Predigt zum Evangelium 20. Sonntag im Lesejahr A 2000 (Matthäus)
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25. Juni 2000 - Katholische Hochschulgemeinde Göttingen, Jüdisches Gebetshaus Göttingen
Hinweis:
Wegen einer Universitätsveranstaltung konnte der Gottesdienst der Katholischen
Hochschulgemeinde nicht in der Universitätskirche stattfinden. Die
Jüdische Gemeinde hat statt dessen ihren Gebetsraum zur Verfügung
gestellt. Im Hinblick darauf wurde das Evangelium ausgewählt. Die Gebete
und Texte wurden bewusst aus der allgemeinen Liturgie des lateinischen Ritus
gewählt, um aus der Mitte des kirchlichen Glaubens heraus der gastgebenden
jüdischen Gemeinschaft in der Verbundenheit des Glaubens an den Gott
Abrahams Respekt zu erweisen.
Ebenso kann die Predigt - schon wegen der mangelnden Vorbildung des Verfassers
- kein Versuch sein, den jüdischen Glauben zu formulieren oder auch
nur gemeinsamen Glauben festzuhalten. Gerade an diesem Ort wäre ein
solches einseitiges Unterfangen respektlos! Vielmehr soll den anwesenden
Christen der christliche Glaube in der einen Kirche aus Juden und Heiden
erschlossen werden. Dass diese Predigt hier nachgelesen werden kann, setzt
voraus, dass der Leser sie bitte als tastenden, ungeübten Versuch versteht,
sich dieser für uns Christen so zentralen Frage zu nähern, und
diese Predigt nicht als definitiven theologischen Traktat missversteht! (Ablauf des Gottesdienstes)
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1. Gottes Volk und die Heiden
- "Ich bin nur zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel gesandt." Dies ist eine ebenso klare wie viele Christen schockierende
Antwort auf die Frage, was "die Sache Jesu" ist, was Jesus wollte oder, besser, was Gott von Jesus wollte, was Jesu Sendung war.
Wer sich dieser Auskunft Jesu über seine Sendung nicht stellt und sich nur die scheinbar bequemeren Teile aus den Evangelien
heraussucht, läuft Gefahr das Zentrum des christlichen Glaubens zu verfehlen.
Das Gespräch mit der heidnischen Frau aus Kanaan ist nur Anlass und
Illustration für diese Auskunft Jesu über seine Sendung. Aber
gerade in seinem drastischen Verlauf und in den überdeutlichen Bildern
kann uns dieser Vorfall deutlich machen, was unser
Verhältnis zu Jesus, dem von Gott gesandten Christus, ist. Wir sind wie
die Frau, sind wie die Hündlein, die von den Brosamen
leben, die vom Tisch der Kinder abfallen. Den Kindern aber wird das
Brot nicht weggenommen.
- Volk.
Völker. Da diese Wörter in der Liturgie der Kirche so häufig vorkommen,
horcht man gar nicht mehr richtig auf. "Völker"
wird ohne weiteres gehört als Synonym für "alle Menschen" und Volk
bestenfalls als Ausdruck für die Kirche. Das erstere ist falsch,
das letztere streng genommen auch.
Wenn wir auf den fast durchgehenden Sprachgebrauch der Hl. Schrift achten, werden wir dort vom Volk (laós) immer viel
eindeutiger gesprochen finden. Das Volk ist Israel, das sich Gott erwählt hat, um einen Bund mit ihm zu schließen. Dieses Volk hat
er aus Ägypten befreit und diesem Volk hat er sich offenbart am Sinai. Zu diesem Volk hat er die Propheten geschickt, um es
zurückzugewinnen für den Bund, der der untrügliche Ausweis für die Treue Gottes ist.
Die Geschichte Gottes mit seinem Volk ist von beiden Seiten keine konfliktfreie Beziehung. Wenn heute ein Jude auf die
vieltausendjährige Geschichte und das vieltausendjährige Leid des Volkes Israel zurückschaut, dann könnte ich einen Seufzer
verstehen, ob Gott sich denn nicht ein anderes Volk hätte aussuchen können. Hat er nicht.
Die Hl. Schrift berichtet aber auch ungeschminkt von der Enttäuschung
und dem Zorn, den Gott im Verhältnis zu seinem Volk
erlebt hat. Gott wird als ein Liebender geschildert, mit großer,
göttlicher Liebe, voller Gefühl und Hingabe. Über allem aber steht
unverbrüchlich Gottes Treue. Er verstößt sein Volk nicht. Er verlässt
es nicht.
