Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 29. Sonntag im Lesejahr C 2010 (2Timotheusbrief)

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17. Oktober 2010 - Kleiner Michel (St. Ansgar), Hamburg

1. Themen

  • Ich scheine über die falschen Themen zu predigen. Wenn ich die Bücherauswahl im Regal Religion der Buchhandlungen betrachte, sind andere Themen mehr nachgefragt. Zwar gibt es immer noch Bibeln; mit Goldschnitt eignen sie sich als Geschenk und werden vermutlich häufig daheim verstauben.
  • Daneben aber stehen die Titel, die offenbar viel mehr nachgefragt werden. Esoterische Literatur, die über Hunderte von Seiten über schicksalsbestimmende Sterne, heilende Steine, mystische Orte, kosmische Energien und ätherische Kräfte spekuliert. Okkulte Fähigkeiten werden verheißen und nie gehörte Geheimnisse den Einzuweihenden enthüllt.
  • Selbst Katholiken findet man bisweilen mit mehr Leidenschaft über Karma und Wiedergeburt diskutieren, als über das, was Gott selbst in der Auferstehung Christi offenbart hat. Das dritte Geheimnis von Fatima und das Turiner Leichentuch scheinen bedeutsamer, als die Zusage Gottes seinem Volk treu zu sein. Vielleicht übertreibe ich ein wenig; ich fürchte aber, nicht ganz daneben zu liegen.

2. Gesunde Lehre

  • Meine Zustandsbeschreibung mag für die Gegenwart falsch sein. Sie dürfte aber stimmen für die Kirche von Ephesus damals. Die beiden Timotheusbriefe richten sich an deren Bischof als Gemeindeleiter. In der Zeit nach der Gründung durch den Apostel Paulus versuchen sie, gegen all die nutzlosen Streitereien über esoterische Nebensächlichkeiten den Kern der Verkündigung der Apostel wieder in den Mittelpunkt zu rücken. Die Briefe (der Titusbrief gehört mit den Timotheusbriefen in dieselbe Zeit) richten sich an den Gemeindeleiter. Aber sie sind damit auch für die ganze Gemeinde wichtig.
  • Zwei Dinge werden dem Gemeindeleiter an's Herz gelegt: Der Glauben, so wie er ihn seit seiner Kindheit kennen gelernt hat (an anderer Stelle wird er sogar namentlich an seine Mutter und Großmutter erinnert), sowie die "von Gott eingegebene Schrift", womit zu jener frühen Zeit wohl die fünf Bücher Mose (Tora) und Prophetenbücher gemeint waren, also im Kern unser Altes Testament, die hebräische Bibel der Juden.
  • Gegenüber sinnlosen Streitereien über Nebensächlichkeiten und selbsterfundene Theorien, soll sich der Bischof daran erinnern, wie er als Kind das Fundament des Glaubens empfangen hat: Das Vertrauen in Gott, zu dem er in einfachen Worten beten kann; die Liebe, mit der Gott uns liebt und deretwegen der ewige Gott uns im Antlitz des Menschen Jesus von Nazareth nahe sein will; den Heiligen Geist, den Gott jedem Getauften schenkt, damit wir zusammen Gottes Volk sein können. Gott ist behütend über dir, Gott ist mit dir auf dem Weg und er lebt in dir, wo du seine Liebe lebst, das hat Timotheus schon als Kind gelernt. Nun, als Erwachsenem und Bischof sind ihm als Maßstab die Heilige Schrift an die Hand gegeben, um diesen Glauben tiefer zu verstehen und die Gemeinde der Christen zu leiten.

3. Heilige Schrift

  • Es tut gut, sich an diese Grundlagen des Glaubens erinnern zu lassen. Denn dies ist auch für den Umgang mit der Bibel wichtig. Diese "heiligen Schriften" sollen, so heißt es hier, "nützlich" sein. Diese pragmatische Auskunft mag überraschen.
  • Die Lesung in unserem Gottesdienst enden mit dem Ruf "Wort des lebendigen Gottes". Das bedeutet aber schlicht, dass die Heilige Schrift eine Weise ist, wie Gott uns begegnet. Darin ist sie "von Gott eingegebene Schrift", inspiriert und inspirierend. Die Bibel ist jedoch nicht Wörter Gottes, wie Muslime es vom Koran glauben, dass Gott durch einen Engel den Text in Arabisch diktiert hätte. Die Bibel hingegen enthält Wörter von Menschen, in denen diese ihre Erfahrungen festhalten und weitergeben. Aber durch Menschenwort will Gott zu uns sprechen.
  • Deswegen heißt es, dass diese Schriften "nützlich" sind "zur Belehrung und zur Widerlegung", um nicht selbsterfundenen Theorien nachzulaufen, die zwar den Ohren schmeicheln, aber wegführen von dem lebendigen Gott. Sie sind auch nützlich "zur Erziehung in der Gerechtigkeit". Denn die Bibel, gerade das Alte Testament, erzählt von einem Leben mit Gott durch die Geschichte hindurch, von Scheitern und Erfolgen, von Schurken, bedeutenden "Männern und Frauen Gottes" und ganz einfachen Menschen, wie die Witwe im heutigen Evangelium, Menschen allesamt, die nicht lassen wollen von ihrem Gott, von Gott der uns sagt, ich nenne euch bei eurem Namen und ihr könnt jederzeit zu mir rufen, denn mein Name ist JHWH, ich bin da für euch. Amen.