Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 26. Sonntag im Lesejahr B 2015 (Jakobusbrief)

Zurück zur Übersicht von: 26. Sonntag Lesejahr B

27. September 2015 - Kleiner Michel (St. Ansgar), Hamburg

1. Was zu leben lohnt

  • Es gibt Dinge, für die zu leben lohnt. Für verschiedene Menschen und in verschiedensten Zeiten wird das etwas anderes sein. Vielleicht gibt es auch Menschen oder Zeiten, da wird die Frage nicht gestellt, ob bewusst oder unbewusst. Aber alle Erfahrung sagt, dass in irgend einer Weise jeder ein Gespür zu haben scheint, was für sie oder ihn zu leben lohnt. Zugleich gehört dies zu den Fragen, die nicht ein Leben lang gleich bleiben. Erfahrung verändert unsere Einstellung zu Leben - hoffentlich.
  • Jesus scheint von etwas zu sprechen, von dem er meint, dass dafür zu leben lohnt. Ich habe den Eindruck, dass er dabei einen eher ungewöhnlichen Ansatz wählt. Auf jeden Fall setzt er sich ab von klassischen Antworten wie Erfolg, Familie, ungestörter Wohlstand oder auch nur Freunde.
  • Die Jünger kommen zu ihm, weil sie sich über Konkurrenz ärgern. Offenbar gibt es Wundertäter, die sich auf Jesus berufen, ohne zu seiner Gruppe zu gehören. Jesus antwortet ihnen ganz entspannt: "Wer euch auch nur einen Becher Wasser zu trinken gibt, weil ihr zu Christus gehört, wird nicht um seinen Lohn kommen".
    Da das ängstliche Gerangel um Autorität, Sicherheit und die Frage, wer dazu gehört; als ob dafür zu leben lohnt. Dort ein Becher Wasser, der einem gereicht wird, der hungert und dürstet, weil er sich auf den Weg Jesu eingelassen hat - das ist etwas, das zu leben lohnt; er "wird nicht um seinen Lohn kommen"

2. Reichtum auf Kosten anderer

  • Letztlich fordert Jesus dazu auf, statt auf Absicherung durch Reichtum, Gruppe, Hierarchie und Position darauf zu setzen, dass wir Menschen zu unserer Bedürftigkeit stehen und uns nicht damit zufrieden geben, was wir erreicht haben. Vor allem dort nicht, wo "Reichtum verfault, und Kleider von Motten zerfressen werden, Gold und Silber verrostet" (oder sich VW-Aktien im freien Fall befinden).
    Warum ist all das im Letzten so wenig lohnend? Weil darin der Mensch im Herzen einsam wird! Wer über Reichtum verfügt oder zu einer erfolgreichen geschlossenen Gruppe gehört, scheint Freunde zu haben. Aber es ist genau besehen zerbrechliche, erkaufte und erzwungene Freundschaft.
  • Und es kommt etwas dazu. Der Jakobusbrief spricht es deutlich an. Reichtum der einen hat fast immer auch damit zu tun, dass andere ihren Anteil nicht bekommen haben. - Die Situation damals scheint sehr eindeutig gewesen zu sein: Wer den Arbeitern, die seine Ernte vom Feld geholt haben, den Lohn vorenthält, nur um selbst noch mehr zu haben, der ist nichts anderes als ein Räuber, der seine Macht ausnutzt.
  • [Es ist nicht so, dass wir solche Formen des eindeutig kriminellen Reichtums nicht kennen würden. Man scheut sich nur oft, es beim Namen zu nennen. Um bei einem aktuellen Beispiel zu bleiben: Wer Softwaremanipulationen plant, veranlasst, duldet oder ermöglicht, macht dies um des eigenen Erfolges, der eigenen Position in der Firma und letztlich um des Geldes willen.]
    Der Jakobusbrief macht ganz deutlich, dass Gott nicht auf der Seite derer ist, die in geschlossenen Hierarchien sich selbst mästen, ob in der Wirtschaft, im Kulturbetrieb oder in der Kirche. Gott hingegen ist ausweislich der ganzen Bibel parteiisch auf der Seite derer, die direkt oder indirekt Opfer dieser Machenschaften sind, denen der Lohn vorenthalten wird, die ihren Job deswegen verlieren, für die kein Anteil am Kuchen bleibt, weil einige andere sich üppig bedient haben. - Diese Parteinahme Gottes, des Herrn von Zeit und Ewigkeit, soll deutlich machen: Solches Verhalten lohnt nicht. Damit bereitet sich der Mensch nur die Hölle der Einsamkeit einer Unterwelt ohne Liebe und Phantasie.

