und unsere Gedanken, dann wird es ganz ohne weiteres auch unsere Beziehung zu
anderen Menschen verwandeln. Helfen wir einander, diese wunderbare Wandlung zu entdecken. Amen.