Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt 3. Adventssonntag Lesejahr A 2016 (Jesaja)

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8. Dezember 2016 - Rorate-Andacht,Kleiner Michel (St. Ansgar), Hamburg

1. Ein Wort den Herzverscheuchten

  • Es ist viel in Bewegung, mehr als recht vielen Menschen lieb ist. Es gibt vieles, was erstarrt ist, mehr als recht vielen Menschen lieb ist.
  • Die beiden Sätze können wir wohl neben einander stehen lassen. Vielleicht sind es sogar die selben Menschen, denen einerseits alles wie verkrustet und erstarrt erscheint, und die andererseits das Gefühl haben, dass alles, was ihnen Halt und Zuversicht geben sollte, ins Schwimmen gerät. Eine unbeschreibliche Beschleunigung der Kommunikation, Information und Globalisierung gehe seit Jahren mit einer Erstarrung der Strukturen und Hierarchien einher, so ist der Eindruck nicht weniger Menschen. Auch wenn es nachweislich nicht stimmt, weil die Zahlen eine eindeutige Sprache sprechen, haben erstaunlich viele Menschen das Gefühl, es gehe ihnen schlechter als früher. Es sind wohl diejenigen, denen es früher schon eher gut ging, die eine ruhige Perspektive hatten. Vor dreißig Jahren hat Norbert Blüm dieses Gefühl verkörpert mit seinem Satz "Die Rente ist sicher". Heute darf Angela Merkel unter dem Druck der Demagogen den Satz nicht mehr wiederholen "Wir schaffen das". Kein Wunder, dass viele Menschen der Überzeugung sind, dass wir es nicht schaffen.
  • Die Lesung aus dem Buch des Propheten Jesaja hat eine Botschaft an die "Verzagten" (Luther: "verzagten Herzen"), wörtlich steht dort, dass ihr Herz rast und der Puls zum Hals schlägt. Gott hat ein Wort für die "Herzverscheuchten", wie Martin Buber das übersetzt.

2. Ahndung Gottes

  • Es gibt Hinweise, dass dieser Abschnitt des Jesaja-Buches aus einer ganz bestimmten Zeit stammt. Jerusalem, die heilige Stadt, ist bereits wieder neu erbaut und besiedelt. Es ist ferne Vergangenheit, dass die Stadt zerstört worden und die Bevölkerung verschleppt worden war. Der Neuaufbau hat also schon stattgefunden. Aber immer noch gibt es viele, die daran keinen Anteil haben. Sie leben noch immer zerstreut unter den Völkern, bedroht und verletzlich, als Minderheit minderen Rechts fern der Heimat.
  • Es könnte vor allem dieses Gefühl sein, vergessen und angehängt worden zu sein, das diese Menschen zu "Herzverscheuchten", zu Menschen mit "verzagten Herzen" macht. Objektiv mag die Situation für den statistischen Durchschnitt viel besser sein als früher. Aber nicht alle gehören zu den Gewinnern, schon gar nicht dem eigenen Empfinden nach.
  • "Habt Mut, fürchtet euch nicht! Seht, hier ist euer Gott!", der Zuruf lenkt den Blick darauf, dass Gottes Heils-Zusage sich nicht darin erschöpft, dass die statistische Mehrheit der Verbannung entronnen ist. Was hier mit "Rache Gottes" (Buber: "Da: euer Gott, Ahndung kommt!") benannt wird, ist genau dies: Gott steht für den gerechten Ausgleich. Mögen die in Jerusalem sich als Sieger fühlen, mögen sie die in der Verbannung nicht hören und nicht sehen, mögen sie keinen Finger für sie rühren, ja, mögen die in Jerusalem schon Geretteten die anderen vergessen haben - Gott hat sie nicht vergessen. "Er selbst wird kommen und euch erretten. Dann werden die Augen der Blinden geöffnet, auch die Ohren der Tauben sind wieder offen."

3. Um zu retten

  • Nur menschliches Geschichtshandeln allein wird diesen Ausgleich nicht schaffen können, nicht aus sich und nicht in der Weise, dass Gerechtigkeit wirklich alle erreicht. Propheten wie Jesaja und seine Nachfolger haben jedoch ein Gespür dafür, dass diese Situation der Ungleichheit so sehr dem Wesen Gottes widerspricht, dass diese Ungerechtigkeit vor Gott keinen Bestand haben wird. Die alten Propheten haben sich das noch als einen Vorgang innerhalb der Menschengeschichte vorgestellt. Das spätere Judentum und die Christen hingegen haben ein waches Gespür dafür entwickelt, dass das Wirken Gottes zwar diese Geschichte zutiefst berührt, doch weit über sie hinausweist.
  • Der antike Kirchenvater Gregor von Nazianz beschreibt das so: Christus ist von Ewigkeit her, göttliche Gegenwart, ohne Ursache, ewig unwandelbar. Doch gerade weil sein unwandelbares Wesen Liebe ist, geschieht etwas, lässt er sich verstricken in Ursachen. "Christi Menschwerdung hatte eine Ursache: Er wurde Mensch, um dich zu retten; er hat sich mit den Menschen verbunden". In dem sterblichen, zerbrechlichen Menschen Jesus von Nazareth ist unwiderruflich der ewige, unwandelbare Gott Teil der Geschichte seines Volkes und damit der Menschheit geworden.
  • Das macht einen Unterschied für die "Herzverscheuchten" unter den Menschen. Wer Gott an seiner Seite wissen kann, lässt sich verändern und gewinnt Kraft zu verändern. Die prophetische Verheißung: "Kummer und Seufzen entfliehen" erfüllt sich überall dort, wo Weihnachten an den Orten der Verzagtheit gefeiert wird, in den Wüsten, in der Steppe, auf ödem, vertrocknetem Land. Amen.