Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 2. Sonntag der Osterzeit Lesejahr B 2021 (Johannes)

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11. April 2021 - Gemeinschaftskrankenhaus St. Elisabeth Bonn

 

1.      Ist Thomas glücklich?

  • Der Apostel Thomas hat bekommen was er wollte. Für ihn war es offenbar ganz wichtig, den Auferstandenen selbst zu sehen, seine Wunden zu berühren und sich handfest zu überzeugen. Was er wollte, wird ihm nun von Jesus angeboten.
  • Ist Thomas damit glücklich und zufrieden? Findet er zu dem Vertrauen, zu dem ihn Jesus auffordert: „Sei nicht ungläubig sondern gläubig!“? Im Evangelium steht nicht, wie Thomas reagiert. Dabei wäre das vielleicht die entscheidende Frage, ob Thomas glücklich und zufrieden ist, nachdem er bekommen hat, was er wollte.
  • Vielleicht irre ich mich. Aber ich vermute schon, dass sich viele fragen, ob der Glaube glücklich und zufrieden macht. Sind Christen glücklicher als andere Menschen? Oder schauen Sie lediglich je nach christlicher Konfession missmutig oder mit erlösungsseligen Dauergrinsen in die Welt?

2.      Auferstehung und Vorgeschmack

  • Ich habe den Verdacht, dass der Glaube genau nicht glücklich und zufrieden macht. Im Gegenteil. Die Evangelien zeigen ganz deutlich, dass die Erfahrung des Auferstandenen kein Dauerzustand sind, sondern einzelne Momente. Bevor Glück und Zufriedenheit sich einstellen, ist der Auferstandene den Augen schon wieder entschwunden. Ostern ist also keine Erfüllung, sondern ein Vorgeschmack. Macht Vorgeschmack glücklich und zufrieden?
  • Natürlich hängt es davon ab, was wir unter Glück und Zufriedenheit verstehen. Wenn ich als Mensch meine Ziele nur bescheiden genug ansetze, dann bin ich vielleicht sehr schnell glücklich und zufrieden. Du hast doch alles, was du willst, sei zufrieden! Das ist die dazugehörige Maxime.
  • Aber jeder, der einmal erfahren hat, dass die Welt reicher und größer ist, wird sich schwer tun die Sehnsucht zu vergessen. Es ist wie die Liebe, die sich ganz zu erfüllen scheint, wenn das Geliebte gegenwärtig und ganz mein ist. Doch wird nicht in der Sehnsucht die Liebe auch als unglückliche Liebe erfahren, als ungestillten Durst, als nicht erfüllte Sehnsucht? Sieht so das Glück aus?

3.      Der unzufriedene Thomas

  • Über Thomas wissen wir tatsächlich aus außerbiblischen Quellen mehr als von jedem anderen Apostel. Es gibt ernstzunehmende alte Quellen, die von seiner Missionstätigkeit im Orient bis hin nach Indien berichten. Als Portugiesen im 16. Jahrhundert in Indien einfielen, waren sie sehr überrascht, dort eine alte christliche Tradition vorzufinden. Man nennt sie die Thomaschristen.
  • Vielleicht ist es eine gewagte Spekulation, vielleicht aber ein guter Gedanke, sich vorzustellen, dass Thomas nach der Begegnung mit dem Auferstandenen nicht glücklich und zufrieden war. Er hat vielmehr in diesem Augenblick, in dem ihn Jesus einlädt, seine Wunden zu berühren, gemerkt wie klein und bescheiden sein Wunsch war, und wie viel größer die Sehnsucht ist, die Jesus in ihm weckt. Das Evangelium berichtet ja gar nicht davon, ob Thomas, als er das Angebot bekam, tatsächlich die Wunden berührt hat. Wohl aber wird berichtet, dass Thomas in diesem Augenblick die ganze Gegenwart Gottes in dem auferstandenen Christus aufgegangen ist. „Mein Herr und mein Gott!“ ruft er aus.
  • In einem Augenblick schaut Thomas die ganze Größe der Barmherzigkeit und Liebe Gottes. Ich kann mir vorstellen, dass es diese schlagartige Erfahrung ist, die dafür gesorgt hat, dass Thomas sich nicht mehr mit weniger zufrieden gegeben hat. Vielleicht schildert uns das Johannesevangelium den tieferen Grund dafür, warum Thomas weiter in die Welt gezogen ist als jeder andere Apostel: Einzig und allein von der Sehnsucht getrieben, der Größe Gottes Raum zu geben, die er in dieser Begegnung für einen Augenblick schauen durfte und die ihn mit nichts weniger zufrieden sein lässt. Das ist die Liebe, die ihn zu den Menschen bringt –  bis nach Indien. Diese Weite öffnet für ein größeres Glück, als jede zu schnelle Zufriedenheit. Amen