Predigt zum Evangelium des 21. Sonntag im Lesejahr A 1990 (Matthäus)
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11. November 1990 - Patrozinium der Pfarrei St. Martin, Konstanz
Die Predigt wurde zum Patrozinium der Pfarrei St. Martin in Konstanz gehalten. Der Evangelientext ist zugleich vom 21. Sonntag im Jahreskreis, Lesejahr A.
Die Predigt nimmt außer in Abschnitt 4 auf dieses Evangelium Bezug
1. Wen interessiert die Kirche schon?
- An der Kirche meiner Gemeinde in Bonn kommen häufig
Spaziergänger vorbei, die am Rhein entlang gehen. Am Samstag
nachmittag oder am Sonntag finden immer wieder einzelne in die Kirche;
obwohl die Architektur der Kirche wenig zu bieten hat. Sie
stellen oder setzen sich hinter eine Säule und bleiben dort eine Weile.
Oder zünden eine Kerze an. Dann gehen sie wieder. Viele von
denen, haben sonst wohl nichts mit der Kirche zu tun.
- Das diesjähriges Patrozinium hier in St. Martin steht im Zusammenhang mit einer "Pastoralen Initiative" im Erzbistum Freiburg:
"miteinander kirche sein - für die welt von heute". Das ist ein schönes Thema:
- Nur:
Wen, außer uns selbst, interessiert das eigentlich? Und mal mit
verhaltener Stimme gefragt: Wen von uns interessiert das
eigentlich, wenn die Sonntagsmesse vorüber ist? Haben Sie, außerhalb
der geschützten Zirkel innerhalb der Gemeinde je einmal über
die Kirche gesprochen. Vielleicht schon. Gelegentlich, zaghaft. Aber
auch, wenn Sie daheim oder unter Freunden über alles lieber
sprechen als über den Glauben, wäre ich der Letzte, der nicht zugeben
würde: ich kann das gut verstehen. Was haben wir denn
wirklich zu bieten? Wir sollten doch froh sein, wenn uns "die Welt"
einige geschützte Freiräume belässt. Wenn die Kirche nur
wahrgenommen wird, wenn sich ein Papstzitat findet, mit dem man die
Rückständigkeit des ganzen Ladens belegen kann - sollen
dann ausgerechnet wir uns zu weit vorwagen. Gar meinen: Wir hätten "der
Welt", "denen da" etwas zu bieten? "Die Welt", "die
Leute", das sind wir zumeist ohnehin selbst, sind uns selbst fremd und
tun uns ungemein schwer, zu benennen, was der Glaube für
uns selbst zu bieten habe.
2. Gott interessiert die Kirche schon
- "Die Leute" und "ihr", sind zwei Größen, die auch im Matthäusevangelium auftauchen. "Für wen halten die Leute den
Menschensohn? - Ihr aber, für wen haltet ihr mich?" Der Unterschied der beiden Antworten mag minimal erscheinen. Ob ich nun
sage: "Du bist ein Prophet" oder "Du bist der Messias".
- Doch eben hier liegt das einzige, was wir zu bieten hätten. In diesem formelhaften Bekenntnis des Petrus: "Du bist der Messias, der
Sohn des lebendigen Gottes!" Von hier geht alles aus - oder es gibt nichts.
- Wenn es die Kirche nicht gäbe, fänden sich zweifellos genug Verlage, die dieses Kulturbuch "Bibel" in Faksimile-Ausgaben auf den
Markt brächten. Man würde es lesen, vielleicht sogar mit größerer Ehrfurcht als mancher heute. Aber niemand würde bekennen.
Niemand würde ein Sanctus anstimmen: "Heilig bist Du, Gott", niemand ein Credo bekennen "Gott von Gott, Licht vom Licht, für
uns Menschen und zu unserem Heil".
