Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum Fest des Hl. Aloisius von Gonzaga 2020

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13. Juni 2007 - Hochschule Sankt Georgen Frankfurt

1. Freiheit:

  • Aloisius von Gonzaga starb und war dabei kaum älter als die Abiturienten heute. Er war Student während der großen Pestepidemie 1590 in Rom. Statt sich hinter Büchern oder dem Computer zu verschanzen, ging er zu den Pest-Kranken und pflegte sie.
  • Wie viele Ärzte und Krankenpfleger in den letzten Monaten hatte er dabei keine Schutzausrüstung. Sein Gesicht war nicht hinter einer Maske verborgen, er zeigte den Kranken sein Gesicht und berührte sie. Das war der Weg, auf dem er der geworden ist, der er werden wollte. Ein Mensch für andere. Das war seine Freiheit: der zu werden und zu sein, der er sein wollte.
  • Wie weltweit viele Pfleger dieses Jahr starb Aloisius dabei anderen zu helfen. Allerdings fehlte damals nicht nur die Schutzausrüstung, sondern auch das naturwissenschaftliche Wissen. Was Viren sind, konnte man nicht wissen. Wie die Ansteckungswege wirklich waren, hat man nur geahnt. Da sind wir doch offensichtlich heute viel weiter.

2. Wissenschaft

  • Naturwissenschaftler und Virologen waren in den letzten Monaten omnipräsent. Jeder, der einen Biologiekurs belegt hat, kann in Zeiten wie diesen als Experte gelten. Zumindest wenn man es mit dem Wissen von damals vergleicht. Doch gleichzeitig haben wir in den letzten Monaten lernen müssen, dass die Forschungsergebnisse der Naturwissenschaften keineswegs bereits eindeutiger Handlungsanweisung beinhalten.
  • Es gab die ersten Forschungsprojekte, die ersten Ergebnisse, die ersten Studien zu Corona-Viren. Daraus konnte man neue Schlussfolgerungen für die notwendigen Maßnahmen ziehen. Aber dann kamen neue Studien, haben die alten ergänzt, variiert, manches Mal auch widerlegt. So sind Naturwissenschaften. Die Ergebnisse, die sie zeitigen, sind nur solange gültig, bis sie durch neuere Ergebnisse widerlegt sind.
    In der Wissenschaftstheorie sagt man deswegen auch, dass naturwissenschaftliche Ergebnisse und Theorien nicht verifiziert, sondern nur falsifiziert werden können. Das gilt für alle empirischen Forschungen.
  • Falsifikation als Weg zum wissenschaftlichen Fortschritt ist leider über die Medien nur schlecht zu vermitteln. ‚Haben sie nicht gestern das eine gesagt und sagen heute das andere?‘ Es ist schwer zu vermitteln, dass Fortschritt genauso funktioniert. Die beste Hypothese ist nur solange die beste, ist eine bessere kommt.
    Daher braucht Naturwissenschaft Charakterbildung, weil es Demut braucht, sich durch neue Erkenntnisse widerlegen zu lassen.

3. Leben

  • Charakter braucht es umso mehr, wenn es an die grundlegenden Fragen des Lebens geht. Ich hoffe sehr, dass sie in den Jahren, in denen sie hier zur Schule gegangen sind, auch mit solchen grundlegenden Fragen konfrontiert wurden: in Gottesdiensten und Besinnungstagen, in den Sprachenfächern, im Religionsunterricht oder auch beim Sport oder Mathe in einem Gespräch am Rande, das darauf kam, was uns als Menschen im Leben wirklich wichtig ist: Wer wollen wir sein und wie wollen wir die Freiheit finden, dieser Mensch zu werden? Erkennen wir uns wieder, wenn wir in den Spiegel schauen? Was ist für uns der Weg, die Wahrheit, das Leben? Verstecken wir unser Gesicht oder lassen wir uns finden?
  • Im Unterschied zum Verfahren der Falsifikation in den empirischen Wissenschaften geht es bei den grundlegenden Lebenswissenschaften um Verifikation. Was für mich Sinn des Lebens ist, finde ich nur, wenn ich nach vorne lebe, etwas und jemand liebe, mich selbst darauf einlasse.
    Empirisch-Wissenschaftlich bleiben wir in der Beschreibung neurophysiologischer Prozesse oder empirischer Wahrscheinlichkeiten, eben falsifizierbaren Hypothesen. Doch das Leben können Sie nur verifizieren, indem Sie sich darauf einlassen. Sie müssen das, wofür Sie sich in Ihrem Leben entscheiden, dadurch ‚wahr machen‘, dass Sie es leben.
    Wie der Fall des Aloisius von Gonzaga zeigt, kann dies sogar bedeuten, das eigene Leben dranzugeben, um es zu gewinnen. Weil diejenigen, die nie ‚wahr machen‘, was sie wollen, entweder nichts vom Leben erwarten und zynisch alles gering machen oder nie die Freiheit finden, ihr Leben wirklich für etwas leben zu wollen.
  • Diese Abiturfeier ist die ungewöhnlichste, die je stattgefunden hat. Wegen der Pandemie haben Sie völlig anders für das Abi gelernt haben und wurden geprüft. Mir scheint aber, dass neben all dem Lernstoff, sie gerade deswegen in diesen Wochen auch damit konfrontiert werden konnten, worauf Sie in Ihrem Leben bauen können.
    Ich wünsche Ihnen, dass Sie dabei das Fundament gefunden haben, das sie trägt. Und sollten Sie in diesen Wochen mit Ihrer eigenen Angst und Einsamkeit in Berührung gekommen sein, so kann auch dies für Sie wichtiger sein als vieles, was auf dem Abitur-Bogen mit Punkten bewertet werden kann.
    Leben Sie Ihr Leben. Denken Sie nicht zu klein von sich selbst. Finden Sie die Freiheit, Ihr Gesicht anderen Menschen zu zeigen und in den Wind der Wirklichkeit zu halten. Entdecken Sie sich selbst, indem sie frei werden und für andere da sind. Amen.