Predigt zum 12. Sonntag im Lesejahr B 2009 (Markus)
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21. Juni 2009 - Hochschulgottesdienst, St. Antonius Frankfurt
1. Chaos
- Um die Bedeutung des Wortes Chaos zu verstehen, muss ich nur meinen Schreibtisch
anschauen. Chaos ist die Abwesenheit von Ordnung. Chaos hat etwas Bedrohliches.
Die Sprachforscher vermuten, dass das Wort im Griechischen mit "Gähnen"
verwandt ist, was nicht mit dem Gemütszustand beim Anblick des Schreibtisches
zu tun hat, sondern mit dem "gähnenden Abgrund" unter der Welt, wo alles
im Grauen versinkt.
- Der Inbegriff des Chaos ist in biblischer Sprache das Meer. Deswegen vielleicht
spricht das Markusevangelium auffällig beim See von Kafarnaum immer von
"Meer", weil die Jünger im Boot hier in den Abgrund geschaut und das lebensbedrohliche
Tosen des Chaos erlebt haben. Chaos mag ja manchmal ganz hilfreich sein, damit
Kreativität Raum hat, wie Gott aus dem Chaos die Welt geformt hat (Milton,
Schlegel, Nietzsche). Ja, das Chaos ist Tohubawohu (Gen 1,2). Aber es ist
das Tohubawohu, eben damit auch das Fehlen von Orientierung, Kraft, Schutz und
Perspektive. Chaos ist der gähnende Abrund.
- Mein Schreibtisch ist daher ein ungenügendes Beispiel. Richtig bedrohlich
ist er nicht. Das sind vielmehr die Situationen, wo einem der Boden unter den
Füßen wegzubrechen droht.
- Das kann in Diktaturen sein, wo Machthaber bewusst Chaos herbeiführen,
um willkürlich herrschen zu können; so war die NS-Herrschaft im
undurchschaubaren Nebeneinander ihrer Organisationen eigentlich nur Chaos,
das um so effektiver einschüchtern konnte.
- Das können Zeiten der Kirche sein, in denen von innen oder von außen,
durch Glaubenskrise oder Verfolgung, Christen nicht mehr wissen, ob dort Christus
noch gegenwärtig ist.
- Das kann aber auch die ganz individuelle Situation sein, in der ein Studium
final gescheitert oder eine Beziehung zerbrochen ist, in der Gefühle
durcheinanderwirbeln oder gar der Geist verwirrt ist.
2. Befehl
- Jesus befiehlt dem Sturm und er ist still. Das entspricht dem Wort Gottes,
des Schöpfers der Welt. Er spricht und es geschieht. Hier im Evangelium
aber ist es Gott, der in einer Schöpfung Mensch wurde, die gezeichnet ist
vom Rätsel des Bösen. Es gibt in dieser Welt Unheil, Böses und
lebensbedrohliche Mächte.
- Jesus befiehlt dem Sturm wie den Dämonen. Das Evangelium gebraucht den
gleichen Befehl, mit dem Jesus unreinen Geistern befiehlt: Schweig, sei
still! . Das Rätsel bleibt, warum unser Leben durch Unheil bedroht
ist. Wir können auch als Christen über den Grund nur rätseln.
Aber das Evangelium macht deutlich: Das Unheil behält nicht das letzte
Wort. In der Gegenwart Jesu muss es schweigen. Ja, selbst das Chaos des Meeres
hindert Jesus nicht ruhig zu schlafen.
- Die Stillung des Seesturms ist ein Zeichen. Jedes Wunder, das Jesus wirkt,
ist ein Zeichen, das über das konkrete Ereignis auf die Wirklichkeit Gottes
verweist. Es ist nicht das Ende aller Stürme. Gott hat in seiner Schöpfung
das Rätsel des Chaos zugelassen. Für uns stellt sich die Frage, was
die Zeichen bedeuten, die Jesus wirkt.
3. Autorität
- Wenn das Chaos über mich einbricht, ist die Sehnsucht groß, mit
einem Federstrich alles zu verändern. Ein Großer Exerzismus und alle
bösen Geister sind ausgetrieben. Solche Situationen gibt es. Es kann sein,
dass es des großen Schnittes bedarf, wenn ich mich verrannt und verstrickt
habe. In solchen Situationen kann es sein, dass die einzige Rettung darin besteht,
sich darauf zu besinnen, dass wir zu Christus gehören, der dem Sturm sagt
"Schweig, sei still!". Vor der Autorität Christi können Dämonen
nicht bestehen und es gibt Situationen, in der ich mich zu dieser Autorität
retten darf und kann.
- Die Sehnsucht nach dem Kurzen Prozess kann aber auch eine Versuchung sein.
Gott lässt die Stürme zu, solche, die ich selbst angefacht habe und
auch solche, die über mich hereinbrechen. Nicht immer aber sind es Dämonen.
Im Gegenteil. Der Dämon des Abgrundes ist in mir. Und es ist an mir, mich
ihm in täglicher Kleinarbeit zu stellen. Statt dem großen Wurf ist
dann angesagt, den Blick darauf zu werfen, wo in dem Sturm das Boot ist, das
mich hält, die Inseln, die mir Ruhe geben, die Kraft, die in jedem von
uns steckt, weil jeder von Gott her die Kraft bekommt, die er braucht, um nicht
unterzugehen.
- Die Jünger sind nicht allein im Boot. Statt sich mit ihrer Angst gegenseitig
kirre zu machen, könnten sie merken, dass Jesus bei ihnen ist. Er schläft
nicht aus Desinteresse. Er schläft mitten im Sturm, weil er damit das deutliche
Zeichen gibt, dass dem, der auf Gott vertraut, im Letzten kein Sturm das Boot
versenken kann. Dass Jesus den Sturm auf dem Meer von Galiläa stillt, ist
das Zeichen, das für jeden Sturm Kraft gibt: Über allem Chaos steht
die Autorität Gottes, der "sprach: Bis hierher darfst du und nicht
weiter, hier muss sich legen deiner Wogen Stolz" (Hiob 38,11). Amen.