Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 20. Sonntag im Lesejahr A 2008 (Matthäus)

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17. August 2008 - Universitätsgottesdienst St. Antonius,

1. Wenn andere nicht glauben

  • Es gibt ein Top-Thema bei der Beichte älterer Leute. Nach meiner Erfahrung bewegt das an dieser Stelle häufiger als jedes andere. Jüngere Katholiken kommen meist erst zum Beichten, wenn's brennt. Viele ältere wissen, dass die Beichte eine gute Gelegenheit ist, über drängende Fragen des Glaubens zu sprechen. Und da gibt es dieses Top-Thema: Dass die eigenen Kinder und Enkel der Kirche den Rücken zugekehrt hätten. (Wem ich wofür am Schluss der Beichte die Absolution geben soll, ist dabei oft unklar; ein Segen zumindest tut der ganzen Familie gut :))
  • Jüngere Katholiken haben dagegen oft Strategien entwickelt, das Thema nicht an sich heran zu lassen. Sie fühlen sich nicht dafür verantwortlich, den Glauben weiter zu geben - und riskieren damit auch kein Scheitern, wenn das nicht gelingt. Manche denken sich, es gibt ja viele Wege zu Gott. Vielleicht gibt es ja auch einige, die den Glauben als Bürde und den Gottesdienst als Last empfinden, und deswegen ihrem Nächsten gar nicht wünschen, er möge zum Glauben kommen.
  • Die Alten fragen sich, ob sie versagt haben. Die Jungen fühlen sich nicht verantwortlich. Aber es bleibt Fakt, dass dieses Land vormals als christlich gesehen wurde; wann das war, bin ich mir nicht sicher, ob zur Zeit des Massenmordens der Kriege oder zur Zeit von Frühkapitalismus oder Absolutismus. Aber lassen wir das dahin gestellt sein. Viele in unserem persönlichen Freundeskreis interessieren sich nicht für das Evangelium, lehnen die Kirche ab oder finden nicht dahin, Christus als bedeutsam für ihr Leben zu entdecken. Wenn in Christus wirklich Gott selbst zu uns spricht, wenn mein Glaube wirklich der Weg ist, zu dem Gott alle Menschen einlädt - wenn der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs, der Vater Jesu Christi der Herr und Schöpfer der Welt ist - dann sollte uns das betroffen machen, wenn Menschen, die wir lieben, außen vor bleiben.

2. Im Ungehorsam gegen Gott

  • Paulus bewegt diese Frage. Er ist mit Überzeugung Jude und hat auf der Grundlage des Glaubens Israels Christus als den Sohn Gottes erkannt und angenommen, als den von Gott zu uns Menschen gesandten Messias. Es bewegt ihn tief, dass nur ein Teil seines Volkes den Glauben an Christus angenommen hat. Bei der Mehrheit seines Volkes und seinen Führern spricht er von "Ungehorsam". Übersetzen wir uns das mit "Verhärtung gegenüber dem Angebot von Gottes Liebe", das darin besteht, dass Gott selbst Mensch geworden ist. Paulus bewegt zutiefst, ob seine Mitjuden dadurch, dass sie Gottes Liebe nicht angenommen haben, jetzt getrennt bleiben von Gott, ob Gott sie "verworfen hat".
  • Paulus macht keine Vorwürfe. Er schimpft nicht. Eher schon trauert er und macht sich Sorgen. Seine Haltung ist geprägt von Liebe und Mitleid, weil er weiß, was denen entgeht, die sich dem großen Projekt Gottes nicht anschließen, zu dem Paulus sich selbst berufen weiß, obwohl er es am wenigsten verdient hatte. Wo Paulus in seinen Briefen Ermahnungen ausspricht, da redet er zu denen, die den Glauben angenommen haben; sie sollen gemäß der Liebe Christi leben. Auf die aber, die den Glauben nicht angenommen haben, sieht er in barmherziger Liebe und fragt sich, was Gottes Plan für diese Menschen ist.
  • Auf eines vertraut Paulus dabei: Gott ist treu. Und Gott liebt sowohl das erwählte Volk Israel wie alle Völker. Also kann es doch nicht sein, dass Gott will, dass Menschen verloren gehen. Und so ringt Paulus darum, sich einen Reim darauf zu machen, dass Gott erst sich ein Volk erwählt und zum Ort seiner Offenbarung macht, während die Menschen aus den vielen Völkern (in der Sprache unsere Bibelübersetzungen "die Heiden") getrennt von Gott gelebt haben. Und jetzt, wo durch Christi Auferstehung Menschen aus so vielen Völkern den Heiligen Geist empfangen, gerade jetzt bleiben so viele Juden außen vor.
  • Paulus versucht sich das zu erklären. Er wettert nicht über die "ungläubigen Juden", sondern sieht sogar darin einen Plan von Gottes Barmherzigkeit. Ist es nicht so, fragt Paulus, dass erst durch die Ablehnung Jesu in seiner Heimat das Evangelium aus dem Raum Israels zu den vielen Völkern kam. Hat Gott also nicht mit listiger Liebe die Ablehnung gegen Gott zum Instrument seiner Barmherzigkeit für die vielen Völker gemacht. Und könnte es nicht sein, dass gerade das der beste Weg ist, um auch Israel selbst wieder fester mit Gott zu verbinden? Paulus versucht, durch seinen Dienst unter den Menschen aus den vielen Völkern "die Angehörigen seines eigenen Volkes eifersüchtig zu machen". Der Unglaube der einen soll den Glauben der anderen anfachen und motivieren. Denn eines ist sicher: Gottes Liebe ist treu und er will keinen Menschen in der Verlorenheit lassen.

