Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Meditation zu Weihnachten am Tag 1999

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25.12.1999 - Krakau

Eine Betrachtung zur Menschwerdung

  • Man kann sich über die Leute wundern, die unendlich lange auf den Brücken über den Autobahnen stehen und den Verkehr beobachten. Was kann es da schon Spannendes geben? - Ich selbst fröne der Leidenschaft nicht, weil mir die Abgase unbekömmlich erscheinen, ich kann die Faszination aber verstehen: die lange Reihe der Autos, in einem immerwährenden Strom, Tag und Nacht, mal dichter, mal lockerer, aber ohne je zum Erliegen zu kommen. In den Autos Menschen: große, kleine, arme, reiche. Menschen die gedankenlos vor sich hinfahren in reiner Routine, Menschen die einem Ziel entgegen streben, Menschen die vor etwas fliehen, Menschen die nur fahren wollen, nicht wissend wohin. Menschen, die alleine sind, Menschen die gemeinsam fahren, sei es spannungsvoll einander anschweigend, sei es in fröhlicher Gemeinsamkeit. Auf dieser Autobahn sterben Menschen und andere haben ihren Tod verursacht. Und der Verkehrsfluss fließt und fließt.
    Dort, von der Autobahnbrücke aus, kann man die Welt sehen, wie sie eilt und fährt. Es kann einem der Zweifel überkommen, ob all diese Eile - immer in beide Richtungen gleichzeitig - Sinn und Verstand hat. Man kann anfangen darüber zu staunen, aus welchen Tiefen der Erde die Energie gepumpt wurde, die diese Autos antreibt - und wann wir die Erde leergepumpt haben. Man kann sich fragen, wohin ich selber in meinem Leben eile und wo ich mein Ziel habe.
  • Von der Autobahnbrücke aus sehen wir nur einen ganz kleinen Teil. Wir könnten mit einem Flugzeug aufsteigen und würden schon mehr sehen, bis in den Weltraum fliegen, und die ganze Welt sehen. Noch unendlich weiter steigt der Blick Gottes auf diese Welt. Er sieht diese Welt, die er mit seinem Schöpfungswort aus sich hervorgebracht hat, damit Leben sei, und er sieht, wie der Mensch, den er nach seinem Abbild geschaffen hat, auf dieser Welt dahineilt, ohne Ziel, ohne Sinn, ohne Verstand und ohne Hoffnung. Gott sieht diese Welt trotz seiner großen Entfernung nicht distanziert, wie aus dem Weltraum heraus, nur im Groben und Großen. Da Gott das innerste Geheimnis dieser Welt ist, sieht er jeden einzelnen Menschen in ihr mit dem Auge der Liebe. Es ist, als könnte unser Beobachter von der Autobahnbrücke bei jedem einzelnen Auto die Menschen sehen, die dahinflitzen, und mit ihnen fühlen und leiden aus einem Gefühl ungeheuchelter Liebe.
  • Gott hat diese Welt nicht irgendwann geschaffen und dann alleingelassen. Die Welt ist in jedem Augenblick von Gott geschaffen und daher auch in jedem Augenblick von Gott geliebt. Im Prolog zum Beginn des Johannesevangelium heißt es vom Wort Gottes, dass es in die Welt wie in sein Eigentum kam. Aber Gott kommt in sein Eigentum nicht nach Gutsherrenart, sondern setzt die liebende Großherzigkeit seines Schöpfungswortes darin fort, dass er sich ganz in diese Welt hineinbegibt. Die Kammer in Nazareth, gestampfter Lehm als Fußboden und ohne Fenster, in der Maria das Wort Gottes hört und empfängt, und der Stall auf dem Feld bei Bethlehem, irgendwo, nur ein paar Hirten nahebei, sind beileibe keine Zentren der Welt. Nicht in den Palästen, nicht in der Kasernen oder Konzernzentralen wird Gott Mensch, sondern irgendwo auf einem kaum beleuchteten Parkplatz der Autobahn, unbeachtet vom vorbeibrausenden Verkehrstrom, wird das Kindlein geboren, in dem Gott selbst Mensch ist von Anfang an.
  • Die Himmel jubeln bei dem, was da ganz unbeachtet Beachtliches geschieht. Bei den Hirten auf dem Feld erscheinen die Engel und besingen diesen Augenblick, an dem der Kosmos den Atem anhält: "Verherrlicht ist Gott in der Höhe, und auf Erde ist Friede bei den Menschen seiner Gnade". Der Verkehr auf der Autobahn rollt weiter. Aber dennoch gibt es Menschen, die angerührt werden, von dem, was hier geschieht, weil sie ihnen das Gespür dafür geschenkt wird, dass hier Gott auf seine ganz eigene, zärtlich-werbende Art die Schöpfung wieder zu ihrem Grund führen und mit Gottes Herzen verbinden will.
  • Die bettelarmen Schafshirten sind es zuerst, aber auch die Gelehrten aus der Ferne werden kommen, Menschen aus allen Völkern und aus allen Schichten werden kommen, und sich anrühren lassen von dem Kind das in der Krippe liegt. Sie werden sich mit Maria, der Mutter freuen, und sie werden versuchen, ihrem eigenen Leben eine neue Richtung zu geben, indem sie sich verwandeln lassen von dem Gott, der die ganze weite Welt im Blick hat und doch keines einzigen Menschen Not übersieht, von dem Gott, der der Schöpfer der ganzen Welt ist und zurecht machtvoll in ihr herrschen könnte - und doch aus Liebe einer wird der dient.

In dieser Nacht beginnt die Geschichte Gottes mit den Menschen neu.