- Wenn wir das Taizé-Lied "Laudate omnes Gentes" singen oder den traditionelleren Kanon "Lobet und preiset ihr Völker den
Herrn", dann ist das nicht der musikalische Ausdruck internationalistischer Gesinnung, sondern hat einen präzisen Sinn - oder sollte
es zumindest haben. Es ist ein Zitat aus dem kürzesten der Psalmen, dem Psalm 117, der die Menschen aus allen Völkern zum Lob
auffordert - dafür dass Gott seinem Volk Israel treu ist in Ewigkeit. An dieser Treue Gottes zum (wahren) Israel haben
gottesfürchtige Menschen, die nicht zum Volk Gottes gehören (Ps 118,4), Anteil, indem sie Gott für seine Treue loben.
Diese Menschen leben zwar auch in Völkern, sprechen verschiedene Sprachen, sind nach Nationen gegliedert. Aber diese
historisch-soziologische Gliederung ist vernachlässigenswert im Vergleich zu der grundlegenden Unterscheidung zwischen dem
einen Volk Gottes und den anderen Völkern. Das deutsche Wort von den Heiden meint die Völker, die "Nicht-Volk" sind, nicht im
Bund mit Gott leben.
Vor allem im Matthäus-Evangelium - aus dem wir die Lesung gewählt haben - und in den Paulusbriefen ist in dieser Weise vom
Volk und von den Heiden (den Völkern) die Rede. Aber gerade in diesen Texten wird das Wort vom Volk aufgebrochen, um zu
bezeichnen, was durch die Auferstehung Jesu vom Kreuzestod Neues beginnt. Eine Kirche, in der Gott sich ein Neues Volk sammelt
- aus Israel und den Heiden. Durch diesen Neuen Bund sollen wir, die wir zumeist nicht zu Israel gehören und daher Heiden sind,
Volk Gottes werden. Wie ist das möglich? Ist Gott nun doch seinem Bund untreu geworden? Hat er sein Volk verstoßen, wie so
mancher Abschnitt im Neuen Testament es nahe zu legen scheint (Mt 21,43), hat Gott den Bund aufgekündigt, als Alten Bund ad
acta gelegt und sich neu vermählt mit der Kirche?
Diese Behauptung hat in der Geschichte des Christentums immer wieder
zur Legitimation für Verfolgung, Zwangstaufe und Mord
gedient. Diese Behauptung hat sicher auch die Kirche und viele Christen
gehindert, dem gänzlich unreligiös motivierten Rassenhass
gegen das Volk Israel aus dem Glauben mutig entgegenzutreten.
Aber nicht nur als Vergangenheitsbewältigung müssen wir uns der Frage
stellen. Vielmehr kann das Versagen angesichts der Schoa
uns deutlich machen, dass wir unseren eigenen christlichen Glauben
nicht nur sittlich verfehlen, sondern auch die Sendung Christi
verraten, der von sich sagte, dass er "nur zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel gesandt" ist.
2. Im Kreuz allein ist das Heil
- In Jesus Christus ist ein Licht erschienen, "das die Heiden erleuchtet und Herrlichkeit für das Volk Israel".
So singt es der greise
Simeon, der im Tempel das Kind sieht. Aber diese Herrlichkeit ist
ausgerechnet am Kreuz erschienen. Dies ist rein menschlich
gesehen so unerwartet - so unerwartbar -, aber doch ganz zentral für
den christlichen Glauben, dass es einen Zusammenhang mit der
anderen zentralen Frage geben muss, der Frage nach dem Volk Gottes,
denn wir "verkündigen Christus als den Gekreuzigten: für
Juden ein empörendes Ärgernis, für Heiden eine Torheit".
- Wem Gott nicht seinen Geist geschenkt hat, den Heiden also, die aus den Völkern, die sich unter der Macht ihrer Könige und
Herrscher beugen, kann das Kreuz nur als Torheit erscheinen. Paulus spricht häufig, wenn er die Heiden meint, verallgemeinernd
von "Griechen", weil alle ihm damals bekannten Völker unter dem kulturellen Einfluss des Hellenismus standen, mit all der
Verehrung für das Starke und Heroische. Für diese Heiden ist das Kreuz schlichtweg Dummheit, bestenfalls Sklavenideologie.