- Von der Offenbarung bliebe nichts als ein kulturhistorisch interessanter Text, der sich vielleicht besonders für
Selbsterfahrungsgruppen lohnt. Aber es gäbe niemand mehr, der uns sagt, dass wir von Gott selbst angesprochen werden, an ihn zu
glauben und unser Leben von ihm verwandeln zu lassen.
- Nichts anderes meint Jesus, wenn er Petrus bescheinigt: "Nicht Fleisch und Blut haben dir das offenbart, sondern mein Vater im
Himmel".
3. Bilden wir uns nicht zu viel darauf ein
- Wenn wir der Kirche, sprich: uns nichts zutrauen, ist das
kein Zeichen von Kleinmut, sondern ein Zeichen der Überheblichkeit! Als
wären wir das Erste und das Entscheidende in der Kirche - ich mit
meinem sittlichen Lebenswandel, ich meiner erhebenden Predigt,
ich mit meiner sozialen Einstellung. Und doch sagt Jesus
unmissverständlich: Nicht Fleisch und Blut, sondern mein Vater im
Himmel.
- Die entscheidende Botschaft des Evangeliums ist die Botschaft von der Menschwerdung Gottes. Dem gegenüber ist alles andere
zweitrangig. Oder besser gesagt: Darauf ist alles hingeordnet und wir werden unseren eigenen Glauben nur in dem Maße verstehen,
in dem wir uns immer wieder darauf beziehen.
- Diese Menschwerdung ist ein von Gott gesetztes Faktum. Darum ist unser Glaube auch viel verlässlicher, als unser Kleinglaube es
vermuten lässt. Darum ist unsere Hoffnung viel sicherer, als manchem scheinen mag. Das Entscheidende ist von Gott her geschehen,
von ihm entschieden.
- Von hier aus nimmt die Kirche ihren Weg. Und das, was folgt, ist mindestens so atemberaubend wie der Anfang. Die Verheißung an
Petrus: "Auf diesen Felsen werde ich meine Kirche bauen. Die Mächte der Unterwelt werden sie nicht überwältigen. Ich werde dir
die Schlüssel des Himmelreichs geben; was du auf Erden binden wirst, das wird auch im Himmel gebunden sein, und was du auf
Erden lösen wirst, das wird auch im Himmel gelöst sein". Diese Verheißung an Petrus ist die Verheißung der bleibenden und
verbindlichen Gegenwart Gottes in der Welt.
- Nachdem Gott sichtbar, in der Gestalt des Menschen erschienen ist, bleibt er sichtbar und wirksam. Wir nennen das: Der Heilige
Geist.
4. Zum Patrozinium: Sankt Martin
- Das Gedächtnis der Heiligen drückt genau dasselbe aus. Gott bleibt in der Gestalt des Menschen erfahrbar.
- Ich gebe zu: Auch der Heilige Martin ist unserer Wirklichkeit Jahrhunderte weit entfernt. Dennoch, nicht nur, weil er mein
Namenspatron ist, finde ich in seiner Biographie vieles von diesem Sichtbarwerden Gottes, was ich als Hilfe und Zielvorgabe für
heutiges christliches Leben verstehe.
a) Der Mantel
- Am bekanntesten ist die Erzählung vom halben Mantel. Sie
spielt zu einer Zeit, als Martin bereits zu Christus gefunden hatte -
gegen
den Willen seiner Eltern übrigens. Diese Begebenheit - Martin teilt
seinen Mantel mit einem Bettler und in der Nacht darauf
erscheint ihm Christus selbst mit dieser Mantelhälfte bekleidet -,
diese Begebenheit mag als leuchtendes Beispiel der Nächstenliebe
gelten. In ihrem Kern steckt aber viel mehr.
- Vom Pferd
herab, als Reiter, mag sich Martin groß vorgekommen sein, als er seinen
Mantel teilte, den Bettler damit wärmte. Er war
nicht irgendein heruntergekommener Soldat, sondern ein Katechumene der
christlichen Kirche. Aber das, was er tut, ist letztlich
doch nur etwas Halbes: Er gibt ein Stück Mantel her; ein Gestus, eine
Anekdote für spätere Legenden. Aber Gott nimmt diesen
Gestus und stellt sich selbst, bekleidet mit der Mantelhälfte, vor
Martin und macht ihm damit deutlich: Das Entscheidende ist nicht
die soziale Tat; das Entscheidende ist nicht das Halbe, das Du gibst.
