Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 11. Sonntag im Lesejahr A 2017 (Exodus)

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18. Juni 2017 - Kleiner Michel (St. Ansgar), Hamburg

1. Ein Skandal

  • Gott spricht über das Volk Israel: "Unter allen Völkern mein besonderes Eigentum". An diesem Satz vorbei ist kein jüdischer, aber auch kein christlicher Glaube möglich. Wer sich um diesen Satz drückt, wird nie verstehen, was die Taufe ist. Zugleich gebe ich zu, dass dieser Satz ein Skandal ist, ein Stolperstein gerade auch des Glaubens. Da soll ein Volk "unter allen Völkern" etwas besonderes sein, gar Gottes "besonderes Eigentum". Oder, wie es vorwurfsvoll schärfer formuliert wird: Da hält sich ein Volk für etwas besseres als die anderen. Und übertragen auf die Kirche: Die Christen halten sich wohl für etwas besseres!
  • Der Vorwurf wäre völlig berechtigt, wenn es nur eine Logik, nur eine Vernunft gäbe. Die Logik der allgemeinen Vernunft gilt als die eigentliche Logik. Nach ihr funktioniert die Moderne, zumindest steht sie unter dem Anspruch einer allgemeinen, immer gültigen Vernunft mit allgemein geltenden Gesetzmäßigkeiten und Gesetzen. Diese Logik hat große Erfolge vorzuweisen in der Technik, der Naturwissenschaft und sogar in der Politik, weil Rechtsstaatlichkeit darauf aufruht, und Rechtsstaatlichkeit die Voraussetzung für Demokratie, Freiheit und Achtung der Menschenwürde ist.
  • Nach dieser Logik ist es anstößig, wenn Gott sich unter allen Völkern "ein Volk" als "besonderes Eigentum" auswählt. Alle Menschen sind gleich. Und dennoch soll es etwas besonderes sein, durch die Taufe hinein genommen zu sein in den Bund Gottes, in Gottes Volk? Viele, auch Christen selbst, lehnen das ab. Sie halten es für arrogant und unvernünftig. Dass ich hier dennoch daran festhalte ist dann genau genommen ein Skandal.

[Vielleicht schleicht sich sogar der Verdacht ein, dass die Rede vom auserwählten Volk statt der Logik allgemeiner Vernunft der Logik der Korruption folge. Da verschaffe sich ein Volk unrechtmäßige Vorteile. Da nehme eine Religion für sich in Anspruch, dass ihre Leute etwas besseres seien und irgendwie privilegiert werden müssten. Nach dieser Logik funktioniert Günstlingswirtschaft und Korruption, wie sich gegenwärtig in immer mehr politischen Systemen beobachten lässt, die Rechtsstaatlichkeit verächtlich machen.]

2. Logik der Freundschaft

  • Jedoch, die Erwählung des Volkes Israel, wie sie die Bibel bezeugt, und die Erwählung durch die Taufe, wie wir sie im Sakrament als Christen feiern, stehen nicht im Widerspruch zu Vernunft, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit.
  • Es gibt neben der allgemeinen Rationalität eine andere Logik! Wenn wir genauer hinschauen, gehen wir alltäglich davon aus, dass verschiedene Lebensbereiche verschieden funktionieren. Alle Lebensbereiche der vermeintlich einzigen allgemeinen Vernunft unterzuordnen, wird dem nicht gerecht. [Der Totalitarismus der Französischen Revolution machte das auf brutale Weise anschaulich.]
    Man kann diese andere Logik die Logik des Herzens nennen. Eigentlich ist es die Logik der Liebe, aber das Wort Liebe ist leider arg strapaziert. Diese Logik des Herzens ist immer konkret. Nicht: "Seid umschlungen, Millionen!", sondern: Im treuen Respekt dem konkreten Menschen begegnen, mein Herz ihm öffnen, ihm oder ihr darin Raum zugestehen, mit all dem, was unabsehbar daraus folgen kann.
  • Diese Logik des Herzens führt zur Erwählung Israels als Gottes besonderes Eigentum. Die Erwählung Gottes im Sakrament der Taufe ist nur von dieser Logik der Liebe her zu verstehen. Wer meint, diese Logik schließe doch andere Menschen aus oder halte sie für etwas geringeres, hat keine Vorstellung von der Größe des Herzens Gottes, Gottes Barmherzigkeit, Gottes Liebe.

3. Berufen zur Liebe

  • Im Buch des Propheten Ezechiel können wir einen Blick in das Herz Gottes bekommen. - Eigentlich wird da lang und breit von der Untreue und Ungerechtigkeit des Volkes Gottes gesprochen; (wer denkt, das auserwählte Volk halte sich für moralisch höher stehend, kann hier sehen, dass er die Bibel nicht kennt). Dann aber wird ganz unvermittelt in einem Bild erklärt, warum Gott dieses Volk unter allen Völkern liebt. Es sei gewesen, wie wenn man mitten in der Wüste, von allen Menschen und sogar der eigenen Mutter verlassen ein Neugeborenes findet, hilflos, wehrlos, wimmernd im eigenen Blut. Nach der allgemeinen Logik wäre eine Gesetzesnovelle zum Kinderschutz und die Schaffung von Sozialeinrichtungen für unbegleitete Neugeborene die rechte Antwort. Nach der Logik des Herzens nimmt sich Gott seines Volkes an, reinigt es, nährt es und führt es auf den Weg des Lebens. Nach der Logik der Liebe nicht als Belohnung für besondere Schönheit und Größe erwählt Gott dieses Volk. (Ez 16,5b-6 "Niemand übte Schonung an dir, sondern am Tag deiner Geburt hat man dich auf freiem Feld ausgesetzt, weil man dich verabscheute. Da kam ich an dir vorüber und sah dich in deinem Blut zappeln; und ich sagte zu dir, als du blutverschmiert dalagst: Bleib am Leben!")
  • Vielleicht lässt uns dieses drastische Bild ahnen, warum die Logik des Herzens sich nie gegen andere wendet, sondern immer nur für den einen, der in der konkreten Situation der Liebe und Zuwendung bedarf. Mich macht die Logik des Herzens neugierig auf Gott.
  • Dass er der Gott aller Menschen ist, weil er alle Menschen nach seinem Abbild geschaffen hat, ist mir selbstverständlich.
    Aber hier geht es um eine Wirklichkeit, die weiter führt. Es ist die Logik der Liebe, in deren Sprache sich Gott den Menschen offenbart und zeigt. Es ist die Logik des Herzens, in der sich ausbuchstabiert, was es bedeutet, als auserwähltes Volk und auserwählter Mensch zu leben. Nicht um sich über andere zu erheben, sondern um sich dem konkreten Menschen zuzuwenden, der mir begegnet und dem gerade jetzt ich der Nächste, die Nächste sein kann. Das ist die Logik der Liebe, die aller Vernunft erst Sinn verleiht. Amen.