Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 26. Sonntag im Lesejahr A 2002 (Philipperbrief)

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29. September 2002 - Herz Jesu Frankfurt-Eckenheim

Der mittlere Teil der Predigt ist angeregt worden durch den sehr unterhaltsamen und sehenswerten Film "Mein Bruder der Vampir" (2001), der diese Woche ins Kino kam. Der wunderbar gespielte Erstlingsfilm von Sven Taddicken (Regie) und Daniela Knapp (Kamera) erzählt die Geschichte dreier Geschwister, deren ältestes, der geistig behinderte Josch, sich mir Vorliebe als Vampir verkleidet. Ansatzpunkt für meine Auseinandersetzung ist nicht das nur vordergründig anstößige Ende - so eindimensional, sich daran zu stoßen, sollte man Filme nicht sehen! -, sondern die darin transportierte "Lösung", einer gescheiterten Reifung in den Konflikten nach außen. Mein Bruder der Vampir

1. Freude

  • Wenn man wie wir im Gottesdienst nur Ausschnitte aus dem Philipperbrief hört, dann überhört man leicht ein Wort: Freude. Liest man den Brief am Stück, fällt auf, wie dieses Wort alles durchzieht. Harmlos klingt die Wendung in dem heute vorgelesenen Abschnitt: "macht meine Freude dadurch vollkommen, dass ihr eines Sinnes seid". Das klingt nach "Kinder, tut Eurem Paulus den Gefallen und vertragt euch!" Diese banale Lesart passt aber schlecht dazu, dass das Thema Freude den ganzen Brief durchzieht. Da steckt mehr dahinter. Paulus weiß was er meint, wenn er das Wörtchen "Freude" benutzt.
  • Inbegriff der Freude ist für manche vielleicht die Stimmung, die am Morgen nach der Bundestagswahl auf dem übernächtigten Gesicht der Wahlsieger zu sehen war: Freude darüber, es geschafft zu haben. Freude hat dann zu tun mit Erfolg und Bestätigung. Freude kann aber auch viel unschuldiger sein: im fließenden Übergang zu einfacher Unterhaltung und Spaß freut man sich halt. Nichts großartiges, aber halt eine Leichtigkeit der Seele, die Freude heißt.
  • Worüber aber freut sich ein Paulus? Was meint er, wenn er sich in fast jedem Absatz über diese Gemeinde in Philippi freut? An einer Stelle (2,17) verweist Paulus sogar ausdrücklich, auf seine Situation in der Gefangenschaft in der Stadt Ephesus, von wo aus er nach Philippi schreibt. Er ist dort gefangen wegen keines anderen Verbrechens als der Verkündigung des Evangeliums. Und dennoch - oder deswegen?? - freut er sich.

2. Gemeinschaft

  • Der Gipfel der Freude, scheint für Paulus zu sein, dass die Gemeinde in Philippi "eines Sinnes" ist. Er nennt sie "Schwestern" und "Brüder", fühlt sich zugehörig zu und verantwortlich für die Familie, die er in Philippi gegründet hat. Er wünscht sich nichts mehr, als dass diese Familie, diese Gemeinde von Christen eines Sinnes ist.
  • So schön das ist, es bleibt mir bei dem Gedanken ein flaues Gefühl im Magen. Liegt die Lösung darin, dass wir uns zusammenkuscheln in unserem kleinen Reihenhäuschen, eingefügt in das nivellierende Muster einer Vorstadtsiedlung? Bruder und Schwester beieinander, keine Fremden von außerhalb der Familie, die uns doch nicht verstehen und uns doch nicht die Zärtlichkeit und Nähe geben können, nach der die Seele schreit.
  • Vielleicht ist das jetzt schon die unfaire Karikatur eine Familie gewesen. Aber es steckt in der Sehnsucht vieler kirchlicher Christen - und vieler Deutschen! - doch die Tendenz nach der Häuslichkeit, in der wir uns selbst, ohne das Risiko der Welt da draußen, befriedigen und beruhigen.

3. ...hielt aber nicht daran fest

  • Sieht man genauer hin, dann merkt man, dass Paulus etwas anderes vorschwebt: Nicht die Familie als Raum der Geborgenheit, sondern ein spannungsvolles Verhältnis von innen und außen. Das "eines Sinnes sein" ist ihm nicht bereits Wert an sich. Es ist ein bestimmter Sinn, den Paulus sich für die Kirche in Philippi wünscht. Eine kirchliche Hierarchie genauso wie kirchliche Basisgruppen, die zwar Einheit wollen, aber die Sinnrichtung vergessen, ist ihm wenig wert.
  • Nach innen ist Einmütigkeit nur dann ein Wert, wenn sie ein Gegenmodell verwirklicht zu der Welt draußen. "In Demut", schreibt Paulus, "schätze einer den andern höher ein als sich selbst. Jeder achte nicht nur auf das eigene Wohl, sondern auch auf das der anderen". Eine Kirche Jesu Christi ist daran erkennbar, dass sie nicht Machtstrukturen widerspiegelt, die anderswo auch zu haben sind, und dass sie eine Alternative lebbar und erlebbar macht zu jenem Kreisen um den Moloch des eigenen Ich, das uns letztlich nur frustriert, aber eines nicht bringt: Freude. Vielmehr scheint Paulus im Zusammenleben der Christen in Philippi etwas gesehen zu haben von der Freude, die ihren Kreis nicht um das Einzelne Ich zieht, sondern wesentlich aus der Mit-Freude lebt.
  • Indem Paulus dann aber den großen Christus-Hymnus zitiert, macht er deutlich, dass diese Freude der Christen an einander keineswegs introvertiert ist, sondern eine Dimension hat, die weit darüber hinaus geht: Nicht nur die Fesseln seiner eigenen Gefangenschaft werden ihm zur Freude, weil sich dadurch die politisch motivierte Verfolgung ins Unrecht setzt. Der Christus-Hymnus macht vielmehr deutlich, dass diese Freude aus dem Gelingen der Gemeinde heraus strahlt und eine kosmische Dimension hat. Aus dem Leben und Erleben miteinander strahlt dann etwas auf von der Umkehrung der Gesetze von Herrschaft und Ansehen: Er, der war wie Gott, hat sich zu einem Sklaven gemacht und auch den Tod nicht gescheut. Diese Freiheitstat hat Gott mit göttlichem Namen gekrönt! Nicht die Freude des Siegers, nicht die Freude im hermetischen Raum, sondern die Freude, dass die Welt sich umwandelt, dass dies begonnen hat in dem einen aus Nazareth und sich widerspiegelt in der Gemeinde, die aus diesem Anfang lebt. Hoffentlich. Amen.