Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 20. Sonntag im Lesejahr B 2012 (Buch der Sprichwörter)

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19. August 2012 - Kleiner Michel (St. Ansgar), Hamburg

1. Hindernisse zum Glück

  • Wer achtlos gegen Hindernisse läuft, holt sich leicht Beulen und Schrammen. Vermutlich wird er versuchen daraus zu lernen, die Geschwindigkeit anzupassen, wird andere Routen wählen und schlicht achtsamer sein.
    Beulen und Schrammen sind keine Katastrophe. Sie kommen vor, bei Kindern und Heranwachsenden, aber auch bei Erwachsene. Das gehört zum Leben. Zugleich aber hilft uns die Erfahrung mit den Beulen und Schrammen, unseren Leib vor größerem Schaden zu behüten.
  • Aber nicht nur der Körper, die ganze menschliche Person kann sich Beulen und Schrammen holen, wenn es an Achtsamkeit fehlt. Diese heilen unter Umständen nicht so schnell. Es sind die Schrammen in unseren Beziehungen und in der Partnerschaft; es sind die Beulen aus dem Anrennen gegen Hindernisse. Solche Erfahrungen könnten uns eigentlich motivieren, unseren Kurs zu überdenken. Wir werden merken: Nicht nur wir selbst nehmen Schaden, wenn eine Beziehung im Streit endet, eine Partnerschaft im Schweigen erfriert oder wir immer wieder unsere eigene Zukunft verbauen, weil wir die Anderen nicht in unsere Überlegungen einbeziehen und uns die Wirklichkeit, wie sie ist, weniger interessiert, als unsere eigenen Interessen und unser Vorteil.
  • Ob es um Schrammen am Knie oder Beulen an der Seele geht, immer hängt es damit zusammen, dass wir uns selbst nicht in rechter Weise in Beziehung zu dem setzen, was nicht wir selber sind. Oder, um es mit einem Fremdwort zu sagen, wir holen uns Beulen und Schrammen, wenn wir nicht lernen, uns selbst zu relativieren. Das lässt sich nicht auswendig lernen wie Vokabeln oder Formeln. Die Kunst, mich selbst in Relation zu meiner Mitwelt und mich gegenüber anderen Menschen in ein gutes Gleichgewicht zu bringen, ist vielmehr das, was man Weisheit nennt. Weisheit aber ist nur in Beziehung zu Anderen zu erwerben.

2. Einladung zur Weisheit

  • Dummheit bleibt bei sich selbst stehen. Weisheit macht sich auf den Weg. Das alttestamentliche Buch der Sprichwörter bringt das in das Bild einer Einladung zum Festmahl. Die Bibel stellt Frau Weisheit als Symbol da: "Die Weisheit hat ihr Haus gebaut, ihre sieben Säulen behauen. Sie hat ihr Vieh geschlachtet, ihren Wein gemischt und schon ihren Tisch gedeckt. Sie hat ihre Mägde ausgesandt und lädt ein auf der Höhe der Stadtburg."
  • Die Dummheit plustert sich zwar gerne auf. Aber sie haust letztlich in einer armseligen Hütte, gezimmert aus Neid und Missgunst, aus Engstirnigkeit und Angst, aus Hochmut und schnell vergänglichem Lustgewinn. Das Haus der Weisheit aber ist ein Palast. Die "sieben Säulen", von denen die Bibel spricht, stehen für Ausgeglichenheit und Vollkommenheit, sieben Planeten und sieben Tage der Woche; vielleicht dachte man auch an die sieben Säulen, auf denen nach altorientalischem Weltbild die Erde gegründet ist.
    Auch erkennt man die Weisheit daran, was sie ist, nicht wie sie sich schminkt. Oft muss man nur abwarten, bis sich der Nebel des Feuerwerks verzogen hat, um zu sehen, ob etwas stimmig ist, oder ob es nur darum gegangen ist zu blenden.
  • Die Weisheit hat "schon ihren Tisch gedeckt". Das bedeutet nicht, dass alle Fragen schon beantwortet und alle Wege schon geklärt sind. Leben bedeutet immer lernen und unterwegs sein. Das Weisheitsbuch des Alten Testamentes will uns aber sagen: Die Weisheit ist einladend und großzügig. Sie darf nicht mit kleinlicher Regelbefolgung verwechselt werden. Wer nur sich selber sieht, ist wie ein Gefangener, der ängstlich bemüht sein muss, seinen kärglichen Besitz zu verteidigen und schönzureden. Wer sich auf die Beziehung zu Gottes Schöpfung einlässt, wird letztlich immer Fülle und Großzügigkeit finden.
    Das ist nicht idealistisch die Welt schöngeredet; es gibt Elend und Gewalt. Aber nur die Großzügigkeit der Weisheit kann damit umgehen, ohne dass der eigentliche Mensch zu Grunde geht. "Lasst ab von der Torheit, dann bleibt ihr am Leben."

3. Gottes Leben

  • "Am Leben bleiben" - "Leben in Ewigkeit" sind nicht bloße Stichworte, die das Ende der Lesung aus dem Buch der Sprichwörter mit dem Abschnitt aus der Brotrede Jesu im Johannesevangelium verbinden. Vielmehr bereitet das Bild vom Festmahl der Frau Weisheit uns darauf vor, zu verstehen, was es mit dem Brot auf sich hat, von dem Jesus sagt: "Wer von diesem Brot isst, wird in Ewigkeit leben".
  • Denn jede Weisheit kommt aus Gott und führt genau besehen zu Gott. Jede Weisheit lernt zu verstehen und daraus zu leben, dass wir weder selbst Gott sind noch sein müssen. Denn von Gott kommt alles. Wenn wir uns für die Wirklichkeit öffnen, entdecken wir uns selbst und dass wir hineingenommen sind in eine uns geschenkte Wirklichkeit.
  • Das "lebendige Brot" empfangen wir als Teil der Gemeinschaft des Volkes Gottes, der Kirche. Im Gottesdienst "erklingen Psalmen, Hymnen und Lieder, wie der Geist sie eingibt". Hier vollzieht sich im Sakrament die Wirklichkeit, dass Gott uns in seine Gegenwart hineinnimmt. Das bewahrt uns nicht vor Beulen und Schrammen. Aber das bewahrt uns davor, uns absolut zu setzten und letztlich doch dadurch verängstigt und eng werden zu lassen. "Kommt, esst von dem Mahl", ruft uns die Weisheit zu, und geht euren Weg in das Leben. Amen.