Predigt zum 2. Sonntag nach Weihnachten 2004 (Johannes)
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04.01.2004 - Universitätsgottesdienst, St. Ignatius, Frankfurt
Geschrieben steht: "Im Anfang war das Wort!"
Hier stock ich schon! Wer hilft mir weiter fort?
Ich kann das Wort so hoch unmöglich schätzen,
Ich muss es anders übersetzen,
Wenn ich vom Geiste recht erleuchtet bin,
Geschrieben steht: Im Anfang war der Sinn.
Bedenke wohl die erste Zeile,
Dass deine Feder sich nicht übereile!
Ist es der Sinn, der alles wirkt und schafft?
Es sollte stehn: Im Anfang war die Kraft!
Doch, auch indem ich dieses niederschreibe,
Schon warnt mich was, dass ich dabei nicht bleibe.
Mir hilft der Geist! Auf einmal seh ich Rat
Und schreib getrost: Im Anfang war die Tat!
(Goethe Faust, Erster Teil, Studierzimmer)
1. Tat
- Im Anfang war die Tat! Dr. Heinrich Faust meint darin die
zeitgemäße Verbesserung des Johannesprologes gefunden zu haben. Von
hier ab nimmt die
Tragödie ihren Lauf und entpuppt sich des Pudels Kern. Die Tat, nicht
das Wort sei der Anfang. Die Willenskraft des deutschen Denkers ist
beeindruckend.
- Nicht
das Wort, nicht der Sinn, nicht mal die Kraft, nur die Tat scheint dem
Dr. Faust eine angemessene Übersetzung des Wortes "Logos" aus dem
ersten
Satz des Johannesevangeliums. Die Geschichte der 200 Jahre seit dem hat
ihn traurig bestätigt. "In ihrer Verlegenheit" um den Sinn dessen was sie tun,
denken Menschen "wie Faust. Im Anfang war die Tat. Sie haben daher schon gehandelt, bevor sie gedacht haben."(1).
- Wir
beanspruchen immer noch die Welt zu verstehen. Dabei überblickt keiner
mehr das Ganze. Selbst unser eigenes Leben ist zumeist undurchschaubar
verwoben in gesellschaftliche und wirtschaftliche Zusammenhänge. Neuere
Theorien erklären die Entstehung des menschlichen Denkvermögens
(Kognition)
dadurch, dass die Evolution des Geistes dort erfolgreich ist, wo man in
Reaktion auf die Umwelt zur Tat schreitet.(2)
Mir ist diese Theorie allein deswegen
schon suspekt, weil sie zu glatt in das Bild einer Welt passt, die
meint nur etwas tun ("reagieren") zu müssen, um zum Fortschritt zu
gelangen.
2. Adam, Abraham, Taufe
- Was "Im Anfang" ist, bezeichnet die innerste Bedeutung. Es geht nicht um
den Zeitpunkt am Anfang, sondern um das Wesentliche im Anfang. Deswegen beginnt
das Markus-Evangelium mit der Taufe Jesu am Jordan. Denn in der Taufe hat
nach christlichem Glauben für uns das eigentliche Leben begonnen: Das
Leben, das nicht mehr unter dem Schatten des Todes steht, sondern hineingetaucht
ist in das Leben Jesu, der den Tod erlitten und überwunden hat.
- Das
Matthäus-Evangelium stellt an den Anfang einen Stammbaum Jesu. In drei
mal vierzehn Generationen wird die Herkunft Jesu auf Abraham
zurückgeführt. Auch darin wird etwas wesentliches gesagt, da unser
Glaube aufruht auf dem Glauben des Volkes Israel, aus dem uns der
Retter geboren
wurde.
- Auch das Lukasevangelium weiß Jesus als Teil seines
Volkes. Aber es greift mit dem Stammbaum noch weiter zurück: bis auf
Adam, den von Gott
geschaffenen Menschen. Wir sind als Christen und Glaubende Teil der
einen Menschheit, von der die Bibel sagt, dass sie von ihrem Ursprung
her aus Gott
geschaffen ist.
Am Anfang steht also doch eine Tat. Es ist aber die Tat Gottes. Weiter
reicht unsere menschliche Logik nicht zurück. Selbst dieser Anfang ist
für uns kaum zu
fassen: Dass jeder von uns seinen Ursprung in Gott hat, vor aller Zeit
und in aller Zeit. Wir ahnen das Geheimnis, dass jeder von uns in jedem
Augenblick
unseres Lebens Geschöpf Gottes ist. Darin liegt unser Anfang.
3. Wort
- Und doch verweist das Johannesevangelium auf Tieferes: "Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei dem Gott, und das Wort war Gott."
Das ist nicht
mehr Ableitung und logische Schlussfolgerung. Das ist ein Satz, der dem
Johannes als Frucht einer Versenkung in das Gebet geschenkt wurde.
Durch Heiligen
Geist berührt kann Johannes sagen, dass das Wort am Anfang steht, vor
allem was ist.
- Das
Wort ist ganz in Gott. Noch bevor es ausgesagt wird von einer Stimme,
ist es auf den (einen) Gott hin da. Ganz sorgfältig benutzt Johannes
den Artikel
"das Wort war bei dem Gott" und macht damit
deutlich, dass hier Beziehung, Nähe und Bewegung ist. Zugleich aber ist
es Gott: das Wort "ist Gott", auch
wenn Gott nicht darin aufgeht Wort zu sein. (Sonst hätte Johannes auch
hier den bestimmten Artikel gesetzt und gesagt: "und das Wort war der
(eine) Gott").
Dem Evangelisten hat sich aber enthüllt, was er an den Anfang seines
Evangeliums setzt: Durch Jesus Christus wird uns Gott, der dreifaltige,
offenbart. Gott,
der in sich Beziehung ist.
- Am Anfang ist nicht unsere Tat.
Am Anfang ist Gott, der ganz und gar unserem Zugriff entzogen ist.
Gott, der so menschlich in unserer Mitte erschienen ist,
bleibt selbst am Kreuz unverfügbar. Wir sind so sehr gewöhnt, die Dinge
in unsere Hand nehmen zu wollen, dass es ein weiter Weg ist, bis wir
auch nur den
einen Satz am Anfang dieses Evangeliums so verstehen, dass es uns prägt
und trägt. Der zweite Sonntag der Weihnachtszeit lädt uns dazu ein, uns
in dieses
Geheimnis des Anfangs zu vertiefen. Amen.
Anmerkungen:
1. Marx, Karl: Das Kapital.
Kritik der politischen Ökonomie, Erster Band: Der Produktionsprozeß des
Kapitals. Berlin (Ost) (Dietz) 1953, S. 92 (I. Buch, I. Abschnitt, 2.
Kapitel: Der Austauschprozess.
Marx zitiert Goethe im Zusammenhang des Prozesses der Verwandlung der
individuellen Ware zu Geld durch einen gesellschaftlichen Prozess, der
dem Einzelnen nicht bewusst wird. Er schließt den
Absatz mit einem Mischzitat Aus Offb. 17,13 und 13,17)
2. Holk Cruse: "´Im Anfang war
die That´ -- eine Hypothese zur Evolution der Kognition. In: Horst M.
Müller und Gert Rickheit (Hrsg.): Neurokognition der Sprache,
Stauffenburg Verlag, Tübingen,
2003. S. 319 - 338