Interpretation zum Film "Johanna von Orleans" - 24. Sonntag im Lesejahr B 2000
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Messenger: The Story of Joan of Arc. Frankreich/USA 1999. Regie: Luc Besson. Buch: Luc Besson und Andrew Birkin. Mit: Milla
Jovovich (Joan of Arc), John Malkovich (Charles VII), Faye Dunaway (Yolande D'Aragon), Dustin Hoffman (Das Gewissen), Pascal
Greggory (The Duke of Alençon), Vincent Cassel (Gilles de Rais). Musik: Eric Serra. Kamera: Thierry Arbogast |
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Der folgende Text ist
eine Anregung, den Film neu zu sehen. Da der Film von manchen, gerade
auch Christen, als zu brutal, den
Glauben verachtend oder klischeehaft empfunden wurde, muss jeder selbst
entscheiden, ob er den Film sich und anderen zumutet.
M..E. bleibt die Darstellung im Rahmen des üblichen. Die Kirche wird
eher differenziert gezeigt; die Wirklichkeit war so. Mich hat der
Film zur Auseinandersetzung mit einer für mich wichtigen Frage angeregt -
und dazu noch gut unterhalten. |
Angeregt durch den Film ist: Predigt zum 24. Sonntag im Jahreskreis, Lesejahr B, 2000 (zu Jesaja 50) |
1. Struktursuche: Nur Bomast?
- Soll man einem Film seine bombastische Inszenierung vorwerfen? Geht in einem unterhaltsamen Film ein ernstes Thema notwendig
unter. Luc Besson liebt üppige Ausstattung und deftigen Stil und malt genussvoll seine gallischen Krieger. Spätestens in "Das fünfte
Element" hat er sich den Ruf des opulenten Erzählers erworben. Aber wer in "Le Dernier Combat"
(1983) erlebt hat, dass Besson
auch ohne jede Ausstattung ein Meister der symbolischen und der
filmischen Erzähltechnik ist, wird sich motiviert fühlen, auch in
seiner Johanna von Orleans danach zu suchen; und fündig werden.
Wenn man die schlichte Grundstruktur der von Besson gebotenen Erzählung nimmt und ernst nimmt, offenbart der Film eine
theologische Tiefe, die mit Lars van Triers "Braking the Waves" problemlos mithalten kann. Erstaunlicherweise habe ich diese
Struktur in keiner der zahlreichen Rezensionen zu Bessons Johanna wiedergefunden. Offensichtlich war das abschätzige Urteil über
den Film schnell gesprochen. Dazu trägt dieser das Seinige bei, nicht zuletzt durch jenen langen Dialog am Ende, der in der
vorliegenden Fassung quer zur gesamten Erzählung steht.
- Der Film besteht klar erkennbar aus zwei Teilen, die sich wie Ouvertüre und Ausführung zueinander verhalten. Das Ganze ist
eingerahmt vom Motiv der Beichte und des Kreuzes,
das auch im Hauptteil immer wieder anklingt. Allerdings ist die
"Beichte" am
Schluss des Filmes mit einem (religions-)psychologischen Ballast
aufgeladen, der in jeder Hinsicht fraglich ist. Inhaltlich ist dieser
lange Dialog völlig konträr zur bis dahin durchgehaltenen Struktur und
filmisch ist es im Vergleich zum rasanten Hauptteil schlicht
langatmig, obwohl mit allerlei Schnitt- und Kamera-Technik das vertuscht
werden soll. Ich werde darauf zurückkommen.
2. Die Ouvertüre
- Die Ouvertüre erzählt von dem kleinen Mädchen Johanna, das mit ihren Klein-Mädchen-Sünden beichtet und die befreiende
Erfahrung der Absolution aller Welt mitteilen will: Das Leben ist herrlich. Die Befreiung von der Sündenlast in der Beichte wird als
Freiheit zelebriert: die ganze Welt umarmend läuft Johanna
ausgelassen durch Wald und Wiese - bis sie freudig-erschöpft sich mit
weit ausgebreiteten Armen ins Gras fallen lässt. Da sieht, erst die
Kamera, dann Johanna neben sich im Gras ein Schwert liegen (mit
ihr als "Corpus" daneben deutlich als Kreuz erkennbar). Sie nimmt das
Schwert, offensichtlich ohne zu wissen, was sie damit soll.
