Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zur Tunnelsegnung DESY Hamburg 30.6.2010

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30. Juni 2010 - Hamburg

Erste Tunnel- und Bohrertaufe: Start der ersten Tunnelvortriebsmaschine

Mit dem European XFEL entsteht zurzeit eine einzigartige Forschungsanlage in Hamburg und Schleswig-Holstein. Ab 2014 werden hier extrem intensive Röntgenlaserblitze erzeugt, die Forscher aus der ganzen Welt nutzen werden. DESY vertritt die European XFEL GmbH als Bauherr für die Tiefbauarbeiten, die im Januar 2009 begonnen haben. Die Tunnel für die 3,4 km lange Anlage werden mit zwei Bohrmaschinen aufgefahren, von denen die größere Anfang Juli startet und unter Hamburger Gebiet arbeiten wird. Am 30. Juni fand im Rahmen der Einweihung auch eine ökumenische Andacht statt.

1. Staunenswertes Werk der Menschen

  • Gunnar Reimann ist Tunnel-Ingenieur an der Röhre für den neuen Teilchenbeschleuniger. Er hat im Abendblatt die alte Weisheit der Tunnelbauer zitiert: "Vor der Hacke ist es immer dunkel". Trotzdem passt bei diesem Tunnel wahrscheinlich mehr als sonstwo auch die andere Redensart: Es ist Licht am Ende des Tunnels. Denn helleres Licht als hier erzeugt werden soll, wird es nirgendwo sonst auf der Welt geben.
  • Bis dahin ist noch ein weiter Weg. Jeder Meter Tunnelbau kann Überraschungen liefern. Das Grundwasser ist die größte Herausforderung. Dennoch haben sich viele Menschen zusammengetan und wird viel Geld investiert, um am Ende Licht zu haben, das neue, grundlegende Erkenntnisse liefern kann. Doch im Vergleich zu der Grundlagenforschung ist das, was heute geschieht, noch sehr anschaulich und real: in 38 Meter Tiefe wird durch den Schlamm gegraben.
  • Mich macht das alles staunen. Wie viel Erfahrung, Einsatz und Geschick müssen zusammenkommen, damit so etwas gelingt? Wie tief ist die Wissenschaft in die Geheimnisse der Materie eingedrungen, und was wartet noch darauf entdeckt zu werden? Der Mensch ist nicht einfach nur ein reichlich findiges Tier. In uns sind Fähigkeiten, die alles andere weit hinter sich lassen. Nur "wenig geringer als ein Gottwesen" sagt staunend das Gebet in Psalm 8 - und das schon vor zweieinhalbtausend Jahren, als es noch nicht einmal elektrisches Licht gab.

