Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 23. Sonntag im Lesejahr C 2016 (Philemon)

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4. September 2016 - St. Theresien, Hamburg-Altona

1. Radikale Forderung

  • Jesus war offensichtlich radikal aber nicht fanatisch: Einerseits haben das immer einzelne Christen für sich wörtlich entdeckt und verstanden: "Keiner von euch kann mein Jünger sein, wenn er nicht auf seinen ganzen Besitz verzichtet". Andererseits war von Anfang an klar, dass auch Menschen, die bereit waren, das nicht wörtlich zu nehmen zur Gemeinde dazu gehören konnten.
  • In der Kirche hat es immer Menschen gebraucht, die dieses Wort, auf den ganzen Besitz zu verzichten, wörtlich genommen haben; diese Christen haben einen wichtigen Beitrag zur Kirche geleistet. Andererseits war immer klar, dass es hier zugleich um eine geistliche, inner Einstellung geht: Menschen, die Christus nachfolgen, sind auf dem Weg der Unabhängigkeit und Freiheit gegenüber den Dingen, Besitz und Machtanspruch.
  • Insofern ist es ein Glücksfall, dass uns aus den ersten Jahren der Kirche ein Brief überliefert ist, den Paulus an einen gewissen Philemon geschrieben hat. Wem die ganze Bibel zu dick ist, um sie aufzuschlagen, sollte mit dieser kleinen Schrift im Neuen Testament in der Bibel beginnen. Denn hier wird in wenigen Zeilen deutlich, wie unter diesen ersten Christen versucht wurde, praktisch zu leben, was das Evangelium so radikal fordert.

2. Philemon und Onesiumus

  • Philemon war aus Ephesus und Christ geworden. Paulus kennt ihn aus seiner Zeit dort und hatte offenbar den Eindruck, dass Philemon versucht, den Glauben an Jesus zu leben und umzusetzen. Außerdem war Philemon jemand der einem Haushalt vorstand, der nicht arm war.
    Auf jeden Fall war er wohlhabend genug, um einen Sklaven zu haben. Das war damals etwas völlig normales, wie heute wohlhabende Leute Angestellte im Haushalt oder der Firma haben. Die wenigen Christen in der Antike haben erst langsam begonnen, sich zu fragen, ob das auch für sie so selbstverständlich sein soll. Aber zunächst war das die damals - und in der Geschichte in fast allen Gesellschaften, die nicht stark christlich geprägt waren - ein normaler und wichtiger Teil der Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung.
  • Dem Philemon nun war ein Sklave entlaufen. Auch das kam vor und der Staat sah es als seine Aufgabe, entlaufene Sklaven an ihre Herren zurück zu liefern, damit sie dort bestraft würden. Onesimus war so einer; er war dem Philemon entlaufen und hat ihm damit wirtschaftlichen Schaden zugefügt. Philemon dürfte ihn selbstverständlich als Entlaufenen gemeldet haben und jeder würde erwartet haben, dass Onesimus hart bestraft würde, wenn er gefasst und zurück gebracht wird.
  • Der Zufall aber will es, dass Onesimus auf Paulus trifft, der wegen seiner Glaubensverkündigung verhaftet wurde und auf seinen Prozess in Rom wartet. Damals gab es keine Gefängnisküche, sondern die Gefangenen mussten sich selbst darum kümmern, dass ihnen jemand etwas zu essen brachte. Wie Onesimus in die Situation kam, dem Paulus während seines Gefängnisaufenthaltes zu unterstützen, wissen wir nicht. Tatsache aber ist, dass Onesimus selbst überzeugter Christ geworden, ja, dem Paulus sogar ein guter Freund geworden ist.
    Vor diesem Hintergrund schreibt Paulus den Brief, aus dem wir die Kernsätze heute als Lesung gehört haben. Paulus überredet Onesimus, nach Hause zurück zu kehren und sich zu stellen. Zugleich bittet er Philemon dazu, auf die Strafe zu verzichten. Ja, er versucht ihm Wege zu zeigen, wie er sein Verhältnis zu Onesimus zu überdenken - und gibt dabei Anstöße für alle Christen, ihr Verhältnis zum Rechts- und Wirtschaftsinstitut der Sklaverei zu überdenken.

3. Bruder und Mensch

  • Der Brief ist keine theoretische Abhandlung über Sklaverei. Er richtet sich an einen ganz konkreten Freund in einer ganz konkreten Situation: an Philemon, der einen wirtschaftlichen Schaden erlitten hat, weil ihm ein Sklave entlaufen ist. An der Stelle können wir uns auch aus heutiger Perspektive vielleicht ganz gut in die Situation des Philemon hinein denken.
  • Was Paulus mit seinem Brief leistet, ist dass er dem 'wirtschaftlichen Schaden' ein menschliches Gesicht gibt. Der Sklave Onesimus ist nicht einfach ein Wirtschaftsfaktor, sondern ein Mensch. Paulus macht das dadurch deutlich dass er Philemon schreibt: Sieh her, dieser Onesimus, der für die einfach nur nützlich in der Firma und im Haushalt war, er ist für mich ein Freund ("mein eigenes Herz") geworden. Er ist nun Christ wie Du ("vor dem Herrn"), und damit wird deutlich: Er ist ein Mensch wie du! ("nicht mehr als Sklaven, sondern als weit mehr: als geliebten Bruder. .... als Mensch und auch vor dem Herrn").
  • Das könnten wir heute als Kirche sein: Eine Gemeinschaft, in der wir einander annehmen als Geschwister, in Christus Bruder und Schwester, egal woher wir kommen, egal, was unsere wirtschaftliche und soziale Situation sind. Über einen, den ich als Christ kennen lerne, an dem ich erfahre, dass Gott ihn liebt, kann ich nicht mehr abstrakt ein Urteil fällen. Sein Menschenantlitz wird unübersehbar. Ganz konkret. Amen.