Das Entscheidende ist, dass ich Dich ganz und gar, als Dein
Schöpfer und Erlöser berufe und annehme.
- Darin besteht der
Unterschied zwischen einem gewohnheitsmäßigen Christentum und der
Begegnung mit dem lebendigen Gott. Gott
selbst will unser ganzes Leben umwandeln. Der Gottesdienst am Sonntag
will nur Ausdruck und Erinnerung dafür sein, dass Gott
uns so zuinnerst ist, dass er unser ganzes Leben durchdringen kann. Er
ist weder nur aufgetragener Lack, noch nur Verschalung. Er
ist der lebendige Gott, der sich im Menschen ausgedrückt und jedem
Atemzug, den wir tun, zuinnerst ist.
- Gott
ist nicht der halbe Mantel, er ist der Gott, der sich zum Bettler
gemacht hat, um uns nahe zu kommen, um so, Schritt für Schritt
unser Leben von innen her zu erfüllen.
- Als ich vor zwei Wochen einer Gruppe Firmlinge die Aufgabe stellte, das Idealbild eines Christen zu malen, kamen sie auf keine
bessere Idee, als einen Mönch oder eine Nonne zu beschreiben. Zugegeben: auch Martin ist Mönch geworden. Wenn das aber dazu
dient, konkretes Christentum möglichst weit von meinem Leben wegzuschieben, müßte man fast bedauern, dass Martin Mönch
geworden ist.. Denn das Mönchstum ist weit weniger "typisch christlich" als der Glaube, dass Gott die lebendige Mitte seiner
Schöpfung ist und deswegen jedes Leben von ihm erfüllt werden kann. Nicht der Gottesdienst, sondern die Ausstrahlung des
Sonntags in die Woche ist das typisch christliche. Oder sollte es zumindest sein. "Nicht Fleisch und Blut haben dir das offenbart,
sondern mein Vater im Himmel".
b) Der Ort der Christusbegegnung
- Die erste Erfahrung, die Martin machte, war also: Der Glaube geht mein ganzes Leben an. Die zweite Erfahrung war: Mein
Christsein spielt sich in der Kirche ab.
- Sein
Ideal sah ganz anders aus: Einsiedler zu sein. Das Heil der eigenen
Seele suchen, nannte man das damals. Selbstverwirklichung
nennt man das heute. Die Kirche - damit habe ich nichts zu tun.
Natürlich hat sie irgendwo mein Wohlwollen. Aber andererseits ist
die Liste dessen, was man ihr ankreiden kann viel zu lang, als das ich
das ertragen könnte.
- Aber
Martin wird von dieser Kirche geholt. Die Stadt Tours brauchte einen
neuen Bischof und Martin war ihr Mann. Vielleicht war
es wirklich Bescheidenheit, dass er sich im Gänsestall versteckte, um
nicht zum Bischof gewählt zu werden. Aber vielleicht wollte er
auch sein heiliges Leben nicht mit der korrupten und oberflächlichen
Kirche beflecken.
- Das
Verhältnis, das ich zur Kirche habe, ist aber ganz unmittelbar auch das
Verhältnis, das ich zu Gott habe. Er ist es, der auf den
Felsen Petrus seine Kirche gebaut hat. Die Kirche ist die Weise, in der
Gott gegenwärtig sein wollte. Wenn ich mich auf Gott
einlasse, komme ich an der Kirche nicht vorbei.
