Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 11. Sonntag im Lesejahr C 2016 (2 Samuel)

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12. Juni 2016 - Kleiner Michel (St. Ansgar), Hamburg

1. Der König verurteilt sich selbst

  • Der Prophet Natan dürfte öfter einmal bei König David vorgesprochen haben. Propheten konnten auch als eine Art Petitionsausschuss den kleinen Leuten geholfen haben, ihre Anliegen vor den König zu bringen. So sieht es auch jetzt aus: David hört sich die Geschichte von dem Reichen an, der dem Armen das einzige, geliebte Lamm weggenommen hat, obwohl er selbst genug gehabt hat. Der König hört den Fall und spricht ein hartes Urteil, das er selbst und alle Zeitgenossen damals wahrscheinlich als Zeichen königlicher Gerechtigkeit gesehen haben: Vierfacher Schadensersatz und zumindest die angedrohte Todesstrafe. David wird in diesem Augenblick auf seine unbestechliche Gerechtigkeit stolz gewesen sein.
  • Doch die Wahrheit ist eine andere. Natan hatte dem König nur sein eigenes Verhalten geschildert, geschickt verpackt, aber eindeutig. Der König selbst ist der, der alles hat und doch dem Nachbarn das Wertvollste genommen hat. Er hat einem Nachbarn die Frau weggenommen und ihn in seiner Macht als König in den sicheren Tod geschickt.
  • David hat, das merkt er nun, nicht über jemand anderes, sondern über sich selbst geurteilt. Und er erschrickt. Nicht über die Härte der Strafe, die ist nach damaligem Maß gerecht. Er erschrickt über die eigene Schuld, die eigentlich so offen zu Tage liegt. Dennoch hatte niemand gewagt, den König damit zu konfrontieren - außer der Gottesmann, der Prophet Natan.

2. Schuld vor dem Angesicht Gottes

  • Durch Natan spricht Gott selbst zu David. Es wird offenbar, dass David doch alles in Hülle und Fülle empfangen hat. Er hatte seine Karriere vom Hirtenjungen zum umjubelten König als selbstverständlich genommen. Er hatte vergessen zu fragen, welche Verantwortung das für ihn bedeutet. Natan macht David, der sich eigentlich für gottesfürchtig hält deutlich: mit deinem Tun hast du "das Wort Gottes missachtet".
  • Ohne Gott bleibt nur die Logik der Macht und der Interessen. Da liegt der Zusammenhang von Schuld und Gotteserfahrung. Wir mögen uns daran stoßen, dass die Bibel so ohne Differenzierung davon spricht: Gott hat dies gesagt, Gott wird jenes tun. Aber die Menschen, die mit diesen Worten ihre Erfahrung wiedergeben, haben ein gutes Gespür für Zusammenhänge.
  • Erstens: Dort wo die Selbstherrlichkeit des Mächtigen nicht mehr blendet, weil Gottes Herrlichkeit ungleich größer ist, dort lässt sich die Ungerechtigkeit gegenüber dem Armen nicht mehr verbergen. Vor Gott wird die Schuld offenbar. Ebenso aber das Zweite: Die einmal verübte Gewalt pflanzt sich fort. Die späteren Generationen erfahren, wie sehr das von König David abstammende Haus immer wieder Gewalt verübt und von Gewalt heimgesucht wird. Das Gotteswort im Mund des Propheten: "Darum soll jetzt das Schwert auf ewig nicht mehr von deinem Haus weichen; denn du hast mich verachtet".

3. Das letzte Wort hat die Vergebung

  • Und doch hat die Gewalt nicht das letzte Wort. König David ist trotz seines Verbrechens ein bleibendes Vorbild, weil er nicht zögerte, seine Schuld einzugestehen. Der Prophet hat das Unrecht an das helle Licht des Tages gebracht. In diesem Offenbarwerden seiner Schuld vermag auch König David selbst das gerechte und heilvolle Handeln Gottes zu erkennen.
  • Uns mag es etwas kurzschlüssig vorkommen, wenn hier ganz knapp nur der König sagt: "Ich habe gegen den Herrn gesündigt" und der Prophet antwortet: "Der Herr hat dir deine Sünde vergeben; du wirst nicht sterben." Natürlich ist der Prozess von Bekenntnis und Vergebung komplizierter und langwieriger, wenn er heilsam sein soll. Doch durch die knappe Erzählung wird klar: Von Gottes Seite her besteht nicht der geringste Vorbehalt. Für Gott ist Vergebung selbstverständlich. Nicht die Hartnäckigkeit Gottes ist unser Problem, sondern dass normalerweise derjenige, der Macht und Einfluss hat, nicht bereit ist (gar: nicht in der Lage zu sein scheint!), seine Schuld einzugestehen. Dadurch und nur dadurch bleibt das Unrecht.
  • Die Bibel hält solche Erinnerungen fest, um uns Mut zu machen: Prophetisch das Unrecht zu benennen, mutig die eigene Schuld in den Blick zu nehmen und offenbar werden zu lassen, und nicht zuletzt: uns von Gott anstecken zu lassen, der die Sünde nicht nachträgt, sondern vergibt. Damit wir leben. Amen.