Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 3. Sonntag der Osterzeit Lesejahr B 2003 (Lukas)

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4. Mai 2003 - Hochschulgottesdienst Kaiserdom Frankfurt

1. Ein Geist?

  • Ein Geist? Ein Gespenst? Was ist das, was die Jünger gesehen haben? Bezeichnenderweise steht in einigen der antiken Handschriften, in denen uns das Lukasevangelium überliefert ist, anstelle des Wortes "Geist" (pneuma), als den die Jünger den auferstandenen Herrn erlebt haben, das Wort "Gespenst" (phantasma). Von Anfang an haben sich die Ostererlebnisse nicht in die Kategorien des Verstehens einordnen lassen.
  • War es eine Vision oder eine Halluzination? In dem Punkt sind sich die Evangelien einig. Zwar wird an anderer Stelle von Visionen und Träumen berichtet - und diese durchaus ernst genommen - aber die Osterberichte wollen etwas anderes schildern. Die Erfahrungen der Jünger bezogen sich nicht auf Visionen, sondern fanden im Kontext ihres Lebens statt. Das wird ganz deutlich gesagt, wenn Jesus ihnen die Hände und Füße (und nicht etwa "das Gesicht") zeigt und wenn er vor ihren Augen einen gebratenen Fisch verspeist.
  • Was immer dieses so reale und dennoch unbeschreibbare Erlebnis gewesen sein mag, man sollte im Text des Evangeliums darauf achten, dass dieses Erlebnis - diese Begegnung - zunächst nicht etwa Glauben hervorruft, sondern bestenfalls Staunen. Es ist nett von Lukas, dass er vermerkt, "vor Freude" hätten es die Jünger nicht glauben können. Tatsache ist, dass es ausdrücklich heißt, dass der Glauben an den Auferstandenen nicht einfach dadurch kommt, dass er den Jüngern als Geist über den Weg läuft.

2. Öffnen

  • Nicht einfach etwas, das sie gesehen haben, bezeugen die Jünger in der Heiligen Schrift. Es wird ausdrücklich berichtet, dass der Auferstandene ihnen "die Augen geöffnet" habe. Den bildlichen Ausdruck kann man auch übersetzen mit "das Verständnis wecken". Ostern bewirkt, dass die Schar der Jünger etwas sieht, was immer schon da war, dessen Zusammenhang und Bedeutung ihnen aber bislang nicht klar gewesen ist. Erst der Auferstandene "öffnet ihnen die Augen für das Verständnis".
  • Das, was da an Ostern auf ein Mal verstanden wird, ist "die Schrift", sind die Heiligen Schriften des Mose und der Propheten sowie die Weisheitsschriften des Bundes, kurz das, was wir gewöhnlich das "Alte Testament" nennen. Es ist aber nicht einfach der Buchstabe dieser Schriften, sondern es ist all das, was die Jünger mit Jesus, der ganz aus dieser Tradition lebte, erfahren haben - bis hin zum Kreuz - und das sie nun in einem radikal anderen Licht sehen. Es ist als wären ihre Augen bislang verklebt und verschlossen gewesen und würden nun geöffnet.
  • Das Wort, das der Evangelist für "öffnen" verwendet (dianoígo) ist eine im Neuen Testament seltene Form des normalen Wortes für "öffnen" (anoígo). Lukas benutzt dieses Wort gerne. Wir kennen im Deutschen das "eröffnen" als betonte Form für "öffnen". Der Auferstandene, sagt Lukas, "eröffnete" die Augen der Jünger. Und eben das selbe Wort bezeichnet das "eröffnen" des Sinnes der Heiligen Schrift (in Lk 24,32, wo es in der Einheitsübersetzung heißt, dass Jesus den Emmaus-Jüngern den Sinn der Schrift "erschloss"). Nicht nur die Augen, auch die Bibel muss aufgeschlossen, eröffnet werden. Ohne das gibt es vielleicht Weisheit, vielleicht Staunen, möglicherweise Freude, aber sicher keinen Glauben.

3. Glauben

  • Der Glaube, den Gott in uns durch die Osterbotschaft wecken will, ist nicht der Glaube an Geister und Gespenster. Es ist auch nicht ein karges Wissen um dieses oder jenes, und sei der Gegenstand des Wissens auch noch so heilig. Der Glauben ist vielmehr eine Öffnung des ganzen Menschen auf das hin, was die Bibel "ewiges Leben" nennt. Dieses Leben beginnt mit dem Glauben an die Auferstehung und verwandelt das, was wir bis dahin unser Leben genannt hätten.
  • So sind es nicht nur die Augen, ist es nicht nur der Sinn der Heiligen Schrift, sondern ist es der ganze Mensch, mit Händen und Füßen, der durch den Glauben eröffnet wird. Ohne den Glauben endet unser Leben an der Mauer. Alles, was Bedeutung hat, spielt sich in den engen Grenzen diesseits der Mauer ab. Die Mauer, das sind unsere nächsten "Interessen", dieses oft ausgeblendete und verdrängte, aber immer gegenwärtige Ding, das uns daran hindert, frei zu atmen und auszuschreiten. Nicht zuletzt ist die Mauer der biologische Tod.
  • Jesu Auferstehung hat nicht nur für den Gekreuzigten, sondern auch für die, die mit ihm gegangen sind, die Mauer niedergerissen. Uns sind diese Jünger die Zeugen, dass sich ihr Leben verwandelt hat. Sie haben die Dynamik der Auferstehung erlebt, und sind mit der befreienden Botschaft aus den verschlossenen Räumen heraus gegangen. Sie haben ihre Scheu und Minderwertigkeitsgefühle überwunden, ihr ganzes Wesen wurde geöffnet und so als Glaubende sind sie zu allen Völkern gegangen. Die Zeugen der Auferstehung bringen uns die Heilige Schrift und eröffnen uns ihren Sinn. Sie verweisen uns auf unsere eigenen Erfahrungen und eröffnen uns die Augen, dass wir erkennen: Die Mauer des Todes ist durchbrochen. Ostern öffnet uns den Himmel. Heute! Amen.