2. Vertrauen in den Menschen

  • Die Arbeit hier an der Röhre fordert den ganzen Menschen. Deswegen hat es schon seine Richtigkeit, wenn auch eine Segensandacht heute ihren Platz hat. Dort, wo wir als Menschen mit all unserer Kraft gefordert werden, kommt automatisch das mit in's Spiel, was uns Kraft gibt. Für die meisten von uns dürfte das das Vertrauen in der Familie und von Freunden sein. Sie tauchen auf der Baustelle nicht auf, und doch gehören sie untrennbar zu uns.
  • Für so manchen unter denen, die hier ganzen Einsatz bringen, gehört auch das andere Vertrauen mit dazu: Sie vertrauen glaubend darauf, dass wir hier als Menschen nicht auf uns allein gestellt sind, sondern das Wort des Gottes gilt, den die heilige Schrift der Bibel bezeugt: Ich bin bei euch. Die Heilige Barbara ist dabei mehr als ein Symbol. An sehr konkreten Menschen wie Barbara wird das Vertrauen glaubwürdig, das wir in Gott setzen: dass dieser Gott wirklich Menschen zum Segen ist, wie er Barbara zum Segen war. Gerade weil wir über diese Frau aus dem 3. Jahrhundert so wenig wirklich wissen, kommt dieser Kern zum tragen. Mitten in aller Gefahr hat Gott dieser Frau aus dem Vertrauen Kraft gegeben. Unglück und Tod konnten sie nicht schrecken, weil sie in vertrauensvoller Beziehung zu Gott lebte.
  • Staunenswerter aber als dieses Vertrauen der Menschen in Gott ist das Vertrauen, das Gott in uns hat. Davon eigentlich singt der Psalm 8. Er schaut zum Himmel und erforscht die Geheimnisse der großen Natur und staunt darüber, dass mitten darin Gott auf uns Menschen zugeht, sich uns offenbart und zu erkennen gibt, uns die Zusage macht: Ich bin bei Euch! Gott hat nach dem Zeugnis der Bibel keinen anderen Namen als diesen: Ich bin da für Euch! Und für Christen ist das das Zentrum ihres Vertrauens: Dass Gott als Mensch unter uns Menschen gelebt hat, um ganz bei uns zu sein. Der Segen, den wir heute hier an der Baustelle sprechen, ist daher kein magischer Ritus. Er lässt den Grund des Vertrauens gegenwärtig werden, der vielen der Frauen und Männer die Kraft geben wird, hier alle ihre Fähigkeiten einzusetzen. Gott hat sie ihnen gegeben. Hier können sie sie nutzen. Das gilt auch für die Wissenschaft, für die diese Anlage gebaut wird. "Seh' ich den Himmel, das Werk deiner Finger" sagt der Psalm; "dringe ich ein in die tiefen Geheimnisse der Materie", kann der Physiker sagen - dann macht das staunen über diese faszinierende Welt, die es gibt, weil Gott sie will und schafft.

3. Vertrauen

  • Der letzte und eigentliche Grund für das Staunen aber ist das Vertrauen. "Was ist der Mensch, dass du an ihn denkst, des Menschen Kind, dass du dich seiner annimmst?" Gott hat Vertrauen in uns Menschen und unsere Fähigkeiten. Als der Psalm gedichtet wurde, wusste man noch nicht, zu welcher technischen Perfektion der Mensch die Gewalt in der Neuzeit treiben würde bis hin zur industriellen Vernichtung von Millionen Menschen und Zerstörung der Umwelt. Aber zu jeder Zeit wussten die Menschen auch um die Schattenseite. Dennoch singt der Psalm über das Vertrauen, das Gott in uns Menschen hat. Gott, sagt die Bibel, ist Liebe und will uns gleichsam auf Augenhöhe begegnen.
  • Neben den großen technischen und wissenschaftlichen Errungenschaften steht der einfache Mensch, steht einfach das, was wir als Menschen sind. "Aus dem Mund der Kinder und Säuglinge", die noch nichts Großes geleistet haben, kommt das Lob Gottes und strahlt die Würde des Menschen auf. Gerade an einem Tag wie diesem ist es wichtig daran zu erinnern, dass viele zu dem gemeinsamen Werk beitragen, auch wenn sie nicht im Rampenlicht stehen. Diejenigen, die auf der Baustelle und in den Büros den Dreck wegmachen, den andere hinterlassen haben, sind genauso wertvoll und wichtig, wie die Ingenieure und Professoren.
  • Das Wichtigste im Leben ist unspektakulär. Es wächst langsam wie ein Senfkorn, das unscheinbar klein ist. Das Wichtigste im Leben sind die Beziehungen, die wir haben, und die Liebe, die uns trägt. Sie beginnt klein wie ein Senfkorn, soll aber groß werden wie "ein Baum, sodass die Vögel unter dem Himmel kommen und in seinen Zweigen wohnen". Gehen Sie also mit Zuversicht an's Werk, setzen Sie all Ihre Kraft und Fähigkeit ein; aber verlieren Sie dabei nicht den Blick für das, was uns trägt. Amen.