Predigt zum 2. Sonntag im Lesejahr B 2003 (1. Korintherbrief)
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19 Januar 2003 - Universitätsgottesdienst, St. Ignatius Frankfurt
1. Leibfeindlich
- Die Verbindung von Kirche und Leiblichkeit, Sexualität oder Leibfeindlichkeit,
in der Darstellung der Presse etc. ist schon auffällig.
Einerseits werden kirchliche Texte daraufhin durchforstet, ob darin etwas
über Sexualität steht: Als er veröffentlicht wurde, wurden
aus dem über 1000-seitigen Katechismus der Römischen Kirche von
den Journalisten die paar Seiten über Ehe und Sexualethik als erstes -
und häufig als einzigstes - gelesen.
Andererseits ist auffällig, dass der Katholizismus (im Unterschied zum
Protestantismus) »sinnlicher« ist: Karneval gibt es nur in katholischen Gegenden;
der Barock in südländischen Kirchen ist sprichwörtlich. Häufig
genug wird dem Katholizismus dieser Hang zur Sinnlichkeit - in Musik,
Architektur, Liturgie zum Hören, Riechen, Schauen, Schmecken - vorgeworfen.
Da geht es uns so, wie Jesus im Evangelium stöhnt: Man kann es den Leuten
nicht recht machen: Wenn wir fasten, heißt es, wir seien verrückt
und leibfeindlich, wenn wir feiern heißt es wir seien dekadent und oberflächlich.
- Es ist in der Tat auffällig, dass die katholische Kirche heute die
einzige gesellschaftliche Institution ist, die sich überhaupt öffentlich
zu diesen Themen äußert und die es wagt, den allgemeinen Umgang
mit Sexualität in unserer Gesellschaft zu thematisieren. Zugegeben: sie
macht es nicht gerade geschickt und sicher sind es nicht immer die Kompetentesten,
die sich zu Wort melden - was weiß ich als zölibatärer
Mönch denn schon! Trotzdem: Ich weiß nicht, ob uns so damit gedient
wäre, uns nun auch mundtot machen zu lassen - weil es nun mal bequemer
ist.
Denn das Thema ist keineswegs zufällig auf der Tagesordnung. Es geht
dabei um das Verhältnis von Leiblichem und Geistigem, von Vision und
Realität. Welche extremere Verbindung dieser beiden Sphären ist
eigentlich denkbar als die: dass Gott Fleisch angenommen hat, Mensch geworden
ist.
- Es ist eine immer wiederkehrende Versuchung, das Leibliche für religiös
gesehen unwichtig zu erklären. In der Tat: Das Glaubensbekenntnis spricht
von dem kosmischen Ereignis der Menschwerdung Gottes - die Unterhose
steht nicht im Mittelpunkt des Glaubens, beileibe nicht.
Es ist aber auffällig, dass gerade in den Briefen des Apostels Paulus
das Thema immer wieder auftaucht - und zwar nicht, weil der Mann ein
Fall für den Psychiater wäre, sondern weil er etwas richtig gesehen
hat: "Der Leib ist nicht für die Unzucht da, sondern für den
Herrn, und der Herr für den Leib."
2. Typisch Katholisch
- Paulus redet nicht zu Halbwüchsigen über das Thema
Selbstbefriedigung. Es geht ganz offensichtlich um erwachsene Männer in
der Gemeinde in Korinth, die
nichts dabei finden, verheiratet zu sein und gleichzeitig die Dienste
einer Nutte in Anspruch zu nehmen.
Nach allem, was wir wissen, ist das nicht in's Blaue gesprochen. vielmehr
muss es unter den Christen in Korinth eine offene Diskussion gewesen sein:
Was ist denn schon dabei, wenn ich ab und an Druck ablasse? (Statt "sich
in Begierde zu verzehren" 1 Kor 7,9.) Wenn ich - so ungefähr
dürfte das Argument gelautet haben - nur sonst ein guter Christ
bin und an Gott glaube, dann ist das doch das Wichtigere!
Ganz offensichtlich wurde also Unzucht religiös beschönigt: Wenn ich
getauft bin, wenn ich von Christus angenommen bin, dann brauchen wir uns
doch um
solche Kleinigkeiten nicht zu kümmern - was soll's?
Ich will natürlich keinem der Anwesenden unterstellen, dass er religiöse
Argumente braucht, um Unzucht zu legitimieren. Darüber ist man ja
heutzutage
erhaben.
- Andererseits ist diese Argumentation à la Korinth so ungewöhnlich
denn doch nicht. Vielleicht erkennt sich der eine oder andere ja darin
wieder.
Im Grund heißt das Argument: Wenn ich nur insgesamt ein guter Kerl bin -
und keine Kapitalverbrechen verübe - dann kann es doch nicht so schlimm
sein,
wenn ich mir hier und da oder generell die Freiheit nehme, zu tun, was
mir Spaß macht.
Interessanter Weise wird dieses Argument heute sogar gegen das
Christentum selbst gekehrt: Was soll ich in die Kirche rennen und
Gottesdienste mitfeiern?
Hauptsache ich bin ein guter Mensch. Wobei natürlich immer weniger klar
ist, worin das nun eigentlich noch besteht, »ein guter Mensch« zu sein.
- Die Antwort des Paulus ist typisch katholisch: Du bist ein Mensch mit Haut
und Haaren. Nichts, was zu dir dazugehört ist 'unwichtig' oder 'unerheblich'.
Als Mensch bist du auch und immer leiblich.
