Predigt zum 21. Sonntag im Lesejahr C 2025 (Jesaja)
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23. August 2025 - Mariae Geburt, Traubing
1. Freunde
- Echte Freundschaft lässt wachsen im Guten. Freunde sehen im Anderen die Stärken und ermutigen sie dadurch. Eine Freundschaft ist nur so viel wert, wie sie wachsen lässt, nicht niederdrückt.
- Das unterscheidet Freunde von den Kumpanen einer Verbrecherbande. Da geht es um gemeinsam Böses tun. Auch schafft es keine Freundschaft, gemeinsam eine Linie zu sniffen, denn erfahrungsgemäß geht dann es bald nur noch darum. Geschäftsfreunde machen Deals; man mag sich dabei persönlich sympathisch sein oder nicht, letztlich geht’s ihnen nur ums Geschäft.
- Die meisten von uns haben als junge Menschen Spaß miteinander gehabt; andere haben sich Jugendfreunde zumindest gewünscht. Aber nur dann gelingt und bleibt die Freundschaft fürs Leben, wenn beide spüren: Der andere tut mir gut und ich ihn. Pathetisch: Durch Dich werde ich ein besserer Mensch, weil Du Wertvolles in mir siehst und zum Wachsen bringst.
2. Völker
- Ich erinnere an dieses Verständnis echter Freundschaft, weil ich einen Zugang zur Lesung aus dem Buch Jesaja gesucht habe. Es sind die letzten Verse aus diesem Prophetenbuch und sie öffnen eine Perspektive darauf, dass die vielen Völker von Spanien bis nach Somalia von Libyen bis nach Kleinasien alle nach Jerusalem kommen werden, um dort in Frieden zusammen zu leben und Gott zu dienen. Das ist die Verheißung der Bibel.
- Wenn ich das nicht als nette Fantasie abtun will, frage ich mich, wie der Weg zu solchem Frieden sein kann. Und da bin ich schnell bei der Unterscheidung, die ich auch bei der Freundschaft sehe: Natürlich können Völker friedlich zueinander sein, um gute Geschäfte machen zu können. Nur, wie wir aktuell sehen, ist es mit solcher Freundschaft der Deal-Maker nicht weit her. Und wenn sich mit dem Schurken von nebenan ein besserer Deal machen lässt, dann gilt dem die künftige Freundschaft.
- Frieden jedoch braucht gemeinsame Werte, mehr noch aber die Wertschätzung des Anderen, die auch bei Freundschaft die Grundlage ist. – Das Buch Jesaja spiegelt eine lange Entwicklung innerhalb des Volkes Israel wieder, die geprägt ist von einer wachsenden Wertschätzung der anderen Völker, unter die die Israeliten zerstreut worden sind. Am Ende, ganz am Ende steht die aus biblischer Perspektive höchste Vision, dass aus allen Völkern Leviten berufen werden.1
3. Gemeinsames Streben
- Das erste Geheimnis des Friedens ist also der wertschätzende Blick. Frieden entsteht dort, wo Menschen, ganz wie für Jesaja die in der Diaspora zerstreuten Israeliten, unter den anderen Völkern leben und beginnen, das Wertvolle in ihnen wertzuschätzen.
- Das zweite Geheimnis des Friedens ist das gemeinsame Ziel. Im Tagesgebet zu Beginn der Messe hieß es: "Du verbindest alle, die an dich glauben, zum gemeinsamen Streben." Daran erkennen wir das Werk Gottes, dass Menschen zu einem gemeinsamen Ziel geführt werden: Die Anerkennung der Würde der Menschen, ihrer Kulturen und Religionen. Das ist weit mehr als nur die abstrakte Anerkennung der Charta der Menschenrechte – obwohl schon das viel wäre.
- Schließlich, so bin ich überzeugt, ist das Geheimnis des Friedens wie der Freundschaft, die Anerkennung, dass Gott immer und in allem größer ist als alles, was ich mir vorstelle. Er lädt mich ein, einen Anfang zu machen im gemeinsamen Glauben der Kirche. Doch wie ahnen nur ansatzweise, wozu er alle Völker zu führen vermag.
1 Die Formulierung "auch aus ihnen nehme ich einige" in Vers 21 kann sich rein grammatikalisch sowohl auf die vielen Völker beziehen wie auch auf die Israeliten, die Brüder in diesem Völkern. Vielleicht ist diese Doppeldeutigkeit gewollt und drückt die dynamische Perspektive aus.
Zum Hintergrund des 1. Punktes:
Aristoteles entwickelt seine Lehre der Freundschaft im 8. und 9. Buch der Nikomachischen Ethik. Darin unterscheidet er verschiedene Formen der philia (Freundschaft, Zuneigung, Liebe) und begründet, warum die höchste Form der Freundschaft darin besteht, das Gute im anderen zu fördern.
1. Drei Arten der Freundschaft
Aristoteles unterscheidet drei Typen:
1. Freundschaft um des Nützlichen willen – Partner sind befreundet, weil sie gegenseitigen Nutzen haben (z. B. Geschäftsfreunde).
2. Freundschaft um des Angenehmen willen – man ist befreundet, weil man Freude, Unterhaltung oder Vergnügen am anderen hat.
3. Freundschaft um des Guten willen (arete-Freundschaft) – man liebt den Freund um seiner selbst willen, weil er gut ist und weil man möchte, dass er als guter Mensch gelingt.
Die ersten beiden sind eher oberflächlich und vergänglich. Nur die dritte ist dauerhaft, weil sie auf der Tugend (arete) gründet.
2. Warum die höchste Freundschaft das Gute im anderen fördert
Aristoteles’ Begründung läuft über mehrere Punkte:
a) Liebe zum Guten im Anderen:
Echte Freundschaft entsteht, wenn man den anderen um seiner selbst willen liebt – und nicht wegen Nutzen oder Lust. Da das „Selbst“ des anderen wesentlich durch Tugend und Charakter bestimmt ist, heißt das: man liebt den anderen, indem man seine Tugend anerkennt und mit ihm zusammen das Gute lebt.
b) Gemeinsames Streben nach dem Guten:
Freunde teilen nicht nur Freude oder Nutzen, sondern das Ziel, tugendhaft zu leben. Freundschaft ist so eine Art „Kooperation im Guten“. Sie sind Mithandelnde im tugendhaften Leben.
c) Selbstliebe als Grundlage:
Aristoteles sagt: Nur wer sich selbst wirklich liebt (im Sinne von: das Gute in sich selbst pflegt), kann ein wahrer Freund sein. Denn Freundschaft ist wie eine „erweiterte Selbstliebe“: Im Freund erkennt man ein zweites Selbst. Deshalb will man auch, dass der Freund das Gute erreicht – wie man es für sich selbst will.
d) Dauerhaftigkeit und Stabilität:
Lust und Nutzen vergehen. Das moralisch Gute ist hingegen beständig. Deshalb ist die Förderung des Guten im Freund das Einzige, was eine Freundschaft dauerhaft macht.
3. Teleologischer Hintergrund
Aristoteles denkt teleologisch: Alles strebt nach einem Ziel (telos), beim Menschen ist das Ziel das glückselige Leben (eudaimonia), das nur durch Tugend erreicht wird.
Da Freundschaft ein wesentlicher Teil des guten Lebens ist, muss auch sie auf dieses Ziel hin geordnet sein.
Darum sieht Aristoteles die höchste Form von Freundschaft darin, dass Freunde sich gegenseitig bei der Verwirklichung ihres Telos, der Tugend und Glückseligkeit, unterstützen.