Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 21. Sonntag im Lesejahr B 2000 (Johannes)

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27. August 2000 - St. Michael, Göttingen

1. Du bist der Heilige Gottes

  • Es hat etwas von Trotz. Petrus antwortet hartnäckig, trotzig, wie einer, der keine Alternativen kennt. Nicht heillos, aber alternativlos fühlt er sich: "Herr, zu wem sollen wir gehen?" Wir haben unsere Familien verlassen, wir sind mit Dir aufgebrochen, wir haben erkannt und glauben - was können wir jetzt anderes tun, als bei dir bleiben.
    Wenn Jesus den Petrus und die Zwölf fragt, ob nicht auch sie weggehen wollen wie die Mehrheit der Jünger, die sich von ihm angewandt hatten, dann treibt er sie damit in die Ecke, er treibt sie ins Bekenntnis: "Herr, zu wem sollen wir gehen?", Wir sind dir verfallen.
  • Es gibt unzählige Zeugnisse für diese Erfahrung, nicht nur in der Heiligen Schrift. Menschen kommen von Gott nicht los, sie sind Gott verfallen. Es ist nicht so, dass sie von nüchtern-neutralem Boden aus sich die Frage stellen, Soll ich zu Gott halten?, so als gälte es eine allgemeine Frage allgemein zu beantworten, aus unbeteiligter Perspektive. Wie nur Liebende einander, so können Menschen Gott verfallen, ob glücklich verliebt oder unglücklich verliebt ist dabei gar nicht entscheidend.
  • "Wir sind zum Glauben gekommen und haben erkannt", sagt Petrus. Beides zusammen und ineinander, Erkennen und Glauben, Sehen und Einsatz der eigenen Person. Wem sind sie verfallen? - "Wir sind zum Glauben gekommen und haben erkannt: Du bist der Heilige Gottes". Das Heilige ist präzis, was die Zwölf gepackt hat, der Ort, an dem das Kontinuum der Welt aufgebrochen ist durch eine Erfahrung dessen, der mit dem Alltäglich-Üblichen unvereinbar ist, der quer steht zur Horizontalen der Welterfahrung, der Heilige Gottes.

2. Wer kann das anhören?

  • Viele der Jünger Jesu hatten ihn verlassen. "Was er sagt ist unerträglich. Wer kann das anhören?", sagen sie. Es ist nicht gesagt, dass sie Jesus nicht glauben. Es ist nicht gesagt, dass sie Zweifel daran haben, was Jesus sagt, daran, dass Gott existiert oder dergleichen. Der Punkt ist: Es wird ihnen unerträglich. Sie murren - wie es im Evangelium vor zwei Wochen schon von der Menge der Leute zu Beginn der Rede Jesu berichtet wurde im 6. Kapitel bei Johannes. Die Jünger waren bei Jesus geblieben, haben gehört, was er sagte und fanden es unerträglich. Sie nehmen Anstoß.
  • Der Inhalt des Anstoßes war Text des Evangeliums am letzten Sonntag. Jesus hat über sich gesprochen, das Brot des Lebens. Das Murren der Vielen hat eingesetzt, als Jesus von sich sagt, er sei vom Himmel herabgekommen. Das mögen sie nicht glauben. Sie murren und widersprechen.
    Nicht so die Jünger. Sie haben Jesus schon zu gut kennen gelernt um zu wissen, welcher Ernst hinter dem Anspruch steht. Sie wissen und glauben, dass in ihm Gott selbst den Menschen begegnet. Der geistige Jesus, der geistige Glaube, das macht ihnen keine Probleme.
    Als Jesus, der vom Himmel herabgekommene, aber sinnlich-konkret wird, da wird es den Jüngern unerträglich. "Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, hat das ewige Leben, und ich werde ihn auferwecken am Letzten Tag. Denn mein Fleisch ist wirklich eine Speise, und mein Blut ist wirklich ein Trank."
    Das Ungeistige des Glaubens ist ihnen unerträglich. Sie mögen an Gott glauben, aber nicht an die empirische Gegenwart Gottes. Sie mögen an den vom Himmel herabgekommenen glauben, aber nicht daran, dass das Essen seines "Fleisches" - welch widerliche Vorstellung! - zum ausschlaggebenden Kriterium für die Auferweckung zum Leben werden kann.
  • Die Jünger glauben, aber sie haben einen esoterischen Glauben, einen der das Himmlische und Heilige auf Erden erfahrbar macht, aber doch getrennt bleibt von der Welt des Alltags. Sie sind religiöse Menschen, aber es ist ihnen unerträglich, sich vom Heiligen berühren zu lassen, gar das Heilige zu berühren, ihm zu verfallen, sich auf es einzulassen in irdischer Gestalt. Die Vertikale des Heiligen droht die Horizontale ihrer Welt zu durchbrechen. Das ist ihnen unerträglich. Sie nehmen Anstoß.
    Jesus bringt denn auch ihre Einwände auf den Punkt: "Was werdet ihr sagen, wenn ihr den Menschensohn hinaufsteigen seht, dorthin, wo er vorher war?" Wenn das Heilige eure physische Existenz nicht erreicht, weil euch das unerträglich ist, könntet ihr dann je erkennen, dass der Menschensohn zum Himmel aufsteigt? Das Fleisch, das schwache, welke Fleisch wird zum Himmel aufsteigen!