Ganz anders für Israel. Mit Heiden ist keine Diskussion über das Kreuz
möglich ist, weil jede Basis dafür fehlt; hier kann nur die
Gnade bekehren. Israel hingegen befindet sich aus Sicht des Hl. Paulus
in einer anderen Situation. Auch Israel soll sich neu der
freien Gnade Gottes öffnen. Dies geschieht jedoch, indem das Volk durch
das Kreuz herausgefordert wird - zum Ärgernis. Denn
zwei wichtige Glaubensgewissheiten werden durch das Kreuz angegriffen.
- Das eine ist die Verheißung, dass der Messias, wenn er kommt, bleiben werde (Ps 89,37). Der Messias ist für Israel die
endzeitliche Rettung. Danach läuft keine "Geschichte" im Sinne der Weltzeit mehr. Mit dem Messias beginnt die Endzeit.
- Die zweite Gewissheit ist die, dass im Messias sich die Treue Gottes endzeitlich bewährt. Wie kann dann Gott seinen Messias
leiden lassen, wo dieser doch die Hoffnung auf Überwindung des Leidens dieses Volkes ist?
- Am
Kreuz, an Jesus als dem gekreuzigten Sohn Gottes, scheidet sich der
Glaube Israels und der Kirche. Aber auch für die Kirche ist
das Kreuz nicht das Ende des Bundes vom Sinai. Vielmehr ist das Kreuz,
wo Gottes Macht in seiner Ohnmacht sich verwirklicht, ein
Paradoxon in jeder Hinsicht. Denn das Ärgernis, das Israel am Kreuz
nimmt, führt nach der unverzichtbaren Lehre des Hl. Paulus
nicht zur Verwerfung Israels, zum Unheil. Im Gegenteil. Es führt zum
Heil für Israel und die Heiden.
Zunächst ist das Ärgernis historisch der Auslöser, dass die
Verkündigung sich nicht nur an das Volk der Juden wendet, welches das
Evangelium mehrheitlich nicht annimmt. Die Apostel verkünden immer
zuerst den Juden, dann aber auch den Heiden, den Griechen,
uns, die wir nicht zum Volk Jesu und der Apostel gehören. Die
Völkerwallfahrt hin zum sich offenbarenden Gott geschieht indem
das Wort Gottes hinausgeht zu den Völkern.
Dies darf und kann aber niemals so ausgelegt werden, als hätte Gott damit seine erste Liebe vergessen oder gar verstoßen. Schon
dadurch, dass die Kirche in Israel beginnt und Juden umfasst, widerspricht dem. Viel mehr noch aber ist auch der Umweg über die
Heiden für Gott nur ein Teil seiner Treue zu Israel.
Die Kirche ist von ihrem Ursprung her die Kirche aus Juden und Heiden.
Diese beiden stehen aber nicht gleichwertig nebeneinander.
Paulus vergleicht die Beziehung statt dessen mit einem alten, starken
Ölbaum, dessen Stamm und Wurzel Abraham und die
Patriarchen bilden, dessen edle Zweige das Volk Israel sind. Auf diesen
Baum sind wir, die Heiden, aufgepfropft. Von diesem
Stamm her nur können wir leben und an diesem Stamm bleiben wir die
Hinzugekommenen. Hinzugekommen durch das Ärgernis,
das Juden an Christus genommen haben, uns zum Heil.
Immer wieder zeigt sich Gott, wie er ist: die Entäußerung, nicht die
Gewalt führt zum Heil. Gott, der sich entäußert, indem er die
Schöpfung ins Leben setzt, indem er sich an ein Volk bindet. Gott, der
sich am Kreuz entäußert, indem er seine Apostel in
Schwachheit das Evangelium verkünden lässt. So wird sogar das Ärgernis,
mit dem sich die Mehrheit seines Volkes von seinem
Christus abwendet, zum Heil - für die Völker.
3. Die Heiden und Gottes Volk
- Wir sind an Kindes statt angenommen - aus Gnade - aufgepfropft als wilde Zweige auf den edlen Ölbaum wie Adoptivkinder. Wir
erfahren und erleben diese Gemeinschaft am Ölbaum als Heil. Nur wenn wir uns daran erinnern, können wir begreifen, dass sich die
Erlösung nie an einzelnen Menschen vollzieht, aber auch nicht ein namenloses Kollektiv meint, sondern ein Volk. Das einzig
mögliche Volk aber ist Israel, von Gott berufen. Alles andere sind Nationen, die im Lauf der Geschichte kommen und gehen.
