Predigt zum 2. Sonntag der Osterzeit Lesejahr C 2001 (Offenbarung)
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22. April 2001 - khg St. Nikolai Göttingen
1. Irgendwie offenbarend
- Zu viele Illusionen mache ich mir nicht, dass die Sorge um die
Gemeinde zu den Hauptsorgen der Studierenden am
Anfang des neuen Semesters gehören. Aber eine Nebensorge wird´s für
manche doch sein. Auch wenn es in Stunden
gerechnet nur in einem Bruchteil meiner Zeit sichtbar wird, rührt es
doch an einen zentralen Punkt, der irgendwie den
Rest auch betrifft. Ob ich gesund bin oder krank, betrifft sehr wohl
auch alles andere. Ob ich erfolgreich bin oder
scheitere, betrifft massiv auch alles andere. Wie ich vor Gott bin -
irgendwie betrifft auch das alles andere.
- Ich habe kein besseres Wort als dieses irgendwie. Das
dürfte das Kennzeichen sein, das es am ehesten trifft. Mag es in
anderen Zeiten so oder so vorgegeben gewesen sein, wie das Leben der
Gemeinde in mein Leben eingreift, heute ist es
das nicht mehr. Keiner kommt umhin, sich selbst darum zu kümmern. Das
macht es schwer. Denn mein Leben ist ein
konkret Ding. Auch die Gemeinde ist ein konkret Ding. Aber
konkret kommen sie von allein nicht zusammen, sondern
nur, wenn da ein anderer Bezugspunkt ist, irgendwie.
- In den kommenden sechs Wochen sieht die Leseordnung der Sonntage
jeweils einen Abschnitt aus der "Geheimen
Offenbarung des Johannes", dem letzten Buch der Bibel, vor. Es ist
wohl das unbekannteste unter den großen Büchern
der Heiligen Schriften des Neuen Testamentes. Sein Text ist bekannt, geheimnisvoll
ist vielmehr, was der Text bedeutet.
Ja, und es handelt sich auch gar nicht um die "Offenbarung des
Johannes", sondern , wie es im ersten Vers des Buches
heißt, um die "Offenbarung Jesu Christi". In 22 Kapiteln wird
Jesus Christus offenbart: "apokalyptein", "entbergen",
"die Hülle wegnehmen", "offenbaren" heißt das griechische Wort. Sechs
kurze Ausschnitte aus dieser Enthüllung Jesu
Christi werden wir also bis Pfingsten hören.
Wer das zum Anlass nehmen will, einmal das ganze Buch selbst zu lesen,
dem habe ich in einer Inhaltsübersicht markiert,
wo die Stellen sind, die für die Lesungen der Osterzeit ausgewählt
werden.
2. Johannes an die Gemeinden
- Heute nun aus dem Beginn des Buches. Zunächst stellt sich der
Verfasser vor: Johannes mit Namen, "wie wir" um des
Glaubens willen in Bedrängnis. Jahrhunderte später wurde vermutet, es
sei Johannes der Evangelist. Wir wissen es nicht.
Auffällig ist aber, dass Johannes Ort und Zeit angibt: Auf der Insel
Patmos an einem Sonntag.
Damit ist uns ein wichtiger Hinweis gegeben. Kein Beweis, sondern ein
Hinweis, der sich bewähren muss. Den Hinweis
lese ich so: Dieses Buch hat seine Zeit und hat seinen Ort. Anders als
das Evangelium, anders sogar als die Paulusbriefe,
die doch aus konkretem Anlass an bestimmte Gemeinden geschrieben sind,
ist die Apokalypse ein Buch das, um
verstanden zu werden, Zeit und Ort hat. Zumindest in vollem Sinne werden
wir es nicht verstehen, wenn heute nicht die
Zeit, hier nicht der Ort ist.
- Auch die Apokalypse hat genau benannte Empfänger. Im Kapitel 2 und
3 werden sieben Gemeinden mit sehr detaillierten
Botschaften genannt. Die Lesung, wie wir sie gehört haben, spricht
zusammenfassend von den "sieben Gemeinden in
Kleinasien".
Im Deutschen haben wir hier leider ein sprachliches Problem. Martin
Luther hat überall, wo im Neuen Testament ekklesia
steht mit "Gemeinde" übersetzt. Es heißt dann zum Beispiel (Mit 16,18) "Du
bist Petrus, der Fels, und auf diesen Felsen
werde ich meine Gemeinde bauen". Ähnlich ist es in den
evangelischen Bibeln in Skandinavien und den Niederlanden.
Trotzdem spricht natürlich auch Luther und die evangelische Theologie
von der Kirche(1).
