Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt im ökumenischen Gottesdienst zum Start der Allianzgebetswoche Buxtehude

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12. Januar 2013 - Freie Evangelische Gemeinde Buxtehude

Thema des Gottesdienstes: „Unterwegs mit Gott – weil er sich gedemütigt hat“

1. Sein wie Gott

  • Ein Mann sitzt am Computer, vor ihm ein Formular. Ein kleines Häkchen per Mauklick in ein Kästchen setzen, mehr braucht es nicht. Es bringt ihm kein Geld ein. Es hat keinen sonderlichen Einfluss auf seine Karriere. Der Mauszeiger fährt auf das Kästchen. Er weiß, dass er mit dem Klick gegen Recht und Gesetz verstößt. Ob er deswegen zögert, weiß ich nicht.
    Vielleicht hat er kürzlich erst mit seinen Kindern Streit, die stundenlang vor dem Computer sitzen, per Mausklick ganze Kriege führen und darüber entscheiden, wer den virtuellen Tod sterben muss und welche Spielfiguren überleben dürfen. Jetzt sitzt der Mann selbst am Computer. Auch er entscheidet per Mausklick. Aber bei ihm geht es nicht um Figuren in einem Computerspiel, sondern darum seinen Patienten zu einer Spenderniere zu verhelfen.
    Bis vor kurzem musste offenbar nur der Chefarzt ein Häkchen in der Spendendatei ergänzen, und schon rutschte sein Klient in der Empfängerdatei nach oben, weil dieser angeblich zur Dialyse muss. Dieser Mausklick verschafft dem Chefarzt das Gefühl wie Gott zu sein. Nicht Regeln und Gesetze, nein, er entscheidet über Wohl und Wehe, letztlich vielleicht sogar Leben und Tod von Menschen.
  • Wenn es stimmen sollte, das die Ärzte in Leipzig keine anderen Vorteile aus ihrer Manipulation der Krankenakten zogen, dann bleibt vielleicht dieses eines: Sie konnten sich fühlen wie Gott. Das ist ein machtvoller Stimulans.
    Auf die eine oder andere Weise hat das vermutlich jeder schon einmal erfahren, wie verlockend es ist, andere zu manipulieren. Statt primär ihnen helfen zu wollen, labt man sich an dem Gefühl, entscheiden zu können. Das ist die Urversuchung und Ursünde, die Frucht des Baumes der Aneignung von Gut und Böse, die Versuchung, sein zu wollen wie Gott.
    Wenn es überhaupt eine Möglichkeit gibt, das monströse Verbrechen der Gewalt gegen Kinder zu verstehen, dann ist es dieses Gefühl der Macht über andere, Schwächere, die das Gefühl geben Gott zu sein - ein monströser, seelenvernichtender Gott. Denn das ist das tragische dieser Ursünde des Menschen, dass sie Gott nicht erkennt; das Antlitz Gottes ist das Gegenteil dessen, was die Kleingötter nachzuäffen versuchen. Es ist tragisch, weil der Mensch, der auf diesem Weg versucht wie Gott zu sein, weder das Antlitz Gottes trägt, noch das eines Menschen, der doch nach Gottes Antlitz geschaffen ist. Es bleibt nur das verzerrte Gesicht oder gar die Fratze dessen, der zerstört, weil er sich über andere und Gott selbst erhebt.
  • In diese Welt hinein ist Gott erschienen. Wir stehen am Ende der Weihnachtsfestkreises, in dem wir dankbar dieses Ereignis feiern. Es liegt nicht in ferner Vergangenheit, sondern findet heute statt, wo wir es mit Lobpreisliedern feiern. Das Fest erschöpft sich nicht in dem Bild von dem Kind in der Krippe.
    In der Katholischen Kirche werden drei weitere Evangelien an den drei Sonntagen, beginnend mit Epiphanie (Erscheinung des Herrn) am 6. Januar gelesen. Das Offenbarwerden des menschgewordenen Gottessohnes vor der Weisheit der Welt, im Matthäusevangelium symbolisiert durch die Weisen aus dem Morgenland. Darauf folgt das Evangelium von der Taufe Jesu im Jordan, in dem sich Gott, der Vater, zu seinem geliebten Sohn bekennt und ihn verkündet; das ist heute. Und schließlich wird am kommenden Sonntag das Evangelium von der Hochzeit zu Kana gelesen, dem ersten Zeichen, das Jesus gewirkt hat: Ein Fest der Freude und des Überflusses.
    In diesen Festen zeigt sich Gott durch Jesus Christus. Sie führen ihn ein in unsere Welt. Von hier aus geht er seinen Weg, predigend, heilend, aber auch Verfolgung und Kreuz tragend. Wir Christen Glauben: In diesem Jesus Christus zeigt Gott sein Herz, in ihm offenbart sich Gott, wie er ist. Kein Gott, der sich über uns erhebt, sondern ein Gott, der unter uns ist und dient.
    Daran zeigt sich die Tragik derer, die insgeheim sein wollen "wie Gott", wenn sie sich über andere erheben und über sie bestimmen wollen, um sich selbst groß und mächtig vorzukommen. Dabei ist gerade dieses Verhalten nicht "wie Gott", sondern offenbart nur die schlechtesten Seiten des Menschen.

