Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 25. Sonntag im Lesejahr C 2016 (1 Timotheus)

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18. September 2016 - Kleiner Michel (St. Ansgar), Hamburg

1. Keiner sucht sich die Welt aus, in der er lebt.

  • "Im Schönen Leben ist heute geschlossene Gesellschaft." Diesen Text habe ich vorgestern als SMS bekommen. Dabei war das "Schöne Leben" die Kneipe, wo wir uns treffen wollten. Aber warum sollte es da anders sein, als im wirklichen Leben: allzu oft "geschlossene Gesellschaft".
  • Keiner sucht sich die Welt aus, in der er lebt. Ein wenig können wir dekorieren, meist nur die Innendekoration. Ein wenig können wir wirklich verändern, aber dazu braucht es einen langen Atem und Sinn für das Machbare.
    Manche machen sich auf in ein anderes Land. Mehr oder weniger freiwillig, letztlich auf der Flucht ebenso wie bestimmt von der Hoffnung auf eine besseres Leben. Aber sie wissen, dass sie dort, wo sie ankommen, am Ende der Reihe anfangen müssen und nur darauf hoffen können, dass ihre Kinder eine Chance haben werden.
  • Dennoch sind Christen nicht der Meinung, man solle nichts tun. Im Gegenteil. Wir sollten nur versuchen realistisch zu bleiben.
    Sonst werden wir entweder wie unerzogene Kinder: Wenn etwas nicht nach ihrem Willen ist, werden sie grantig. Sie haben nicht gelernt, dass man auch lernen muss mit einer Welt umzugehen, die man sich nicht aussuchen kann. Oder wir werden wie die Zyniker, die wortreich erklären, man könne doch nichts verändern, und damit den eigenen Egoismus und die Bequemlichkeit verbrämen.

2. Die Welt nutzen, um darin rechtschaffen zu leben

  • Im Ersten Brief an Timotheus finden wir die Aufforderung, für alle zu beten. Paulus - oder die, die in seiner Tradition diesen Brief geschrieben haben - fordert auf "zu Fürbitte und Danksagung, und zwar für alle Menschen, für die Herrscher und für alle, die Macht ausüben". Das ist ein typisch christlicher Zugang zu der Frage, wie ich in einer Welt leben soll, die ich mir nicht aussuchen kann und die wir auch zusammen nie einfach mal eben nach unseren Vorstellungen zu einer idealen Welt umbauen können.
  • Die Christen waren damals eine Minderheit und sind es heute - und vielleicht waren Politik, Wirtschaft und Gesellschaft auch nie sehr viel christlicher geprägt, als es jedem einzelnen von uns gelingt, zu leben wie es dem Leben in Christus Jesus entspringt. Der Einfluss des Evangeliums ist begrenzt:

  • Den Ort wo wir arbeiten, können wir beeinflussen, indem wir die Menschen, mit denen wir zu tun haben, mit Respekt behandeln und indem wir unsere funktionale Vernunft der Frage des Glaubens stellen: Christus hat dich befreit - machst du andere unfrei? Aber vieles andere ist, wie es ist, und wir müssen lernen, damit zu leben.
  • Das Land wo wir leben, wird durch andere Strömungen als den Glauben bestimmt. In Bayern, ja selbst in Bayern ist es heute so weit, dass der Ministerpräsident es wegstecken kann, wenn die Bischöfe und sogar einstimmig alle Klöster und Ordensoberen seine Flüchtlings-Politik ablehnen. Dafür halten 80% der AfD-Wähler Herrn Seehofer für den geeigneten Kanzlerkandidat. Deutlicher kann der geringe Einfluss der Kirche auf die Politik kaum beschrieben werden.
  • Die Familie, in der wir leben, unser Freundeskreis und die Leute, mit denen wir so zusammen sind, sind Menschen, die wir uns mehr oder weniger ausgesucht haben - oder dass wir uns ausgesucht haben, sie nicht zu verlassen. Aber wenn wir nicht als Einsiedler leben wollen, müssen wir auch dort lernen damit zu leben, dass nicht alles heiter und harmonisch und gerecht zugeht.
  • Wenn dem so ist, kommt es darauf an, sich dadurch nicht bestimmen, entmutigen, zynisch werden zu lassen. Das geschieht zu aller erst dadurch, dass wir nicht aufhören zu beten, und zwar für alle.

3. Christus, der sich als Lösegeld gegeben hat für alle

  • Ich kann als Christ nicht "frei von Zorn und Streit" oder wie etwas altbacken heißt "in aller Frömmigkeit und Rechtschaffenheit ungestört und ruhig meinen Glauben leben", wenn ich nicht lerne damit zu leben, dass ich mir die Welt nicht für mich aussuche.
  • Vielleicht steht die Ermahnung, "für die Herrscher und alle, die Macht ausüben" zu beten deswegen da, weil Paulus keinen Vorwand geben wollte. Weil die Christen bei dem römischen Staatskult nicht mitmachen und die Staatsgötter nicht verehren wollten, galten sie ohnehin als atheistisch und staatsfeindlich. Deswegen dürfte für die christliche Minderheit wichtig gewesen sein, sagen zu können: Wir fühlen uns ebenso verpflichtet, für die Herrscher zu beten, wie alle anderen auch. Nur, dass wir christlich beten, denn nur "Einer ist Gott".
  • Aber dieses Gebet für die Herrschenden - und auch heute wählen wir sie uns nur in Kompromissen mit vielen anderen aus - hat immer auch die Innenseite. Ich nehme die Herrschenden, die Menschen die zufällig oder aus Grund etwas über mich zu bestimmen haben, die vielfach mein Leben regieren  - all diese Menschen nehme ich mit hinein in meine Beziehung zu Gott, indem ich für sie bete.
    Kann uns das als Christen nicht gelingen: auffällig nicht mitmachen bei dem abfälligen, polarisiernden und oft sogar hasserfüllten Reden über den politischen Gegner, beim Friseur, im Freundeskreis oder im Internet? Kann ich Tag für Tag für jemand zu dem Gott beten, der "will das alle Menschen gerettet werden" und dabei hassen? Es mag nur wie eine Kleinigkeit aussehen. Vor Menschen mag es lächerlich sein, für mich aber verändert es die Welt, weil dann Gott in allem seinen Platz hat. Amen.