3. Wenn es ihm nicht vom Vater gegeben ist

  • Der Unterschied zwischen denen, die bei Jesus bleiben, und denen, die sich abwenden, liegt also nicht darin, dass die einen religiöser sind als die anderen. Fast möchte man sagen: Im Gegenteil. Die Zwölf sind irdischer als die anderen, die Anstoß nehmen. Petrus und die anderen der Zwölf sind irdisch genug, um am Essen des Heiligen Fleisches keinen Anstoß zu nehmen.
  • [Jesus sagt, dass es das Wirken Gottes selbst ist, das den Unterschied macht. "Niemand kann zu mir kommen, wenn es ihm nicht vom Vater gegeben ist." Das ist kein zufälliger, beiläufig dahin gesprochener Satz. Der Sachverhalt wird von Jesus mehrfach in dieser Rede betont. "Alles, was der Vater mir gibt, wird zu mir kommen." Das Zum-Glauben-Kommen und Erkennen ist Gabe Gottes. Es ist durch uns gar nicht machbar und erreichbar, es wird gegeben.
    Allzu oft wird das missverstanden, als sei Gott der Weltenprogrammierer, der vor aller Zeit in den Quellcode der Welt geschrieben hätte, wer an Jesus glaubt, wer zu Jesus findet und zu ihm hält und wer verworfen ist. Kosmischer Quellcode, Prädestination.
    Dann braucht es gar kein Zeichen von Unglauben zu sein oder von einem Mangel an Religiosität, eine Missachtung des Evangeliums. Im Gegenteil, jemand kann größte Achtung vor dem Evangelium und der Person Jesu haben, und hat doch das Gefühl, dass es ihm oder ihr "nicht gegeben" ist, als Christ und in der Kirche zu leben. Vielleicht spürt man sogar eine Sehnsucht danach, einen leichten Neid gegenüber denen, denen es so offensichtlich gegeben zu sein scheint - Aber eben mir nicht! Sagt nicht Jesus selbst, warum das so ist: Es ist der Wille des Vaters.
  • Ja, es ist der ewige, unwandelbare Wille des Vaters. Dieser Wille besteht aber genau nicht darin, alles festgelegt zu haben - außer dem Einen: Dass Gott den Menschen als sein Gegenüber will, unwandelbar den Menschen will.
    In der Begegnung mit dem Menschen ist folglich dieser Wille keineswegs unwandelbar. Warum beten wir zu Gott, warum bitten wir ihn in Gebeten? Haben wir nicht schon wieder Gott mit einem Hyper-Programmierer verwechselt? Erinnern wir uns nicht an Abraham, der mit Gott feilschte, um Gottes Willen zu wandeln? Nicht umsonst spricht Jesus von Gott als Vater. Er ist in Echtzeit mit unserem Leben der göttliche Ansprechpartner, ewig und ansprechbar, unwandelbar das Du zu meiner wechselvollen Biographie. Sein Wille ist im Dialog.]
    Wer die ganze Brotrede Jesu nachliest könnte meinen, Jesus habe unnötig provokativ, unnötig unverständlich, unnötig Anstoß erregend gesprochen. Anstoß erregend, ja, aber nicht unnötig. Es ist nötig, dass wir mit allzu vielen Glaubensselbstverständlichkeiten Anstoß nehmen und unseren Glauben krisenhaft durchleben. Nur ein Glaube, der diesen Anstoß erlebt und durchlebt kann spüren, dass nur der Geist es ist, der lebendig macht. Nur ein Glaube, der diese Krise lebt, findet das Wort des Gebetes zum Vater. Nur ein solcher Glaube bittet den Vater, dass sein Wille mein Leben erreicht. Dazu braucht es den Anstoß, wenn der Glaube an das Fleischliche stößt, wenn die Vertikale, der Heilige Gottes unsere Horizontale aufbricht, anstößig und heilsam. Amen.