- Um es noch
einmal schärfer zu sagen: Wenn ich mich von der Kirche distanziere, ist
dies nichts anderes als der Hochmut, zu glauben
ich sei besser als die anderen. Es gibt viele Gründe in der Kirche
heute, mit ihr zu brechen. In vergangenen Jahrhunderten gab es
sogar noch weit mehr. Aber es gibt einen Grund, in ihr mein Heil zu
sehen: Diese Kirche der Sünder ist die Weise, in der Gott
gegenwärtig ist. "Nicht Fleisch und Blut haben dir das offenbart, sondern mein Vater im Himmel".
c) Wie man Heiliger wird
- Es ließe sich noch viel an der Martins-Biographie zeigen.
Eines noch ist mir wichtig, weil darin klar werden kann, was wir
Christen
der Welt von Gott her geben können. Das ist das Sterben.
- Martin
ist der erste Heilige der Kirche, der nicht als Märtyrer gestorben ist.
Bis dahin galt das Martyrium als der normale Tod eines
guten Christen. Denn bis dahin wurden die Christen, mehr oder weniger,
mit der Hinrichtung bedroht. Zu sterben war damit
identisch, für seinen Glauben ein Zeugnis abzugeben.
- Vielleicht
kann sich mancher der Älteren die Sehnsucht vorstellen, die die frühen
Christen hatten, als Märtyrer zu sterben. Wie viel
schwerer ist es, alt zu werden, gebrechlich. Wie schwer ist es, zu
sterben.
- An diesem Extrempunkt des Lebens zeigt sich ob unser Glaube nur "Fleisch und Blut" ist, oder ob er einen "Vater im Himmel"
hat.
In einer Zeit, die viele schmerzmildernde Mittel erfunden hat und die
Krankheit und den Tod hinter weißgetünchte Wände abschiebt,
wird die Weise des Sterbens zum unterscheidend Christlichen.
- Man mag darüber klagen, dass zu wenig junge Leute in die Kirche kommen. Aber vielleicht haben wir damit schon ein Stück unseres
Glaubens an den Kult der Jugendlichkeit verkauft.
- Mir, als verhältnismäßig jungen Menschen, hat nichts ein so klares Zeugnis von Gott gegeben wie die Gnade, einen Menschen im
Sterben begleiten zu dürfen, bei dem die Hoffnung auch im Schmerz noch standhielt. Das kann uns nicht Fleisch und Blut
offenbaren, sondern nur der lebendige Vater Jesu Christi.
5. Vertrauen
- Ja, wir haben der Welt etwas zu bieten. Nichts was wir machen könnten. Keine Dialogbereitschaft und keine Caritas - so löblich
diese sind. Sprechen wir einfach von Gott. Er allein ist es, den diese Welt und wir in ihr so nötig haben.
- Dabei
ist es sehr tröstlich, zu wissen, dass Petrus, der Fels, auf dem die
Kirche gebaut ist, von sich aus auch nicht darauf gekommen
ist. Als Jesus ihm ankündigt "er müsse nach Jerusalem gehen und von den Ältesten und Hohenpriestern und Schriftgelehrten vieles
erleiden und getötet werden" versucht Petrus ihn davon abzubringen. Die Gedanken der Menschen enden dort, wo der Tod uns mit
seinem Schrecken bedroht. Der Satan, Jesus sagt das ganz deutlich, hält uns mit dieser Angst in Schach.
- Das Entscheidende leisten nicht wir. Das Entscheidende ist Gott selbst, der für uns da ist. Wenn wir die Freiheit, die in dieser
Botschaft steckt atmen, hat die Kirche für der Welt von heute den größten Dienst getan. Wenn wenigstens die Christen anfangen,
nicht aus der Angst um sich selbst zu leben. Wenn es uns wichtiger ist, in der Wahrheit zu sein, als recht zu behalten. Wenn wir
sterben können, weil wir leben werden. Wenn wir lieben können, weil wir geliebt werden. Wenn wir großzügig sein können, weil
unser Gott groß ist.
- Dies ist das Geheimnis unseres Glaubens: Seinen Tod verkünden wir und seine Auferstehung preisen wir. Bis er kommt in Ewigkeit.
Amen.