Bei der Generalaudienz auf dem Petersplatz in der diesjährigen Osterwoche hat Johannes Paul II deswegen vom Ersten Testament
statt vom Alten Testament gesprochen. Dies ist der präzisere Ausdruck, weil so deutlich wird, was die Hl. Schrift und das Konzil
festhalten: Gott hat seinen Bund mit Israel nicht gekündigt (Röm 11,28f). Wie könnte er, da er doch treu ist!
Im Laufe der Christentumsgeschichte hat es die Umdeutung der Heiligen Schrift gegeben, wonach der Bund mit Israel abgelöst
worden sei durch die Kirche. Die Konsequenz war, vom gekündigten Bund und vom verstoßenen Volk zu sprechen. Dies war aber
nicht nur historisch Wegbereitung für Pogrom und Schoa, sondern auch biblisch und theologisch falsch, denn die Geschichte Gottes
mit seinem Volk ist bis heute trotz des Ärgernisses, das Juden am Kreuz nahmen, nicht Unheils-, sondern Heilsgeschichte.
Dort wo Paulus im Römerbrief davon spricht, dass sich Juden durch die Ablehnung des Messias in Gegensatz zu Gott gestellt haben,
dort warnt er die zum Bund hinzugekommenen Heiden nachdrücklich vor dem Hochmut, sich über Israel zu erheben. Es ist also
unsere, der Heiden, Feindschaft wider Gott, ihm den Heilsplan aus den Händen zu reißen und uns als Ziel seines Handelns zu
verstehen statt sein eigenes Volk.
- Dass
dieser Heilsplan seinen Weg nehmen konnte, hatte zur Voraussetzung,
dass aus der Mitte Israels ein Rest, wie es Paulus nennt,
sich zu Christus bekennt und Christus zu den Völkern trägt. Die Kirche
muss in ihrem Ursprung aus Juden und Heiden wachsen. Es
gehört zur Tragik der Kirchengeschichte, dass wir das judenchristliche
Element unserer Kirche vergessen haben. Die Kirche hat
darin und mehr noch in der Verfolgung des Bundes-Volkes immer wieder
Ungehorsam gegen das Kreuz geübt, ist zu den Tätern des
Kreuzes geworden, statt das Opfer des Kreuzes zu feiern. Man muss sich
das klar machen, um zu merken, wie Gott uns dadurch
beschämt, dass er sogar in unserer Zeit Menschen seines Volkes berufen
hat, Jesus den Christus zu bezeugen - um unseretwillen!
- Um unser, der Heiden, Verhältnis zu diesem Bund Gottes zu verstehen, müssen wir uns auf den Grundduktus der Verkündigung
Jesu besinnen. Die Endzeit ist mit seinem Kommen angebrochen, das Reich Gottes ist nahe. Durch das Kreuz hindurch will Gott die
gefallene Schöpfung heimholen. Was nun geschieht ist Erfüllung für sein Volk und eben dadurch auch für die Völker, ja für die
ganze Schöpfung.
Durch die Verstockung Israels eröffnet er die Völkerwallfahrt. Aber die
Erfüllung für sein Volk geschieht erst durch das
Offenbarwerden Christi in der Vollendung, nun nicht mehr aus Nazareth,
sondern so, wie ihn die Jünger zum Himmel haben
auffahren sehen. Die Rettung Israels - nicht nur des Restes, der
Judenchristen - dürfen wir daher wieder als Gottes Gnadenhandeln
erhoffen in der Vollendung der ganzen Schöpfung, die in Christus
erschaffen ist und sich daher auch in Christus vollenden wird.
Der Bund vollendet sich nicht dadurch, dass alle Juden sich zur Kirche
bekehren, sondern dass in der Wiederkunft Christi sich die
Einfügung der Völker in den Bund Gottes mit Israel, seinem Volk,
vollendet. Die in der Mahlgemeinschaft mit Jesus zur Einheit
seines Leibes zusammengeschlossene Kirche hat schon jetzt Anteil an dem
Neuen Bund. Dieser Bund aber steht in seiner
Vollendung noch aus. Er wird dem Volk Israel als ganzem gewährt werden
bei der Wiederkunft Christi, der kommen wird als der
von Israel erwarteten endzeitliche Erlöser. Amen.