Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 26. Sonntag im Lesejahr A 2014 (Philipperbrief)

Zurück zur Übersicht von: 26. Sonntag Lesejahr A

28. September 2014 - Kleiner Michel (St. Ansgar), Hamburg

1. Für Andere

  • Die Gemeinde ist nicht primär dazu da, ihren Pastor bei Laune zu halten. Es kann zwar sein, dass mancher Pastor das anders sieht. Ohnehin kommt in solchen Schieflagen eine erstaunlich ökumenische Übereinstimmung zum Vorschein, aber das ändert nichts daran: Es ist nicht das primäre Ziel einer christlichen Gemeinde, ihren Pastor bei Laune zu halten.
    Damit soll nicht der Apostel Paulus kritisiert sein. Ihm will ich das zubilligen. Nicht weil er der große und bedeutende Apostel ist - die sollen wie jeder Pastor ihrer Gemeinde dienen und nicht meinen, alles drehe sich um sie. Vielmehr billige ich es Paulus zu, weil er im Knast sitzt und er die Ermunterung gut gebrauchen kann. Er wartet auf seinen Prozess, ist guten Mutes, dass dem Richter auffällt, dass er offensichtlich zu Unrecht wegen seines Glaubens beschuldigt wird. Aber es schmerzt ihn sehen zu müssen, dass, kaum ist er - Paulus - außer Gefecht, manche andere schon anfangen, ihr eigenen Süppchen zu kochen. Zum Glück gibt es die große Mehrheit der Gemeinde, die wirklich vom Heiligen Geist erfüllt Zeugnis gibt von Jesus Christus. Das freut den Paulus. Zu Recht.
  • In dieser Situation schreibt Paulus den sehr freundschaftlichen Brief nach Philippi und bittet die Christen dort: "Macht meine Freude vollkommen"! Was freut den Paulus in seiner Gefangenschaft? Wenn die Christen in seiner Kirche "einander in Liebe verbunden sind, einmütig und einträchtig, dass sie nichts aus Ehrgeiz und nichts aus Prahlerei" tun.
    Wie ich als Christ in der Kirche lebe, soll sich also nicht um mich drehen, weder um meinen Erfolg noch um mein Wohlbefinden und schon gar nicht, damit ich damit prahle. Christ sein bedeutet vielmehr: 'Mensch sein für andere'. Und die Liebe, in der Christen mit einander verbunden sind, ist ebenso: für andere.
  • Von da her wäre das Motiv für die Philipper nicht das schlechteste: Lasst uns noch mal neu beginnen, ganz aus dem Geist Christi Kirche zu sein, um dadurch Paulus zu stärken, der um des Glaubens willen im Gefängnis sitzt.
    Vielleicht ist das die rechte Weise Gemeinde zu sein und Ökumene zu leben: Für andere. Wir erleben ja derzeit, dass Christen wie lange nicht um ihres Glaubens willen verfolgt und vertrieben, erniedrigt und ermordet werden. Es gibt manches, was wir tun könnten; die Financiers dieser Verbrechen sind gar nicht so weit weg von uns. Aber alles Engagement für verfolgte Christen könnte sich mindestens zeitgleich fragen lassen: Und wie lebst Du den Glauben, um dessentwillen andere verfolgt werden? Unser Glaube könnte vielleicht ungeahnt gestärkt werden, wenn wir aus dem Wissen leben, dass es für die Christen im Irak und in Syrien nicht gleichgültig ist, ob wir durch unsere Liebe Zeugnis geben von Christus: "einander in Liebe verbunden, einmütig und einträchtig, nichts aus Ehrgeiz und nichts aus Prahlerei".

2. In Demut einander schätzen

  • Von hier her verstehe ich auch einen anderen Gedanken des Paulus. Er schreibt: "In Demut schätze einer den andern höher ein als sich selbst". - Das fällt nicht nur manchmal schwer. Manchmal ist es einfach so, dass ich mich frage, ob wir uns nicht schnell selbst etwas vormachen, wenn wir ganz demütig immer und in allem die anderen höher einschätzen als uns selbst - und uns nur in der Demut von keinem übertreffen lassen.
  • Vielleicht meint Paulus aber eine viel konkretere, praktische Demut: Indem wir in allem die Perspektive von anderen einnehmen. Wir fragen gerne: Was bringt mir das? Wie wäre es zu fragen: Was bringt das anderen?
  • So kämen wir wieder zu der Definition von Christ-Sein (wie sie Pedro Arrupe so gerne betont hat): 'Menschen für andere' (Men for others). Das sind Menschen, die anderen den Vorrang geben - in diesem Sinn sie "höher schätzen als sich selbst", indem wir uns davon befreien lassen, immer nur alles um uns selbst zu drehen. Sie brauchen sich nur beim nächsten Obdachlosen, der uns anbettelt, vorzustellen, es sei ein Mario Götze, eine Angela Merkel oder der Dalai Lama - oder wem immer Sie den Vorrang geben würden. Achten Sie darauf, wie Sie dann den Obdachlosen sehen und Sie werden verstehen, was Paulus meint. So sollten wir Christen mit einander umgehen: Einander den Vorrang gebend.

3. Christus schenkt seine Gottheit

  • Wir reden hier nicht über moralische Vorschriften. Deswegen fügt Paulus an das bisher Gesagte ein altkirchliches Lied, einen liturgischen Hymnus, an. Der beginnt: "Jesus Christus war Gott gleich, hielt aber nicht daran fest, wie Gott zu sein". Luther übersetzt wörtlich: "hielt es nicht für einen Raub". Das heißt: Er, der vom Wesen her nicht nur wahrer Mensch, sondern auch wahrer Gott ist, sieht sein "wie Gott sein" nicht als 'Privatbesitz', um sich damit zu schmücken, sondern ist eben nicht nur 'Mensch für andere', sondern auch 'Gott für andere'.
    Wir müssen unsere Definition von Christsein also etwas erweitern: Christen lassen sich zu 'Menschen für andere' formen, indem sie sich beschenken lassen von dem 'Gott für andere'.
  • Gott ist nicht Gott für sich, sondern ist deswegen in Jesus Mensch geworden, weil er wesentlich 'Gott für andere' ist. Nichts anderes meint doch der Satz "Gott ist Liebe" (1Joh 4,8). Die Menschwerdung, jede Begegnung Jesu mit Menschen am Rande, sein Kreuz, jedes Mal, wenn er mir nachgeht, auch wenn ich auf ihn vergessen habe, jedes Mal, wenn ich in der Gemeinde oder im Gebet, in jedem Empfang des heiligen Sakraments des Altares - oder einfach im schweigenden Beten seines Namens  jedes Mal erfahre ich, wie Gott in Jesus der 'Gott für andere' ist.
  • Eine letzte Bemerkung zum Schluss. Das Lied, das Paulus zitiert, endet mit der kosmischen Vision, dass alle Schöpfung im Himmel und auf Erden bekennt: "Jesus Christus ist der Herr - zur Ehre Gottes, des Vaters". Dieses letzte "Zur Ehre des Vaters" sollten wir nicht vernachlässigen. Denn nur dann werden wir wirklich frei von aller auch versteckter Selbstsucht, wenn wir merken, dass Jesus, der als Mensch begreifbar und uns in so vielem nahe ist, von sich weg weist auf den unfassbaren, ewigen Vater. Ihm können wir nichts geben. Wir können nur die große Freude empfangen, zu seiner Ehre zu leben. Amen.