Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Ökumenischer Seefahrergottesdienst Altenwerder

Zurück zur Übersicht von: Verschiedene Predigten

28. Juni 2015 - St. Gertrud, Hamburg-Altenwerder

1. Ungerechtigkeit

  • Es gibt Streit in der Gemeinde. Die Ausländer wollen nicht länger hinnehmen, dass ihre Armen schlechter behandelt werden, als die Armen der Hebräer. Sie murren. - Wie ließt sich das, wenn man zu den Benachteiligten gehört, die von der Mehrheit gerne übersehen werden?
  • Eine ältere Frau erzählte mir eine Begebenheit aus ihrer Kindheit: Ihr Vater hatte einen Kuchen mitgebracht und ihn für die Kinder in gleich große Teile aufgeteilt. Als das kleine Mädchen dran kam stellte sich heraus, dass der Vater falsch gezählt hatte. Es war kein Stück für sie mehr übrig. Nicht einfach Murren, sondern großes Theater. Darauf, so erzählte mir die Frau, habe ihr Vater gesagt: Mein Kind, es ist nie zu früh um zu lernen, dass das Leben ungerecht ist. Das hat sie damals nicht getröstet. Aber sie hat es sich gemerkt.
  • Bei den einen dauert es länger, die anderen wissen es von Kindheit an, dass das Leben nicht gerecht ist. Der Kuchen wird ungleich verteilt. Für manche bleibt nichts übrig. Mit den Positionen an Bord ist es genau so: Offiziere kommen aus Europa, einfache Mannschaft aus Indien, den Philippinen oder Afrika. Das ist so. Die Reichen achten auf ihr Stück Kuchen; die Anderen sind froh, ihren Teil zu bekommen. Das ist so.

2. Gemeinde

  • Natürlich wollen wir alle eine bessere Welt. Aber das sollte uns nicht blind für die Realität machen. "Ihr wisst, dass die Herrscher ihre Völker niederhalten und die Mächtigen ihnen Gewalt antun" (Mt 20,25). Das ist die Realität. Die Kirche, von der die Apostelgeschichte berichtet, hat aber zusätzlich die Mahnung Jesu im Ohr: "Ihr aber nicht so!" (Lk 22,26)
  • Ob es immer gelingt? Eher nicht. Aber wo Christen als Minderheit in Kulturen voll Sklaverei, Ungerechtigkeit und Ausbeutung leben, da haben sie immer wieder versucht, unter sich ein Gegenmodell zu leben. Sie sind nicht die Großen der Welt, die die Gesetze bestimmen. Aber gerade deswegen können sie es anders machen.
  • Der Versuch der Gemeinde in Jerusalem, auf das Murren wegen der Ungerechtigkeit zu reagieren, ist der richtige Weg: Sie suchen Strukturen und Wege, wie es unter ihnen anders zugehen könnte. Das ist die christliche Weise, gegen die große Ungerechtigkeit der Welt anzugehen: Es einfach dort anders machen, wo sie sind. Nicht aufzuhören, es wenigstens zu versuchen.

3. An Bord

  • An Bord ist beides. Die da oben, die da unten. Über Einkommen und Status entscheidet primär nicht die Qualität, sondern die Herkunft. Chancen sind ungleich.
  • Und dennoch habe ich immer wieder den Eindruck, dass gerade unter den einfachen Seeleuten etwas wächst, was letztlich die Welt verändern kann: Da gibt es immer wieder Versuche, anders zu leben, als es die nackte Ungerechtigkeit globaler Chancenverteilung diktiert. Seeleute bauen eine Kultur des Miteinander auf, die ihnen hilft nicht zu vergessen, dass Gott diese Welt anders will, als was wir daraus machen.
  • Oft sind es religiös und kulturell ganz gemischte Mannschaften. Aber zugleich sind da Menschen mit einander in einer Weise Kirche, wie es uns Christen aufgetragen ist: Anders zu sein, und dadurch der Ungerechtigkeit das letzte Wort zu nehmen. Die Ungerechtigkeit nicht leugnen, aber aus tiefem Glauben an Gottes Gerechtigkeit dagegen anzuleben. Amen.