Man muss sich dann nur immer
daran erinnern, dass damit die ekklesía aus der Bibel gemeint
ist. Noch komplizierter ist es in fast allen katholischen
Übersetzungen im Deutsch. Da wird dann einmal mit Kirche und
ein andermal - zum Beispiel in der Offenbarung - mit
Gemeinde übersetzt.
- Dafür gibt es ein gutes Argument. Das eine griechische Wort meint
eben beides, die konkrete Gemeinde vor Ort und die
umfassende Kirche. Trotzdem ist es mir lieber, wie es im Englischen,
Französischen, Polnischen oder Italienischen steht:
Immer mit einem Wort übersetzt, einem Fremdwort wie unser Wort "Kirche".
Beim Wort "Gemeinde" denken wir daran, dass mehrere Leute
zusammen kommen und dadurch etwas Gemeinsames
entsteht. Gemeinde entsteht, weil Menschen gemeinsam glauben und beten
und singen und handeln. Die ekklesía und mit
ihr die Kirche besteht natürlich auch aus vielen, die gemeinsam
glauben. Dennoch fällt es hier leichter zu sehen, dass die
Kirche etwas ist, das irgendwie schon da ist, bevor es konkret
wird.
3. Die Realität Christi
- Das alles hat viel mit der Geheimen Offenbarung zu tun. Denn sie
ist ein Brief an die sieben Gemeinden in der Provinz
Kleinasien. Ein Brief zur Ermutigung der Kirche, die wie Johannes auf
Patmos "in der Bedrängnis" ist. Zugleich aber
sagt Johannes, dass die Empfänger "teilhaben an der Königsherrschaft",
an jener Macht und Herrlichkeit, die Christus im
Himmel hat. Die Bedrängnis trifft jeden konkret. Die Bedrängnis trifft
jede Versammlung und Gemeinde, denn es ist die
Zeit der blutigen Verfolgung all jener, die sich dem Kaiserkult
widersetzen. Die Königsherrschaft aber verweist auf eine
Realität, die sich nicht festmachen und auflösen lässt in empirisch
Beschreibbares. Hier reicht die Realität der Gemeinde
hinein in die Kirche, die Himmel und Erde umspannt, wie Jesus der
Christus ist, wie der Gekreuzigte der Auferstandene
ist. Johannes schaut im Himmel "einen, der wie ein Mensch aussieht".
Und doch erweist sich der Eine als der, in der
Mitte des höchsten Thrones im Himmel (Offb 7,17(2)).
- Das alles hat auch viel mit uns zu tun. Auf den ersten Blick
möchte es scheinen, heute im Jahr 2001 und hier in
Deutschland sei doch nicht genau der Ort und die Zeit, die Offenbarung
zu verstehen. Dieses Buch ist für Märtyrer
geschrieben. Menschen, die sich der Vergötterung des Kaisers verweigern
und lieber der Ohnmacht Gottes vertrauen als
sich der Macht des Imperators zu beugen. Es ist die Vision eines
Himmels, der über die Erde gewölbt ist und in dem die
Gerechtigkeit sich vollendet, die eine unter Verfolgung leidende Kirche
auf Erden so grausam entbehrt. Eine reale
Zukunft, die in die Gegenwart hinein strahlt.
- Martyrium, das ist nicht unsere Zeit, zumindest nicht an unserem
Ort. Und dennoch ist da eine Parallele, über die dieses
Buch der Hoffnung auch uns gilt. Denn im Blick auf die Realität ihrer
Gemeinde, in Ephesus, in Smyrna, in Philadelphia
und in all den sieben Gemeinden kann den Christen sehr wohl ihr
Hoffnungsatem ausgehen. Da weist sie Johannes darauf
hin, dass sie eben nicht nur, ja nicht einmal in erster Linie das sind,
was ein Soziologe an ihr beobachten kann: eine
Versammlung von Menschen. Johannes schaut die sieben Gemeinden im Himmel
in der Gestalt von sieben Leuchtern(3).
Und mitten unter ihnen steht der Menschensohn. Paulus geht im Bild noch
weiter. Er sieht die Kirche als den Leib Christi
und Christus als Haupt seiner Kirche. So enthüllt sich, offenbart sich
Christus.
Die Sorgen unserer Gemeinde, die Fragen wie es weiter geht, sind ganz
konkret und vor Ort. Aber durch all das
unfassbar, größer und weiter zieht sich irgendwie die Realität,
die uns trägt. Im Credo bekennen wir, dass wir an die
Kirche glauben und an die Gemeinschaft der Heiligen. Denn etwas Größeres
umfängt uns. Denn etwas Größeres ist das
Ziel. Irgendwie ziemlich real. Amen.