Predigt zum 24. Sonntag im Lesejahr A 2011 (Römerbrief)
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11. September 2011 - Kleiner Michel (St. Ansgar), Hamburg
1. Könige und Sklaven
- Verehrte königliche Gesellschaft! Oder aber: Ihr Sklaven! Mit beiden Anreden kann ich mich auf die Heilige Schrift berufen.
- Einerseits spricht Christus seine Jünger als Erben des Königreiches Gottes an. Auch wenn heute die Monarchien ausgedient haben, können wir verstehen, dass damit ausgedrückt ist: Dass kein Mensch über uns steht und wir direkt zu Gott gehören, wie erbberechtigte Kinder. Der christliche Glaube hat daher keine Sklavenmoral, sondern atmet, wo er authentisch ist, königliche Souveränität.
- Und doch greift die Bibel auch auf das konträre Bild zurück. Gerade, weil er zu 'königlichen Menschen' spricht, taucht in den Gleichnissen Jesu die konträre Zuschreibung auf: Betrachte dich wie einen Sklaven! Diese Zumutung im Vergleich benutzt Jesus immer dann, wenn er ganz deutlich machen will, dass die ganze königliche Würde verloren geht, wenn wir uns richtend und verurteilend über einander erheben. Darin liegt der Unterschied von Gottes Königreich zu menschlichen Herrschafts-Reichen. Es basiert darauf, dass Gott uns hoch achtet, und man kann mit ihm nur Gemeinschaft haben in der Liebe. Wer es vorzieht, seinen Bruder niederzumachen wird vom Königssaal weg im Kerker seines eigenen Egoismus landen.
2. Über einander urteilen
- Dieser Zusammenhang ist der Hintergrund, wenn Paulus im Brief an die Christen von Rom schreibt: "Ob wir wachen oder schlafen, wir gehören dem Herrn." Darin klingt das königliche zugehörig ebenso an wie die Tatsache, dass wir im Dienst seines Evangeliums stehen.
- In dem Abschnitt, den wir gehört haben, greift Paulus einen interessanten Konflikt auf. Einige in der Gemeinde strukturieren ihr Glaubensleben, indem sie bestimmte Tage besonders feiern und beim Essen auf Fleischspeisen verzichten. Andere tun das nicht. Interessant ist, dass Paulus diejenigen, die ihren Glauben ausdrücklich und in Zeichen praktizieren, die im Glauben "Schwächeren" nennt, diejenigen, die auf Solches verzichten, nennt er die im Glauben "Stärkeren". Beiden billigt Paulus ihre Glaubenspraxis zu. Nur, sie sollen nicht über einander urteilen, denn - hier ist das Argument - sie gehören dem Herrn.
- Ganz fremd ist uns die Situation in der Kirche von heute nicht. Gerade unter jüngeren Christen, bezeichnender Weise nicht nur in der römisch-katholischen Kirche, ist ein deutlicher Trend, Riten, Liturgie und äußere Zeichen mehr Wert zu schätzen, als es die meisten Alten tun; diese haben das Gefühl, hier kehre zurück, wovon ihre Generation (ich gehöre wohl auch noch dazu) sich befreit haben, dem Ritualismus und Rigorismus der vorkonziliaren Zeit. Beide Gruppen urteilen nicht selten sehr scharf über einander; im Internet wird da mit besonders harten Bandagen gekämpft. Dabei gibt es da ja noch die Gruppe derer, die Christen und Mitglieder ihrer Kirche sind, aber nur ganz selten Gottesdienste mitfeiern und am Leben der Gemeinde teilnehmen. Auch aus dieser Gruppe kenne ich verurteilendes Reden über die praktizierenden Christen, und auch über sie wird geurteilt, sie seien nur Taufscheinchristen.
3. Stark und schwach im Glauben
- Sicher würde Paulus jeder Gruppe widersprechen, wenn sie über die andere urteilt. Sein Argument: Ihr alle seid Eigentum des einen Herrn. Ihm allein stünde das Urteilen zu. Er ist es aber auch, der uns mit unserem verschiedenem Bedürfnis und den unterschiedlichen Weisen zu glauben zusammen geführt hat. Selbst dort, wo die Unterschiede uns in Konfessionen trennt, hat Gott uns heute viele Orte der Begegnung geschenkt. Nicht über einander urteilen sollen wir, sondern einander beschenken und bereichern.
- Spannend wäre da noch die Frage, wer von uns die im Glauben Schwachen, wer die Starken seien? Nach Paulus schien zu gelten: Je mehr Ritus, je öfters zur Kirche gehen, desto schwächer im Glauben; die nur ganz selten einen Gottesdienst 'nötig haben', wären die Starken im Glauben. Mir scheint, keine der Gruppen in der Kirche heute würde diese Einschätzung teilen, gerade auch die nicht, die sich selbst am Rand der Kirche fühlen und selten in der Kirche auftauchen. Vielleicht stiftet Paulus ganz einfach heilsame Verwirrung: Wer ist schon stark, wer ist schon schwach im Glauben? Wenn Du merkst, dass Du dabei bist über andere zu urteilen, dann sage Dir einfach, Du seist der Stärkere im Glauben und nimm Dich entsprechend zurück, denn Du kannst es Dir erlauben, stark im Glauben, wie Du bist.
- "Ob wir leben oder ob wir sterben, wir gehören dem Herrn." Das ist zunächst ein Satz aus der Sprache des Eigentumsrechtes der Antike, die eine Sklavenhaltergesellschaft war. Paulus dreht dieses Denken um, wenn er es auf unser Verhältnis zu Christus anwendet. Er, in dem Gott gegenwärtig ist, macht uns frei davon, stark sein zu müssen, indem er uns freikauft von denen, die meinen im Leben Macht über uns zu haben. Christi Herrschaft ist anders und sie ist umfassender. Nicht einmal der Tod kann uns mehr schwach machen. "Denn Christus ist gestorben und lebendig geworden, um Herr zu sein über Tote und Lebende."
Jedem ist es selbst aufgetragen, zuzusehen, ob er für diesen Glauben die Erfahrung der Gemeinschaft, ihre Liturgie und ihre Formen braucht, um die Stärke Gottes erfahren zu können. In keinem Fall aber sollte dies Grund sein, einander zu verurteilen. Denn wir alle sind königlicher Abstammung und dienen doch, allerdings nur dem einen, dem wahren Herrn. Amen.