Das fängt bei der Kleidung an. Wenn Du Dir diese oder jene Klamotten
anziehst, dann drückst Du damit etwas über Dich aus. Und umgekehrt übst
Du damit
eine Wirkung auf Dich selbst aus: Kleider machen Leute, sie prägen den
Charakter.
Der Körper ist das wichtigste Ausdrucksmittel das wir haben. Noch bevor
ich den Mund aufmache hat mein Gesicht und haben meine Hände, hat meine
Mimik und Gestik, hat meine ganze Körperhaltung Bände gesprochen.
Und schließlich ist dieser Leib das Intimste und Persönlichste, das ich
habe. Ob ich meinen Leib gering achte oder nicht, ob ich ihn beliebig
verschleudere oder
für etwas Wertvolles achte, das sagt unendlich viel über mich aus.
Vom eigenen Körper her könnt Ihr das übertragen auf den ganzen
Bereich dessen, was manche abschätzig »Äußerlichkeiten« nennen.
Ich bin der festen Überzeugung, dass es letztlich keine Äußerlichkeiten
gibt. Man sollte nicht Dinge überbewerten, aber auch nicht gering achten.
Ich kann nicht meinen, ich könnte eine gute Beziehung zu Gott haben -
und das auf einer so abstrakten Ebene lassen, dass daraus für mein konkretes,
äußeres Verhalten keine Konsequenzen zu befürchten sind. Ich
kann nicht meinen, dass ich doch ein guter Kerl sei - und gegenüber
den Mitmenschen, mit denen ich zusammen lebe ('zusammen leben muss'!) sämtliche
guten Manieren vergessen.
3. Gott ähnlich im Leibe
- Lassen Sie sich nicht einreden Paulus oder die katholische Kirche
seien leibfeindlich. Wer das behauptet, hat sich noch nie Gedanken
gemacht über die
Kulturunterschiede zwischen den katholisch geprägten romanischen Ländern
und den puritanischen Angelsachsen.
Paulus argumentiert ja auch gar nicht leibfeindlich, wenn er den Korinthern ihre Scheinmoral vorhält, im Gegenteil: "Wisst ihr nicht, dass euer Leib ein
Tempel des Heiligen Geistes ist? Verherrlicht also Gott in Eurem Leib."
- Die Darstellung der Verzückung der Hl. Theresa von Avila durch Bernini
(siehe unten) in der Kirche Santa Maria della Vittoria in Rom hat immer wieder
Leute - vor allem
sittenstrenge Deutsche - schockiert, weil Bernini da ein religiöses
Erlebnis im höchsten Sinn erotisch darstellt. Wenn man aber nachliest,
wie Theresa dieses
Gebetserlebnis schildert stellt man fest: So und nicht anders muss das
dargestellt werden.
Vielleicht steht der Universitätsgottesdienst in dem Ruf, nicht gerade
für sinnenfreudige Liturgie bekannt zu sein. Desto mehr möchte ich Sie
bitten oder
ermutigen, das, was Sie haben, auch ernst zu nehmen. Es ist mir völlig
unverständlich, wie Menschen zur Kommunion gehen können und dieses
intensive
Erlebnis - sehen, fühlen, schmecken! - sofort wieder in überflüssigem
Geschwätz ersticken.
- Der Mensch ist in seinem Leib Gott ähnlicher, als er es ohne
seinen Leib wäre, sagt Thomas von Aquin. Haben Sie Mut, zu einer Kirche
zu gehören, die den
Leib ernst nimmt. Habt Mut, an einen Gott zu glauben, der sich nicht zu
schade ist, unser Fleisch anzunehmen. Amen.
"Hier
aber wollte der Herr, dass ich den Engel in leiblicher Gestalt sehen
sollte. Er war nicht groß, eher klein,
aber sehr schön. Sein Antlitz war so entflammt, dass er mir als einer
der erhabensten Engel vorkam, die ganz in
Flammen zu stehen scheinen. Es müssen dies jene sein, die man Cherubim
nennt. Sie sagen mir zwar ihre Namen
nicht, aber ich sehe gut, dass im Himmel zwischen den einen und anderen
Engeln ein unaussprechlicher
Unterschied ist. In den Händen des mir erschienenen Engels sah ich einen
langen goldenen Pfeil; an der Spitze
seines Eisens schien mir Feuer zu sein; es kam mir vor, als durchbohrte
er mit dem Pfeil einige Male mein Herz
bis ins Innerste, und wenn er den Pfeil wieder herauszog, war mir, als
zöge er den innersten Teil meines Herzens
mit heraus. Als er mich dann verließ, war ich ganz entzündet von
feuriger Gottesliebe. Der Schmerz war so
scharf, dass er mich zu vielen Seufzern trieb, und so groß war die
Süßigkeit dieser Qual, dass ich niemals
wünschen kann, sie zu verlieren, noch dass meine Seele mit weniger als
Gott zufrieden sei. Es ist kein
körperlicher Schmerz, sondern ein geistiger, obwohl der Körper Anteil
daran hat, großen Anteil. Der
Liebesverkehr, der seither zwischen meiner Seele und Gott stattfindet,
ist so beglückend, dass ich den gütigen Herrn anflehe, er wolle
ihn dem zu kosten geben, der etwa meint, ich würde hier lügen"
zitiert nach: Zeugnisse Mystischer Welterfahrung - Teresa von
Avila. Hrsg. von Ulrich Dobhan. Olten (Walter) 1983.