Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt 3. Adventssonntag Lesejahr B 2023 (Jesaja)

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17. Dezember 2023 - St. Peter, Sinzig


1. Inmitten der Zerstörung

  • Dieser Überfall war ein terroristischer Akt. Die Angreifer wollten nur zerstören und terrorisieren. Sie schossen auf alles und jeden, was sich bewegte. Männer, Frauen und Kinder wurden getötet oder verwundet. Sie drangen in die Städte und Dörfer ein. Sie plünderten und zerstörten alles, was sie vorfanden. Sie brannten Häuser nieder, zerstörten Felder und Gärten. Die Bevölkerung war geschockt und verängstigt. Sie hatte noch nie einen so brutalen Angriff erlebt.
    Sie ahnen es: Hier ist die Rede vom Überfall auf Israel. Doch die geschilderten Szenen haben sich so oder ähnlich vor 2.700 Jahren ereignet. Angreifer sind die mörderischen Armeen des assyrischen Großreiches, das Israel niederzwingen will. 
  • Inmitten der Zerstörung müssen wir die Stimme des Propheten Jesaja hören, dessen Schriften unsere Advents- und Weihnachtszeit prägen – kein anderes biblisches Buch kommt dem gleich. "Das Volk, das in der Finsternis ging, sah ein helles Licht; über denen, die im Land des Todesschattens wohnten, strahlte ein Licht auf." (Christmette). "Nicht länger nennt man dich 'Verlassene' und dein Land nicht mehr 'Verwüstung'" (am Hl. Abend). Jerusalem "die begehrte, die nicht mehr verlassene Stadt" (Weihnachten am Morgen). Das ist alles Jesaja, auch in unseren Liedern: "Zion hört die Wächter singen! Das Herz tut ihr vor Freuden springen." Wir hören die Verheißung von Heil und Frieden. Doch die Verwüstung durch fremde Mächte ist der Hintergrund all dieser Texte.
  • Auch in der Lesung heute wird uns die Zuversicht des Jesaja mitgegeben. Jesus wird sich mit einem Zitat daraus in seiner Heimatstadt Nazareth vorstellen: Gott ruft nach den Jahren der Mühsal ein Gnadenjahr aus. Nach den zerstörerischen Zeiten des Unrechts folgt ein Neubeginn: Frohe Botschaft für die Armen, Heilung für die zerbrochenen Herzen. Freiheit für die Verschleppten und Gefangenen, die Geißeln der Terroristen kehren heim.

2. Bedingungen zum Frieden

  • Dem Buch Jesaja verdanken wir die stärksten Visionen von Frieden, die in der Bibel zu finden sind. Das heutige biblische Buch versammelt Texte, die im Verlauf von vielleicht 400 Jahren entstanden sind. So schön dabei einzelne Friedensbilder wie "Schwerter zu Pflugscharen" sind, wenn wir Gottes Wort daraus hören wollen, sollten wir den Zusammenhang im Blick haben. 
  • Das Prophetische dieser Texte ist nicht einfach ein naiver Friedensoptimismus. Vielmehr schafft es Jesaja und seine Tradition einerseits keinen Zweifel an der brutalen Gewalt derer zu lassen, die Israel überfallen. Doch gleichzeitig verfällt der Prophet nicht der Versuchung, nur die Schuld der anderen zu sehen; die steht für ihn außer Frage. Stattdessen fragt Jesaja immer wieder: Und wie steht es bei uns? Sind wir eine Gesellschaft die stark ist, weil sie im Vertrauen auf den HERRN Gerechtigkeit kennt, die Armen und Schwachen schützt, den Rechtsstaat achtet?
  • Der Friede Gottes ist kein magisch aus dem Nichts kommendes Eingreifen Gottes. Friede schafft Gott, indem er Menschen in einen Bund beruft, der auf zwei Säulen beruht: Keinen Gott außer dem Allmächtigen verehren und Gottes Gebot der Gerechtigkeit und der Sorge für den Armen achten. Dies ist das Doppelgebot der Liebe zu Gott und zum Nächsten. Für eine Gesellschaft und ein Land bedeutet dies, menschliche Allmachts-Ansprüche in die Schranken zu weisen und Gerechtigkeit zum Leitstern des Zusammenlebens und Wirtschaftens zu machen. Für jeden einzelnen ist dies, den täglichen Aufruf zu vernehmen: Höre, Gott ist ein einziger, ihm zu lieben und den Nächsten wie Dich selbst ist der einzige Weg zum Frieden. 

3. Nachbarn

  • Doch, schreibt Schiller (im Wilhelm Tell): "Es kann der Frömmste nicht in Frieden leben, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt." Es gibt Gewalt, die von außen kommt. Daher ist es spannend einen Blick darauf zu werfen, wie sich im Jesaja-Buch im Laufe der Jahrhunderte die Perspektive verschiebt. Vor allem die älteren, anstößigen Textteile sind bei unseren Lesungen immer ausgespart. Denn lange wird von der Propheten wie selbstverständlich davon ausgegangen, dass Heil für Israel mit Unheil für andere Völker verbunden ist. Am Ausgang der Bronzezeit war das selbstverständlich. 
  • Doch in den späteren Schichten des Jesaja-Buches wandelt sich das. Ich habe das Gefühl, dass es gut ist, dass wir in unserer Bibel diese Entwicklung nachvollziehen können, denn genau diesen Weg haben wir heute oft genug vor uns. Der Nationalismus hat manche in die Bronzezeit zurückgeworfen. Und in privaten Fehden kennen wir das Schema auch. Nur wenn der Gegner vernichtet ist, sei Frieden möglich. Schnell werden dabei pauschal alle anderen zu Gegnern.
  • Bei Jesaja hingegen finden wir eine andere Vision. Sie ist der eigentliche Grund, warum wir diesen Propheten im Advent und an Weihnachten verkünden lassen: Es wird geschehen, dass alle Völker erfüllt werden von der Erkenntnis des Herrn. Frieden und Gerechtigkeit ist Frieden immer auch für den Anderen. Das wird das radikale Herz der Botschaft Jesu sein. Das wird Jesus als Botschaft leben: Auf Gott zu vertrauen bedeutet immer, für die zu beten, die uns verfolgen; auch die Feinde, aus deren Reihe Gewalt gegen uns kommt, als Gottes Kinder zu sehen. Sie nicht zur Vernichtung zu hassen, sondern den Frieden für alle für möglich zu halten. 
    "Am Ende der Tage wird es geschehen"  (Jes 2,2, vgl. Mi 4,1), weiß Jesaja. Diese Tage beginnen dort, wo Christus unter uns und in uns geboren wird.