2. Der Philipper-Hymnus

  • Davon, wie Gott ist, singen unsere Lieder. Wie schon zuvor das Volk Israel, gehören Lieder über Gottes Herrlichkeit von Anfang an zu den Gottesdiensten der Christen. Ein solches Lied finden wir in dem Brief, den der Apostel Paulus an die Kirche in Philippi schreibt. Mir scheint es wahrscheinlich, dass Paulus selbst das Lied gedichtet hatte; in der Gemeinde wurde es schon länger gesungen; deswegen kann es Paulus nun in seinem Brief aufgreifen. Wir haben diesen Hymnus als Lesung miteinander gehört. Er wurde in der Übertragung der "Guten Nachricht" gelesen, einer Bibelausgabe, die versucht, die alten Texte für unsere Zeit zu deuten und verstehbar zu machen. Das Lied singt von Jesus Christus.
  • "Er war in allem Gott gleich, und doch hielt er nicht gierig daran fest, so wie Gott zu sein." Paulus teilt mit den Philippern den Glauben, dass - wie es im Glaubensbekenntnis heißt - Jesus Christus "wahrer Mensch und wahrer Gott" ist, "Gott von Gott und Licht vom Licht". Wir wüssten so gut wie nichts über Gott, wenn Gott sich uns nicht zeigen würde.
    Das Alte Testament zeigt Gott in der Geschichte Israels und bereitet damit vor, dass Gott sich in Jesus Christus zeigt, wie er ist, in einzigartiger Weise. Ohne Zweifel sind Paulus und die Philipper davon überzeugt. Daher ist es nicht falsch, wenn die "Gute Nachricht" schreibt: "Er war in allem Gott gleich".
    Aber das "in allem" ist erläuternder Zusatz der Übertragung. Im griechischen Original steht: "Er war in der Gestalt Gottes". Damit ist aber hier, am Anfang des Liedes, noch eine ganz andere Bedeutung angesprochen. Denn nach dem Antlitz Gottes sind wir Menschen alle geschaffen. Wir alle sind Christus ähnlich, wenn wir darauf schauen, wie wir geschaffen sind. Das macht aufhorchen: Er war wie wir, aber in der ursprünglichen, Gott ähnlichen Gestalt.
    Und dann ist gleich ausgesprochen, worin der Trick liegt, diese Gestalt nicht zu verlieren: "Er hielt nicht gierig daran fest, so wie Gott zu sein." Diese Gier, die göttliche Größe des Menschen als Raub und Privatbesitz festzuhalten, die ist es, die schon am Anfang so zerstörerisch gewirkt und uns bloß gestellt und aus dem Paradies vertrieben hat.
  • Jesus aber macht das Gegenteil. Er hält nicht raffgierig an dem von Gott geschenkten "sein wie Gott" fest. "Er gab alle seine Vorrechte auf", er verzichtete für seine Person sozusagen auf elementare Menschenrechte, "und wurde einem Sklaven gleich". Und das hat der getan, der von Gott her kommt, der von Ewigkeit her Gott ist: "Er wurde ein Mensch in dieser Welt und teilte das Leben der Menschen."
    Man könnte ja meinen, damit höre Gott auf, wie Gott zu sein; jetzt sei er eben 'nur' ein Mensch. Aber im Gegenteil: Gerade darin, dass er niedrig wird um unseretwillen, ist Gott wie Gott - wie Gott eben wirklich ist. Seine Liebe ist ihm das Wichtigste. Deswegen geht er den Weg weiter, um auch denen ganz nahe zu sein, die wir Menschen ganz nach unten gedrückt haben: "Im Gehorsam gegen Gott erniedrigte er sich so tief, dass er sogar den Tod auf sich nahm, ja, den Verbrechertod am Kreuz." So ist Gott, wenn er uns zeigt, wie Gott ist. Ein Skandal für alle 'vernünftig' denkenden Menschen. Ein Grund zur Freude und zum Jubeln, für alle die glauben.

