Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 4. Fastensonntag Lesejahr C 2010 (Lukas)

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14.03.2010 - Kleiner Michel (St. Ansgar), Hamburg

1. Der dritte Bruder

  • "Lasst euch mit Gott versöhnen!" Was der Apostel Paulus der Kirche in der griechischen Stadt Korinth geschrieben hat, ist genauso ein Hinweis für uns: Wir können mit unserer Vergangenheit so umgehen, dass uns nicht das Negative bestimmt, sondern wir unsere Beziehung zu Gott auf neue Füße stellen. Genauer gesagt, brauchen wir es nur auf neue Füße stellen zu lassen, denn Gott ist schon längst unterwegs zu uns. Er geht uns entgegen und ist auf der Suche nach uns. Um das erfahrbar zu machen, erzählt Jesus das Gleichnis vom barmherzigen Vater, der seinen beiden Söhnen entgegen geht.
  • Der jüngere Bruder hatte sich von daheim verabschiedet. In der Fremde hat er aber nicht gefunden, was er gesucht hat. Aus blanker Not kehrt er nach Hause zurück und wird vom Vater mit überschwänglicher Freude empfangen: "er war verloren und ist wiedergefunden worden". Der ältere Bruder kann diese Freude nicht nachvollziehen. Auch ihm geht der Vater entgegen, damit er teilhat an der Freude. Was aber ist, wenn es da noch einen dritten, den jüngsten Bruder gäbe? (1) Es wäre spannend, ihn zu fragen, welchen seiner beiden Brüder er sich zum Vorbild nehmen würde: den ältesten, der immer zu Hause blieb oder den mittleren, der in der Fremde gescheitert ist. Vielleicht wollte der Jüngste auch aufbrechen. Jetzt trifft er den Bruder, der als der "verlorene" galt.
  • "Bruder", sagt der Jüngste, "warum sollte ich mich nicht auch aufmachen? Was soll ich länger daheim? Ja, unser Vater ist ein guter Mann. Aber ich muss doch mein eigenes Leben leben. Ich will doch alles gesehen haben, alles erlebt haben, alles probiert haben. Erst dann kann ich mir ein eigenes Urteil bilden. Du bist einfach nie frei gewesen - ich werde es besser machen". Mit dieser Vision dürfte der Jüngste nicht allein sein. Ist ein Leben ohne alle Bindung nicht besser, weil freier und selbstbestimmter? Was braucht es dazu einen Vater, einen himmlischen gar?

2. Zwiegespräch

  • Vielleicht würde ihm der Bruder antworten: "Du hast recht. Du kannst es besser machen. Denn ich dachte damals, ich könnte alles haben und alles erleben, wenn ich mir nur mein Erbe auszahlen lasse und weggehe. Was ich mir nicht klar gemacht habe ist, dass man nie alles haben kann. An einer Weggabelung kann ich links gehen, rechts gehen oder stehen bleiben - aber nur eines davon. Wenn ich mir meine Freunde dort aussuche, kann ich sie nicht zugleich wo anders haben. Wenn ich zu den Nutten gehe, kann ich nicht zugleich erleben wollen, was es bedeutet Treue zu schenken und zu empfangen. Geh also, Bruder. Überlege dir was dir wertvoll ist und was du haben willst."
  • Das wichtigere aber für den jüngsten Bruder aber könnte allein schon das Weggehen sein. Er ist nicht wie der älteste Bruder an das Erbe gebunden und muss nicht daheim wohnen bleiben. Die wichtigste Erfahrung des heimgekehrten Bruders ist, dass dieser den Vater falsch eingeschätzt hatte. Er meinte, er müsse alle Brücken abbrechen, um von daheim loszukommen. Auf die Idee ist er nie gekommen, dass er auch mit dem Segen des Vaters hätte aufbrechen können.
  • Das ist genau das falsche Gottesbild, dass ich von Gott loskommen müsste, um frei zu sein. Gott ist aber anders als irdische Väter und manches Gottesbild auch frommer Christen. Seit Abraham haben Menschen immer wieder die Erfahrung gemacht, dass es gerade Gott ist, der zum Aufbruch lockt und ermutigt. Gott gibt seinen Segen für unseren Aufbruch.

3. Freude

  • Das eigentliche Thema im Gleichnis Jesu geht aber noch einmal weiter. Immer wieder ist das eigentliche Ziel Freude. Vielleicht würde der jüngste Bruder dem Heimgekehrten ja sagen: "Du hast gut reden. Du hast ja all die Jahre, die du weg warst, deinen Spaß gehabt. Der Gedanke an Vater würde mir den Spaß nur verderben."
  • Hat der Sohn in der Fremde mit seinem "zügelloses Leben" Spaß gehabt? Ohne Frage waren es ausgelassene Partys. Aber auch jedes Mal der Kater am nächsten Morgen. Dieser Spaß musste jedes mal erkauft werden. Solange er Geld hatte, hatte er Leute, die sich seine Freunde nannten. Den Spaß gab es um den Preis des Verdrängens, des Vergessens und letztlich der Einsamkeit. Am Schluss blieben ihm als Gesellen nur noch die Schweine. Von der Freude, wirkliche Freunde zu haben, Menschen, die zu einem stehen, hat er wenig erlebt. Ein Fröhlich-Sein, das aus dem Herzen kommt, war das nicht.
  • Genau dazu aber lädt Gott ein. Die Barmherzigkeit, mit der er beiden Söhnen entgegen geht, mündet ein in das Fest, das er mit ihnen feiern will. "Jetzt müssen wir uns doch freuen und ein Fest feiern", sagt er dem Ältesten, der schmollend außen vor steht, weil der Vater auch dem "verlorenen Sohn" voll Freude entgegen gegangen ist. Das größte Fest ist, wo Beziehungen glücken, wo Freundschaft neu beginnen kann, wo nicht die Vergangenheit aufgerechnet wird, sondern Barmherzigkeit da ist. Die "Pharisäer und die Schriftgelehrten" hatten sich darüber empört und gesagt: "Er gibt sich mit Sündern ab und isst sogar mit ihnen". Jesus isst nicht nur mit ihnen, er feiert "ein fröhliches Fest" mit allen, die sich auf die Liebe des Vaters einlassen.

 


 

Anmerkung

1. Die Figur des dritten Bruders stammt von André Gide: Die Rückkehr des verlorenen Sohnes (Le Retour de l'enfant prodigue 1907). Übertragen von Rainer Maria Rilke. Insel Verlag Leipzig 1914