3. Flüchtlinge, unklare Gemengelage und Taufe

  • Nicht immer ist es so klar, was Recht und was Unrecht ist. Eine komplexe Welt wie die unsere hat Strukturen, denen die Eindeutigkeit fehlt, die wir uns meist wünschen. Irgendwie ist uns allen - den unter uns Reichen und den unter uns Armen und allen dazwischen - klar, dass wir global zu denen gehören, die von den herrschenden Strukturen profitieren. Weltweit sind wir hier alle die Reichen. Und die Armut der Armen dort kann auch dann etwas mit uns hier zu tun haben, wenn Schuldzuweisungen nicht so einfach möglich sind. Unser Leben und Handeln ist verwoben in eine Welt, die Leid und Elend produziert.
  • Aus der Beziehung zu Gott zu leben, sollte nicht nur dazu befähigen, klar zu sein, wo die Umstände klar sind, sondern auch, zu differenzieren, wo die Lage nicht eindeutig ist, was gerecht und was ungerecht bedeutet. Denn so sehr Gott parteiisch auf der Seite der Armen ist, ist er gerade deswegen auch auf der Seite derer, die darum wissen, dass sie irgendwie Teil der Strukturen sind, die Ungerechtigkeit und Leid produzieren. Gottes Barmherzigkeit beschränkt sich nicht auf eindeutige Fälle. Die Kraft der Taufe bewährt sich gerade dort, wo wir auch in komplizierter Gemengelage, tastend und suchend und auch scheiternd, dennoch nicht der Versuchung zur glatten Pseudolösung erliegen.
  • Was bedeutet all das für aktuelle Themen, die uns alle bedrängen? Wenn ich die Gedanken, die ich in der Bibel finde, zusammentrage, dann scheint mir:
  • Erstens: Wir müssen bereit sein, Schritte zu gehen und Positionen zu vertreten, die nicht behaupten für alles eine Lösung zu haben. Wir müssen auch bereit sein, zu Lösungen zu stehen, die nicht behaupten, dass alles ohne Einschnitte beim eigenen Reichtum geht. Als Bischof Overbeck von Essen das vor ein paar Tagen zu sagen wagte, wurde er im Internet von einer Hetzkampagne überzogen.
  • Zweitens: Wir sollten versuchen bereit zu sein, eigene Verstrickung in Schuld zuzugestehen, auch dort wo wir nicht gleich wissen, wie wir es besser machen können. Das allseitige Morden in Syrien hat irgend wie auch etwas mit unserem Öl-Konsum und den Wirtschaftsbeziehungen zu Saudi-Arabien und zum Iran zu tun; trotzdem kann Fahrradfahren allein noch nicht den Flüchtlingsstrom stoppen.
  • Drittens: Was zu leben lohnt, ist immer nur im Gegenüber zu den Menschen möglich. Keine Form der Abgrenzung hat Bestand, zumal nicht vor Gott, der Vater aller Menschen ist. Was immer daher künftig Versuche sein werden, mit dem Strom von Flüchtlingen umzugehen: Wir sollten gerade bei harten Maßnahmen nie darauf verzichten, dem Menschen ins Gesicht zu sehen, ihn als Menschen zu sehen und nicht nur als Problem. Das allein ist zwar nicht die Lösung, aber das ist die Haltung, die der Berufung würdig ist, die durch die Taufe an uns gegangen ist. Und die zu leben lohnt.

Amen.