3. In der Gesinnung Gottes

  • Was sollen wir damit anfangen. Lobpreislieder sind schön, aber das kann es doch kaum gewesen sein. Deswegen sollten wir noch einmal genauer hinsehen, weswegen Paulus eigentlich sein Lied zitiert. Die "Gute Nachricht" leitet den Hymnus ein: "Habt im Umgang miteinander stets vor Augen, was für einen Maßstab Jesus Christus gesetzt hat." Das würde bedeuten: In dem Lied wird der Maßstab und das Vorbild beschrieben, nach dem wir uns zu richten und das wir nachzuahmen hätten.
    Aber hier scheint mir die "Gute Nachricht" zu einer falschen Interpretation zu verleiten. Da steht nicht, dass wir nach dem Vorbild von Jesus leben sollen. Vielmehr steht da, dass wir in der Gesinnung leben sollen, die einem Leben in Christus entspricht. Das griechische Wort, das z.B. auch die rev. Lutherübersetzung oder die Einheitsübersetzung mit "seid gesinnt" übersetzen, hat im Original eine ganz tiefe Bedeutung. Das Wort "phronein" leitet sich aus dem Wort für Zwerchfell ab, jenem Organ, das in der Mitte des Menschen liegt und unseren Atem bestimmt. Paulus meint also, wir sollen von der Mitte unseres Denkens, Fühlens und Entscheidens her so sein, wie es dem "in Christus sein" entspricht.
    Es ist so, wie einem Fisch zu sagen: Lebe nach der inneren Einstellung, wie es einem Leben im Meer entspricht. Das ist deine natürliche Umgebung. Lebe danach und schwimm in den weiten des Meeres umher. Genauso sagt Paulus der Kirche in Philippi: Als Getaufte lebt ihr "in Christus". Sucht also die innere Lebenshaltung, die zu dieser Umgebung passt.
  • Beim ganzen Evangelium und dem Glauben geht es also nicht einfach nur darum, dass wir einen moralischen Maßstab haben, an dem wir unser Handeln ausrichten sollen. Das wäre wieder nur ein Gesetz, das uns vor Augen führt, wie oft wir daran scheitern. Vielmehr macht uns das Evangelium klar, wie Gott ist, "in dem wir leben, uns bewegen und sind", seit wir durch die Taufe ein Glied der Kirche geworden sind, dem Leib Christi, zu dem wir gehören (Apg 17,28 EÜ "Denn in ihm leben wir, bewegen wir uns und sind wir, wie auch einige von euren Dichtern gesagt haben: Wir sind von seiner Art").
    Wie das Wasser den Fisch trägt, so trägt uns diese Wirklichkeit Gottes, die uns umgibt. Deswegen ist es so wichtig, kein falsches Bild von Gott zu haben. Gott ist einer, der uns so unendlich liebt, dass er für uns Mensch wird und das schlimmste Menschenschicksal erleidet. So ist Gott in Christus. Erinnert Euch daran, sagt uns Paulus, damit ihr in der inneren Haltung lebt, die dieser Wirklichkeit eures Lebens entspricht. Dann werdet ihr merken, dass ihr euch nicht wie selbsternannte Möchtegerngötter benehmen müsst, andere herumkommandieren und klein machen, um göttlich zu sein. Ja, Ihr könnt sogar zu einer Lebenshaltung finden, die souverän genug ist, sich selbst zu "bescheiden und den Bruder oder die Schwester mehr zu achten als euch selbst".
  • Dann wird es ein echter Lobpreis, wenn er aus dem Herzen und der Gesinnung von Menschen kommt, die wie Christus, nicht ängstlich und verbissen festhalten an dem, was sie sind, sondern voll Freude auf das schauen, was es Wunderbares an den anderen zu entdecken gibt. "Alle, die im Himmel sind, auf der Erde und unter der Erde" sind dazu eingeladen, vor der göttlichen Haltung Christi Jesu in die Knie zu gehen, der nicht hoch und mächtig, sondern dienend und liebend Gott geoffenbart hat. Auf den Bettler und auf den Ausgestoßenen, auf den Armen und das Opfer schaut dann niemand mehr herab, sondern alle singen das Lob Gottes, des himmlischen Vaters. Amen.