Predigt zum 22. Sonntag im Lesejahr C 2004 (Hebräerbrief)
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29. August 2004 - Universitätsgottesdienst St. Ignatius, Frankfurt
1. Feier
- Jeder wird die Feier der Messe auf andere Weise erleben. So sehr
es der
eine Gottesdienst ist, den wir zusammen feiern, so sehr verschieden
sind unsere
Erwartungen und unser Verständnis dessen, was hier eigentlich
geschieht.
Vielfach unterschiedlich, was davon uns wichtig ist; vielfältig
nicht
zuletzt die Stimmung, in der jeder hier her kommt. So verschieden
die Erwartung
und Erfahrung, so verschieden auch, was man vermisst.
Nicht wenige suchen in der Messe vor allem die Erfahrung des
Heiligen. Auch
wenn man es anders benennt, ist die Suche unverkennbar nach dem, was
nicht
beliebig verfügbar ist. Zu vieles ist banal, und es rührt daher
die Hoffnung, dass etwas Göttliches aufscheint, das zumindest für
den Augenblick der Banalität entreißt. Die Suche nach dem Heiligen
fasziniert gerade deswegen, weil es unnahbar ist, der Verfügung der
Menschen
entzogen.
- Manche führt dies dann in die wenigen Gottesdienste, die in
geheimnisvollem
Latein und in der alten Form gefeiert wird, wie sie im 16.
Jahrhundert festgelegt
worden war. Die Verteidiger der alten lateinischen Messe des
Spätmittelalters
fühlen sich ganz und gar nicht als Auslaufmodell. Sie meinen den
Gral
zu hüten, der erst noch erstrahlen wird. Sie fühlen sich nicht
selten
als die "wahre Kirche", während die offizielle Kirche und die breite
Palette der katholischen Gemeinden der Häresie der Formlosigkeit
verfallen
seien.
- Auch bei den Traditionalisten ist viel Individualismus im Spiel.
Bei den
älteren sind es Kindheitserinnerungen an das Numinose,
Unverstandene,
das sie doch intensiver erlebt haben, als alles, was moderne
Liturgie ihnen
bietet. Aber auch Jüngere finden sich in diesem Publikum. Sie sind
es,
die sich als Avantgarde der Wiederkehr des Wahren und Alten fühlen,
auch
wenn sich dieses Gefühl nur mit viel Polemik gegen den status quo
behaupten
lässt. Gemeinsam aber ist den meisten Traditionalisten, dass sie der
Kirche vorwerfen, das Heilige aus dem Gottesdienst eliminiert und
die Messe
banalisiert zu haben.
2. Berührbarer Berg vs. Geistige Stadt
- Der Hebräerbrief kann leicht missverstanden werden. Nicht nur die
Passage aus der heutigen Lesung könnte so klingen,
als richte sich der Text gegen das Alte Testament, gegen Mose und gegen
die Offenbarung am Berg Sinai. Diese
Interpretation übersieht aber, dass der gesamte Brief seine Argumente
auf dem Boden des Alten Testamentes und der
Offenbarung an das Volk der Juden entwickelt. Deswegen auch wurde diese
Ermutigungsschrift aus dem späten ersten
Jahrhundert später "Hebräerbrief" genannt.
- Der Hebräerbrief ist nicht gegen das Alte Testament. Er zeigt die
Fortführung, Erfüllung und Überbietung der
Offenbarung im Alten Bund durch das Kommen Gottes in Jesus Christus. Er
zeigt den Menschen aus allen Völker, dass
sie zu dem einen Volk Gottes berufen sind. Gerade an der heutigen Lesung
wird deutlich, dass dieser Weg eine Richtung
hat. Vom sinnlich-greifbaren Bereich in den geistlichen Bereich, vom
erdverbundenen zum himmelverbundenen
Ereignis. Darum betont die Lesung den Gegensatz von der Erfahrung des
Moses-Bundes vom Berg am Sinai zum neuen
Bund in Christus.
- Die alte Erfahrung betont den Schrecken Gottes. Das Feuer ist ein
solches Bild der Erfahrung des unnahbaren, heiligen
Gottes. Die dunkle Wolke, der Sturmwind, die Stimme wie eine Posaune, in
all dem hat das Volk Israel die Erscheinung
Gottes beschrieben und die Erfahrung, dass Gott heilig ist: "mysterium
sacrum, tremendum et fascinosum",
erschütterndes und begeisterndes Geheimnis.
Dazu, sagt der Hebräerbrief, sind wir in der Taufe nicht hinzugetreten,
sondern zur Stadt des lebendigen Gottes, dem
himmlischen Jerusalem. Das Geistige des Neuen wird betont gegenüber dem
Sinnlichen (mit Paulus gesprochen:
fleischlichen) des Alten. Stand das Volk am Sinai voll Schrecken auf dem
Boden der Erde, so sieht der Hebräerbrief das
Neue Volk einziehen in die Gemeinschaft der Vollendung im Himmel.
3. Die festliche Versammlung
- Es fällt auf, dass die Gotteserscheinung am Sinai nur äußerlich
beschrieben ist. Nicht um die Offenbarung Gottes oder um den Inhalt,
die zehn
Gebote, geht es, sondern um die Form der Erfahrung. Nicht zuletzt
geht es
um den Kult. Im neuen Bund, in Jesus Christus, ist Gott den Menschen
auf eine
Weise nahe gekommen, dass die Erscheinung Gottes nicht mehr mit
Schrecken
verbunden ist. Der Vorhang im Tempel ist zerrissen, weil Gott sich
in seiner
Liebe gezeigt hat (vgl Mt 27,51). Gott der Richter aller, tritt für
die
Armen ein und lädt sie in sein Reich. Sie stoßen zur Festversammlung
im Himmel.
- Das ist es, was wir im Gottesdienst feiern. Deswegen trägt die
Messe
Züge einer Versammlung und eines Mahls. Aber darüber darf nicht
vergessen werden, wie heilig diese Versammlung ist und wie heilig
Gott in
unserer Mitte ist. Die Liturgie darf daher nicht einseitig nur noch
die Gemeinschaft
darstellen, weil es nicht irgendeine beliebige Gemeinschaft ist,
sondern die
Versammlung um Gottes Thron. Darum geht etwas wesentliches verloren,
wenn
die Erfahrung des Heiligen aus der Messe verbannt würde, wenn es
hier
nur um Geselligkeit, ergänzt um etwas Belehrung ginge. In der
Symbolik
der Messe muss darum die Heiligkeit Gottes erfahren werden, gerade
weil er
uns so nahe ist.
- In der Vielfalt der Kulturen und Erfahrungen wandelt sich auch die
Messe.
Aber jede Kultur und jeder einzelne von uns bleibt aufgefordert, die
Messe
in einer Form zu gestalten und mit zu feiern, in der das Geheimnis
der Gegenwart
Gottes nicht verloren geht. Der Hebräerbrief weist den Weg von der
schreckenden
Erfahrung zur Anbetung. Nicht ob wir knien oder stehen macht den
Unterschied.
Man kann sich kniend in die Bank fläzen aber auch herumstehen, als
würde
man am Bahnhof auf den Zug warten. Man kann aber auch niederknien
vor dem
Geheimnis Gottes im Sakrament oder auch voll Ehrfurcht und in
Anbetung stehen
vor dem Heiligen in unserer Mitte. Immer ist es Christus, durch den
wir beten
und ist es der Herr, dessen Gegenwart unsere Versammlung erfahrbar
macht.
Amen.