3. Wie Gottes Barmherzigkeit wirken könnte

  • Zwei Dinge können wir also von Paulus lernen. Erstens, dass es uns nicht gleichgültig ist, wenn Menschen, die wir lieben, nicht zum Glauben finden. Und zweitens, dass wir in diesem Unglauben noch einmal Gottes größere Treue und Barmherzigkeit entdecken. Nicht die Klage darüber, dass alles nicht mehr so klar katholisch ist, wie es früher angeblich war, nicht das Schweigen darüber, dass so vielen Menschen in unserer Umgebung der Glaube fremd ist, sondern die Herausforderung, die darin an uns selbst liegt, Gottes größere Barmherzigkeit zu entdecken.
  • Zuerst führt uns das dazu, den Glauben selbst neu zu entdecken. Vielleicht kann uns ja eine ehrliche Trauer über den Unglauben anderer dazu führen, erst mal selbst lebendiger glauben zu wollen. Vielleicht ist ja vieles, was wir Glauben nennen, nur Gewohnheit. Woran liegt es denn, dass selbst in ganz katholischen Familien Beten nur am Sonntag vorkommt, und Beten daheim entweder verschämt-individuell ist oder bestenfalls darin besteht, dass wir Gott Texte aus dem Buch oder auswendig vortragen. Wie wäre es, wenn wir über der Frage, warum andere nicht glauben, dahin kommen, dass wir anfangen in der Familie oder mit Freunden zu beten, ohne dass der Pfarrer vorne am Mikrophon steht. Könnte nicht die Frucht der Glaubensdunkelheit sein, dass Christen wieder anfangen, in ihren Häusern zusammen eine Kerze anzuzünden, sich mit dem Kreuz bezeichnen, um dann gemeinsam in Dankbarkeit und Lob, in Bitte und Fürbitte zu Gott ganz persönlich zu sprechen, bevor sie dieses Gebet einmünden lassen in das gemeinsame Gebet der Kirche, das Vater Unser. Wie wäre es, wenn auch Katholiken zusammen die Bibel läsen und so den eigenen Glauben vertiefen. Wie wäre es, wenn der Besuch der Kranken und der Gefangen nicht professionellem Personal überlassen bleibt, sondern allgemeine christliche Gewohnheit wird. Und so weiter.
  • Wir reden viel über angeblichen Priestermangel und Säkularisierung. Dann fragen wir nach Strukturreformen und was der Vatikan alles ändern müsste. Strukturreformen sind in der Kirche dringend, keine Frage. Aber die Lesung aus dem Römerbrief stößt uns auf die viel wichtigere Frage, ob in der Krise, die wir erleben, ob in der vielfachen Abkehr von Gott nicht doch für Gott in seiner Barmherzigkeit ein Instrument liegt, um den Glauben für alle von Grund auf zu erneuern und mit Heiligem Geist zu erfüllen. Wir meinen, Gott könnte nur aus unseren Gut-Taten und Leistungen sein Heil wirken. Seit Golgatha ist aber doch offensichtlich, dass Gott selbst aus dem Kreuz sein Heil wirkt und unsere Unbeholfenheit ebenso wie der Unglaube unserer Zeitgenossen für Gott kein Hindernis ist, alle Menschen zu lieben und in der Geschichte des Heils seine Barmherzigkeit allen zu erweisen. Amen.