Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 19. Sonntag im Lesejahr A 2011 (Römerbrief)

Zurück zur Übersicht von: 19. Sonntag Lesejahr A

07. August 2011 - Kleiner Michel (St. Ansgar), Hamburg

1. Liebe zur Familie

  • Paulus liebt seine Geschwister. Nein, hier sind nicht die Christen gemeint, die er in seinen Briefen seine Schwestern und Brüder nennt. Hier, im 9. Kapitel des Römerbriefes, spricht er von seinen leiblichen Geschwistern, von seinen Verwandten und von seinem Volk, dem Volk der Israeliten. Für sie würde er alles geben, so schreibt er, sogar das, was ihm in seinem Leben das Zentrum geworden ist. Selbst von Christus würde er sich trennen lassen, wenn er denn seinem Volk damit das geben könnte, was er selbst durch Christus erlebt und erfahren hat.
  • Viele der Juden haben, wie Paulus, in Christus diese Quelle des Lebens und diese Freude der Nähe Gottes entdeckt und gefunden. Die Apostel und alle Jünger der ersten Zeit waren Juden. Auch in den von Paulus gegründeten Gemeinden in Kleinasien und Europa sind viele Juden. Aber die Gesamtheit des Volkes Israel und die Führer der Juden sind nicht dabei. Darum trauert Paulus. Wir würden heute formulieren: 'Denen entgeht etwas'. Es ist aber nicht irgend etwas, sondern das, worauf Israel immer gehofft und gewartet hat, ja, das weswegen es dieses einzigartige Volk überhaupt gibt.
  • Paulus kritisiert seine Familie nicht. Hier klingt auch kein Vorwurf an. Hier ist vielmehr echte, tief empfundene Sympathie, mit der er sich für seine Leute das Geschenk des Glaubens wünscht. Angesichts dessen stehe ich eher beschämt da, mit wie viel Gleichgültigkeit ich meiner eigenen Familie und meinem eigenen Volk gegenüberstehe und doch eher denke: Sollen sie nach ihrer eigenen Façon glücklich werden.
    Aber auch: Welche Freude, dass heute vier Familien unter uns sind, die ihr Kind so sehr lieben, dass sie für es das Geschenk des Glaubens wollen. Sie wollen, dass ihr Kind die Erfahrung machen darf, die das Wichtigste im ganzen Leben werden kann, wenn es alles andere trägt und mit Liebe umfängt.

2. Dekalog der Geschenke an Israel

  • Schauen wir genauer hin, was Paulus über sein Volk schreibt, dann finden wir einen 'Dekalog' der Geschenke Gottes an Israel. Wie der Dekalog der Zehn Gebote sind es Zehn Gaben Gottes an sein Volk.: "Sie sind Israeliten; damit haben sie die Sohnschaft, die Herrlichkeit, die Bundesordnungen, ihnen ist das Gesetz gegeben, der Gottesdienst und die Verheißungen, sie haben die Väter, und dem Fleisch nach entstammt ihnen der Christus, der über allem als Gott steht."
  1. "Sie sind Israeliten", im Glauben an Gott hat dieses Volker überhaupt erst zusammengefunden.
  2. "Damit haben sie die Sohnschaft", das Volk Israel bezeichnet Paulus als "Sohn Gottes", von Gott angenommenes, geliebtes Kind.
  3. Der Verweis auf "die Herrlichkeit," erinnert an den Weg, den Gott mit seinem Volk durch die Wüste gegangen ist: Dort ist in der Wolken- und Feuersäule Gottes Herrlichkeit mit ihnen gegangen.
  4. Immer wieder hat Gott seinen Bund mit Israel erneuert, "die Bundesordnungen" reichen von Abraham über den Sinai und David voraus auf den "neuen Bund", den der Prophet Ezechiel verheißt.
  5. "Ihnen ist das Gesetz gegeben". Das kleine Sätzchen erinnert daran, dass dieses Volk durch den Glauben Regeln für das Zusammenleben geschenkt bekommen hat, die bis heute Menschen auf der Suche nach Gerechtigkeit inspirieren.
  6. Das sechste Geschenk ist "der Gottesdienst", auch er ist für Paulus etwas Großartiges angesichts des heidnischen Götzendienstes, der nur um sich selbst kreist und der Verherrlichung angemaßter Macht dient.
  7. In seiner Geschichte tut sich für Israel die Zukunft auf. Paulus erinnert an "die Verheißungen", die in das neue Land führen, ja, die Vollendung der Welt erhoffen lassen.
  8. All dies war Verheißung an "die Väter", die hier gleichsam in der Gegenwart auftreten, die großen Vorfahren, die für die Erfahrung der Treue Gottes stehen.
  9. Das Größte vielleicht, was Paulus über sein Volk der Juden sagt, ist: "dem Fleisch nach entstammt ihnen der Christus", der Messias und Gesalbte.
  10. Und schließlich nennt er noch einmal den Gott Israels, "der über allem als Gott steht". Sein Name ist die Verheißung: Ich bin bei euch!
  • Dies sind die Geschenke Gottes an sein Volk, zu dem Paulus gehört und das er liebt. Nicht aus irgendeinem Bekehrungswahn heraus, sondern aus einer eigenen positiven Erfahrung heraus und aus Liebe will Christus sein leibliches Volk und seine Familie mit Christus bekannt machen, denn in Christus erfüllt sich alles, woraufhin Israel lebt.

    3. Das Geschenk der Taufe

    • Wenn heute Familien um die Taufe für ihre Kinder bitten, dann ist das nicht mehr 'weil das so üblich ist'. Es ist eine Entscheidung. Die Taufe eines Kindes ist dabei nicht nur verbunden mit dem Versprechen der Eltern und Paten, ihr Kind Gott anzuvertrauen, mit ihm zu beten und es in den Glauben und ein Leben in Liebe hineinzuführen. Es ist auch eine Erwartung an uns als Gemeinde und Gemeinschaft der Kirche.
      • All das, was Paulus für sein Volk an Geschenken Gottes anführt, ist auch uns weitergegeben worden.
      • Durch unsere eigene Taufe dürfen wir zu dieser Gemeinschaft des Volkes Gottes hinzu kommen.
      • Generationen vor uns haben aus der Erfahrung der Gegenwart Gottes gelebt.
      • Unser Gottesdienst hat Anteil am Gottesdienst Israels.
      • In den Sakramenten scheint auch uns Gottes Herrlichkeit auf.
      • Auch die Gesetze, die Israel gegeben wurden um in Gerechtigkeit zusammen zu leben, sind Teil unserer Kultur geblieben, trotz allem. Die Menschenrechte und der immer noch vorhandene Sinn für die Verantwortung gegenüber den Schwachen und den Fremden in unserer Mitte kommen aus dieser Wurzel.
      • Mit Israel verbindet uns der Name Gottes: Er ist da für uns; aus dem Volk der Juden ist für sie und uns das Heil gekommen, Jesus Christus.
      • Dies sind die großen Geschenke der Gegenwart Gottes, JHWH, auf den wir unser Vertrauen setzen dürfen und durch den wir Kraft finden, aus dem Glauben zu leben.
    • Dies alles gilt nicht nur uns, sozusagen als Privatbesitz; weder individuell noch als Kirchengemeinschaft, die sich abschottet. Die große Liebe, mit der Paulus von seinem Volk spricht, macht deutlich. Unsere eigene Erfahrung mit Gott ist ein Geschenk, das weiter gegeben werden will, an die Menschen, die wir lieben und denen wir Gutes wünschen. Amen.