Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 11. Sonntag im Lesejahr A 2023 (Römerbrief)

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18, Juni 2023 - St. Peter, Sinzig

1. Bedeutungsüberschuss

  • Das Leben ist nicht eindeutig. Zum Glück. Eindeutig mag die Mathematik sein und manche Naturwissenschaften. Was aber das Leben bedeutet, ist genauso wenig eindeutig wie dieses und jenes, das mit widerfährt.
  • Ein zweites gilt aber auch: das Leben ist nicht beliebig. Ereignisse, Herausforderungen und Situationen können sehr wohl sehr klare Bedeutung haben, wenn wir anfangen, darüber nachzudenken. Aber eben nicht unbedingt nur eine. Und ganz verschiedene Bedeutungen ein und desselben Ereignisses müssen einander widersprechen.
  • Das gilt auch und besonders für das Kreuz und den Tod Jesu. Er selbst sah ihn kommen und hat im Gebet darum gerungen. Nehmt, das ist mein Leib, das ist der neue Bund, nicht mehr im Blut von Tieren im Tempel, sondern in meinem, das für Euch vergossen wird. Das ist die Deutung, die Jesus im Blick auf das Pessach-Fest selbst gibt. Aber er wusste auch: was mir geschieht ist Verrat und Verbrechen. Beide Bedeutungen relativieren einander nicht. Gerade Bedeutungen, die in der Stille, im Gebet und im Heiligen Geist gefunden wurden, sind nicht nur einseitig und eindimensional.

2. Feindliche Heere

  • Paulus scheint im Römerbrief dem Tod Jesu eine weitere, bildlich starke Deutung zu geben: Als wir, schreibt er an die zumeist erst kürzlich Getauften in Rom, noch Gottes Feinde waren, ist Christus für uns gestorben. – Feinde Gottes? Viele der Christen in Rom, denen Paulus geschrieben hat, haben sich aus einer dekadenten Sklavenhalterkultur zum Glauben bekehrt. Paulus selbst, der frühere Saulus, war wahrlich ein Feind Gottes.
  • Das Bild, das Paulus jetzt malt, ist das von feindlichen Heerlagern, die sich gegenüberstehen. Gott und das "wir" des Paulus. Ist Krieg und Sterben unausweichlich? Gott sendet einen Boten aus, um über Versöhnung zu verhandeln. Doch sie erschlagen sie den Boten – Paulus schreibt weiter in der Wir-Form. Denn das völlig Unerwartbare geschieht: Gott versöhnt sich dennoch und einseitig mit seinen Gegnern.
  • "Da wir mit Gott versöhnt wurden durch den Tod seines Sohnes, als wir noch Gottes Feinde waren, werden wir erst recht, nachdem wir versöhnt sind, gerettet werden durch sein Leben." Aus der Vergangenheit seiner eigenen Bekehrung kommt Paulus auf die Gegenwart: Jetzt leben wir in Gemeinschaft des Auferstandenen. Ihn erleben wir hier, wo wir seine Sakramente feiern. Er lebt in uns, wo wir durch sein Vertrauen in Gott ermutigt werden, nicht für uns selbst, sondern für andere zu leben.

3. Der entgegenkommende Gott

  • Paulus deutet also seine Bekehrung und die Taufe der Christen in Rom. Er lädt sie damit ein, selbst zu sehen: Was ist die Bedeutung meines Christwerdens für mich? Und das geschieht ja nicht im luftleeren Raum, sondern angesichts der Tatsache, dass es nicht leicht ist, als Christ zu leben. Es ist nicht leicht angesichts meiner Zweifel, angesichts von viel Unverständnis um mich herum - und angesichts meines Lebens, das ja keineswegs nur von Glauben und Vertrauen geprägt ist.
  • In dieser Situation erinnert er: In Christus hat Gott gezeigt, dass er ganz und gar entgegenkommend ist. Er wartet nicht Leistung und Vorleistung ab. Ja, selbst seinen Feinden kommt er entgegen. – Paulus lädt damit ein, diesen entgegenkommenden Gott in der eigenen Erfahrung zu entdecken. Die eigenen Erlebnisse von Konflikt und Einsamkeit, von Nähe, Sinnlichkeit und Gelingen, große oder scheinbar kleine Momente. Wenn ich diese mit der geistlichen Erfahrung des entgegenkommenden Gottes anschaue, dann bekommen sie für mich eine Bedeutung, die ganz anders ist als zuvor. ES ist vor allem die Erfahrung der Größe Gottes in der heiligen Liturgie, die diesen Perspektivwechsel möglich macht.
  • Das Evangelium des heutigen Sonntags endete mit einer griffigen Formel Jesu: "Umsonst habt ihr empfangen, umsonst sollt ihr geben." Das ist genau der großzügig entgegenkommende Gott, durch und durch. Amen.