Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 15. Sonntag im Lesejahr C 2004

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11. Juli 2004 - Universitätsgottesdienst St. Ignatius, Frankfurt

1. Bundesversprechen

  • "Du sollst..." lässt das Lektionar, aus dem die Lesung gelesen wird, die erste Lesung aus dem Buch Deuteronomium beginnen. Es ist das "5. Buch Mose" und der heutige Text ist aus dem Schluss des Buches genommen, der gleichsam als "Testament" des Mose gestaltet ist. Vor seinem Tod und vor dem Einzug des Volkes in das gelobte Land wird noch einmal der Bund beschrieben, den Gott am Horeb mit Israel geschlossen hat. Ein Bund, in dem Gott dem Volk seinen Segen verheißt, wenn das Volk festhält an dem Bund, dessen Kern der Dekalog, die Zehn Gebote sind.
  • Im Lektionar sind die Abschnitte zu finden, die im Zyklus von drei Jahren in der Sonntagsmesse gelesen werden. Dazu musste aus dem reichen Angebot an Bibeltexten natürlich ausgewählt werden. Und da die Abschnitte häufig nur Teil eines größeren Textes sind, muss dieser Abschnitt mit einer knappen Formulierung eingeleitet werden, die sinngemäß beschreibt, in welchen Kontext der Abschnitt gehört. Heute lautet diese erläuternde Einleitung: "Mose sprach zum Volk: Du sollst auf die Stimme des Herrn, deines Gottes hören und auf seine Gebote und Gesetze achten...".
  • Diese Einleitung ist reichlich misslungen. Sie soll wohl daran erinnern, dass die zehn Gebote, um die es in dem Gottesbund geht, jeweils mit "Du sollst..." beginnen. Hier aber, in der letzten Rede des Mose, steht genau das nicht. Vielmehr wird in dieser Rede immer wieder (und im hebräischen Original abwechslungsreicher, als es im Deutschen möglich ist) immer wieder betont: "wenn, ... dann!" Wenn ihr an den Geboten festhaltet, dann wird es euch gut ergehen. Wenn ihr nicht vor anderen Göttern niederfallt und wenn ihr nicht anderen Göttern dient, dann, aber auch nur dann wird der Segen auf euch ruhen. Nur dann werdet ihr das Leben haben. Entscheidet euch also: "wenn,... dann".

2. Heiliger Schacher

  • Was ist das für eine Ethik! Nicht, weil es gut ist, sollen wir das Gute tun, sondern weil wir "etwas davon haben". Uns Nachkommen Immanuel Kants kommt das unschicklich vor, wenn uns vorgeschlagen wird, die zehn Gebote um des zu erwartenden Vorteils willen zu halten. Ganz lupenrein mutet uns solche Denkweise nicht an. Vielleicht haben sich die Herausgeber des deutschen Lektionars deswegen für die (falsche) Einleitung entschieden: "Du sollst...".
  • In einer stillen Stunde hat sich aber mancher schon bei der Frage ertappt: was habe ich davon? Was bringt es, nach Gottes Geboten zu leben und diesem Gott treu zu sein? Und zudem, Hand aufs Herz: Leuchtet Ihnen das letztlich ein, dass eine gute Tat nur dann wirklich gut ist, wenn man selbst nichts davon hat? Denn zumindest das wohlige Gefühl, etwas Gutes getan zu haben, gönnt man sich zumeist gerne. Die Hl. Schrift ist von daher direkter als die kantische Ethik. Sie spricht von einem Bund auf Gegenseitigkeit. Das "Testament", der Bund klärt, was die Partner dazu beitragen: Wenn Du Deinen Teil erfüllst, erfülle ich den meinen. Dies präzise gesagt, ist das Angebot Gottes, wie es die Hl. Schrift darstellt. Man mag es als heiligen Schacher abtun; zumindest ist es ehrlich.
  • Der Bund mit Gott ist uns ganz nahe. Der zweite Teil der heutigen Lesung muss als Begründung mitgelesen werden. Denn er besagt doch, dass das Leben nach Gottes Bund für uns nicht bedeutet, dass wir uns selbst entfremdet würden. Im Gegenteil: Nichts ist uns so nahe, wie in der Gemeinschaft mit Gott zu leben. "Das Wort ist ganz nah bei dir, es ist in deinem Mund und in deinem Herzen, du kannst es halten." Kein Heiliger Schacher also, sondern ein Heiliger Bund - von Gottes Herz zu unserem Herzen.

3. Erfüllung des Bundes

  • Hält Gott, was er im Bund versprochen hat? "Er wird dir Gutes tun, wenn...", heißt es da. Die Verheißung ist klar. Klarer jedenfalls, als die Erfüllung. Hat Gott den Gerechten belohnt, der zu ihm hält? Zumal in der radikal diesseitigen Theologie des Alten Testamentes ist das Leiden des Gerechten ein zentrales Problem. Nur wenige, späte Teile des Alten Testamentes ziehen ein Leben nach dem Tod und damit jenseitigen Ausgleich in Betracht. Erst das Neue Testament radikalisiert und beantwortet diese Frage, wenn selbst der Gerechteste der Gerechten leidet - und in der Auferstehung in seiner Gerechtigkeit bestätigt wird.
  • Von Auferstehung ist im Buch Deuteronomium aber nicht die Rede. Ebenso wenig ist die Verheißung Gottes jedoch unerfüllt. Denn zu aller erst muss man darauf achten, wem diese Verheißung gilt: Nicht Einzelne spricht Mose an, sondern ein Volk. Ganz eindeutig ist gemeint "Er wird dir Gutes tun, Israel, wenn du...". Und die Erfüllung dieser Verheißung ist für den Gläubigen, Juden wie Christen, Teil der Offenbarung und Teil der Erfahrung. Denn in der Tat hat Israel seine innere Einheit gewahrt, so lange es nur den einen Gott verehrte, nach seinen Geboten in politischer Gleichheit und sozialer Gerechtigkeit gelebt hat. Erst die Königszeit, als man um außenpolitischer Vorteile willen (so ein wenig doch) andere Götter verehrte, und um eigener Vorteile willen das Recht der Armen mit Füßen trat, erst da schlitterte Israel in die Katastrophe. Erst nach dem Exil, dem Scheitern des Königsstaates hat sich Israel wieder an den Bund des Mose erinnert.
  • Das sollten auch wir nicht vergessen. So sehr die Verheißung Gottes jedem von uns einzelnen gilt, so sehr gilt sie auch uns als Gemeinschaft. Statt sich über das "wenn, .... dann" im Testament des Mose zu mokieren, merken wir so nämlich, wie sehr das, was wir als Krise und Niedergang erleben, zu tun hat mit einer Abkehr von dem einen Gott und seinen Geboten und seiner Gerechtigkeit. Schauen wir uns ruhig erst mal die Liste der Altäre an, die wir für die verschiedensten Lebenslagen erbaut haben: Altäre von Geld und von Macht und von Nationen und von ganz persönlichen Nischen, die wir dem einen Gott vorenthalten wollen. Wenn wir miteinander als Kirche daran gehen, hier mehr Klarheit und Bekenntnis zu wagen, dann dürfen wir auch auf Gottes Treue zu seinem Bund vertrauen. Amen.