Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 28. Sonntag im Lesejahr A 2011 (Matthäus)

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9. Oktober 2011 - Kleiner Michel (St. Ansgar), Hamburg

1. Verpasste Einladung

  • "Bindet ihm Hände und Füße, und werft ihn hinaus in die äußerste Finsternis! Dort wird er heulen und mit den Zähnen knirschen" Die letzten Worte des Evangeliums klingen nach. Der Klang ist hart, schroff und unzugänglich. Das Neue Testament tritt uns hier viel abweisender gegenüber, als das Alte Testament, aus dem wir vom Propheten Jesaja gehört haben, Gott werde "für alle Völker ein Festmahl geben mit den feinsten Speisen, ein Gelage mit erlesenen Weinen". Es besteht Erklärungsbedarf. Es muss wohl jeder für sich entscheiden, ob er oder sie dieses Evangelium als Botschaft für sich selbst annimmt. Ich kann nur versuchen, eine Hilfe zu geben.
  • Was bei Matthäus im Evangelium steht, ist vom mittleren Teil her zu lesen: Der Festsaal ist gefüllt mit Gästen, die die Boten des Königs von den Enden der Straßen zusammengeholt haben. Sie sind beim Festbankett des Königs, die Tische biegen sich im prächtigsten Saal. Dabei wissen diese Gäste, dass sie nicht die Erstgeladenen sind.
  • Wahrscheinlich hatte Jesus jedoch sein Gleichnis in Jerusalem erzählt, als er von den Schriftgelehrten und den Ältesten, aber auch von den wohlhabenden Bürgern der Stadt umringt war, die sich als die Erstgeladenen vorgekommen sind. Ihnen hat Jesus den ersten Teil seiner Geschichte gewidmet. Sie erinnert Jesus daran, wie Jerusalem in der Geschichte immer wieder mit Gottes Propheten umgegangen ist.
    Die wirtschaftlichen Interessen waren oft stärker als das Interesse an Gottes Gerechtigkeit: "der eine ging auf seinen Acker, der andere in seinen Laden". Wo die Propheten nicht systemkonform waren, wurden sie mundtot gemacht:"sie fielen über seine Diener her, misshandelten sie und brachten sie um". Jesus sieht das Schicksal, das sich für ihn abzeichnet in der Linie dieser Diener Gottes, der Propheten.
    Jesus erzählte das Gleichnis auf die Elite in Jerusalem. Sie will er aus ihrer Ablehnung befreien; sie sind die Erstgeladenen. Zur Zeit, in der das Matthäusevangelium fertiggestellt wurde (wohl ca. 40 Jahre später) war Jerusalem, die Stadt der Erstgeladenen, von den Römern zerstört worden. Darauf verweist der im Gleichnis bewusst ganz unlogische Einschub, dass der König die Stadt zerstören ließ, während doch eigentlich das Essen fertig auf dem Tisch steht.

2. Übermütige Christen

  • Im vorliegenden Evangelium stehen nun aber die später Geladenen im Focus. Ihnen gilt die frohe Botschaft: Menschen, von denen es keiner erwartet hat, sind zum größten Festmahl geladen. Sie kommen von den Enden und Rändern der Straße, heißt es im Gleichnis. Sie gehörten nicht dazu, und dennoch hat die Einladung sie erreicht. Sie mussten sich nicht bewerben und mussten keine Referenzen vorbringen. Ja, es heißt sogar, die Diener des Königs riefen "alle zusammen, die sie trafen, Böse und Gute", ganz wie auch Jesus selbst sich nie gescheut hatte, mit Sündern Mahl zu halten. Das königliche Mahl aber, das die Züge des Festmahls am Ende der Zeiten trägt, wie Jesaja es verheißen hat, wird an Fülle und Offenheit für alle Völker alles übertreffen.
  • Man stelle sich dazu vor: Diese Gäste gehören nun zu den besten Kreisen, obwohl es Ihnen nicht in die Wiege gelegt wurde. Ihre Eltern haben sich mit Billigjobs durchgeschlagen. Sie selbst hatten nie eine echte Chance. Sozial waren sie eigentlich schon abgeschrieben. Dann aber hat sich alles geändert und heute gehören die Gäste im Festsaal zu der Gruppe von Menschen, zu der sie immer schon gehören wollten. Sie haben erreicht, wovon andere noch nicht einmal zu träumen wagen. Und sie sind entsprechend selbstbewusst.
  • Für uns mag das kaum vorstellbar sein, aber so in etwa dürfte das Selbstbewusstsein der Christen gewesen sein, an die Paulus schreibt. Sie lebten in dem Bewusstsein, dass es ein unverhofftes Glück und eine große Freude ist, zum Volk Gottes zu gehören. Sie waren nicht kleinmütig im Glauben, sondern eher in der Gefahr, übermütig zu sein. Für diese Menschen hat der Evangelist Matthäus ein symbolisch zu lesendes Gleichnis Jesu überliefert und versucht, es im Sinne Jesu für diese Situation zuzuspitzen. Nur von da her ist dieses Evangelium zu verstehen.

3. Alternative Enden

  • Daher bricht Matthäus ein zweites Mal das Gleichnis die Logik. Unter den Gästen ist einer, "der kein Hochzeitsgewand anhatte". Logisch, würde jeder sagen, die Gäste sind doch von der Straße weg eingeladen worden. Dieser logische Bruch aber zeigt, dass hier gegenüber dem ursprünglichen Gleichnis Matthäus bewusst einen aktualisierender Zug eingearbeitet hat. Ganz im Sinne Jesu, der die Erstgeladenen im Blick hatte, weist Matthäus darauf hin, dass auch die Hinzugekommenen sich die Einladung verscherzen können.
  • Das "Hochzeitsgewand" ist nicht das Gewand, das jemand mitgebracht hat, sondern das Gewand, das sozusagen aus der Erfahrung der Freude und der Gemeinschaft im Königssaal gewoben ist. Das Gewand ist hier ganz zum Symbol geworden. Matthäus aktualisiert die Botschaft Jesu: So wie die Erstgeladenen sich um die Teilhabe am Hochzeitsfest gebracht haben, so können auch die, die ohne jede Vorleistung hinzugekommen sind - und damit sind wir als die Kirche aus den vielen Völkern gemeint - sich nicht auf der Zusage der Taufe ausruhen, sondern müssen sich verwandeln und "umkleiden" lassen von dieser Erfahrung der Liebe Gottes.
  • Würde Matthäus das Evangelium heute neu herausbringen, würde er für uns europäische Christen vielleicht ein alternatives Ende anbieten. Auch dieses Ende wäre ein logischer Bruch. Der König käme in den Saal und würde einen antreffen, der sich ganz an den Rand des Tisches gesetzt hat. Vor ihm stehen Platten und Teller mit den köstlichsten Speisen und eine Karaffe mit edelstem Wein. Er aber sitzt für sich und ist mit Blindheit geschlagen. Er hat noch nicht richtig vom Brot des Lebens und vom Wein der Freude gekostet. Er ist so sehr mit sich beschäftigt, dass ihn die Freude des Festes noch gar nicht erreicht hat. Der König aber setzt sich neben ihn. Er hört ihm zu und muntert ihn auf. Er öffnet ihm die Augen und das Herz. "An jenem Tag wird man sagen: Seht, das ist unser Gott, auf ihn haben wir unsere Hoffnung gesetzt, er wird uns retten. Das ist der Herr, auf ihn setzen wir unsere Hoffnung. Wir wollen jubeln und uns freuen über seine rettende Tat." Amen.