- Diese Eröffnung wird kontrastiert durch den Einbruch der Gewalt
in diese Welt. Die Engländer überfallen und plündern das Dorf.
Johanna kann sich mit Mühe zum elterlichen Haus flüchten und findet dort
ihre ältere Schwester in einem Versteck. Dieses überlässt
die Schwester der kleinen Johanna - und bezahlt es mit ihrem Leben, von
Soldaten grausam ermordet und vergewaltigt.
Dies mitzuerleben ist mehr als Johanna ertragen kann. Sie verschließt
sich und will nur noch eins: Mit einem Priester sprechen und
ihn fragen, warum ihre Schwester für sie ihr Leben lassen musste. Dieser
bekennt, dass auch er es nicht weiß. Er versichert ihr aber,
dass Gott auf jeden Fall mit ihr seine eigenen Pläne hat, wenn er sie so
errettet. Darauf fordert die kleine Johanna vehement jetzt und
sofort die Vereinigung mit diesem Gott - d.h. wohl auch: mit seinem
Willen - im Sakrament der Eucharistie. Dafür aber, erwidert der
Priester, sei die Zeit noch nicht gekommen und Johanna sei noch zu jung
für die Erstkommunion. Johanna aber, immer noch unter
dem Schock der Gewalt, will das nicht abwarten. In einer dramatischen
Szene dringt sie nächtens in die Kirche ein, öffnet den
Tabernakel, reißt den darin befindlichen Kelch an sich und trinkt von
dem eucharistischen Wein. Dieser aber übergießt das Mädchen
rot wie Blut. (Diese Symbolik wäre mit dem normalerweise in einem
Tabernakel aufbewahrten Brot nicht möglich gewesen).
Damit ist das Thema des Films vorgezeichnet:
- Die Berufung durch Gott im Zeichen (das Schwert),
- die Deutung dieses Zeichens durch die Zeit (die Gewalt der Engländer) wird zur Sendung,
- das Verfälschen dieser Berufung, indem sich Johanna der Ordnung Gottes widersetzt (statt auf die Erstkommunion zu
warten)
- und schließlich die Folge dieses Tuns: sie selbst ist mit Blut befleckt.
- Wie dann im Hauptteil ist schon in der Ouvertüre diese Struktur
durch Visionen parallel dargestellt: Während sie anfangs noch ihren
Herrn auf dem Thron sieht, bleibt dieser Thron leer, nachdem sie sich
durch die Wölfe mitreißen ließ und dabei ihren Halt verloren
hat!
3. Die Durchführung
- Genau diese Struktur führt nun der Hauptteil des Filmes aus.
Johanna begegnet uns wieder als 18-jähriges Mädchen. In Visionen hat
sie mittlerweile Gewissheit über ihre Sendung erhalten: Sie soll dem
französischen Thronanwärter Charles den Weg bereiten für die
Krönung in Reims, seinem Heer voran reitend mit einer weißen Standarte.
Das Wunder geschieht: Johanna gelingt es, zu Charles vorzudringen und
ihn zu bewegen, ihr das Heer anzuvertrauen. Mit der das
Banner tragenden Johanna an der Spitze, die mit ihrem Eifer alle
(männlichen) Heerführer zur Verzweiflung treibt, erobern die
Franzosen Orleans zurück und bereiten so der Krönung dem Weg. Worin der
"Sinn" dieser Berufung liegt, warum Gott dies will und
Johanna sendet, wir erfahren es nicht. Sicher ist, dass Charles nicht zu
den großen Heiligen auf dem französischen Thron gehörte;
auch ob der 100jährige Krieg durch seine Thronbesteigung weniger Leid
verursachte, kann nur spekuliert werden. Für Johanna aber,
nicht nur in diesem Punkt ist der Film historisch korrekt, besteht kein
Zweifel, dass dies ihre Sendung war. Was aber ist aus der
Sendung geworden?
- Wie in der Ouvertüre vorbereitet, will Johanna den Lauf der Zeit
Gott aus der Hand nehmen und an sich reißen. Als sie in der
Schlacht vor Orleans erstmals selbst verwundet wird, wird alles anderes.
Wie damals das kleine Mädchen durch das eigenmächtig
getrunkene heilige Blut wird jetzt Johanna vom Blut des Krieges nicht
nur befleckt, sondern auch berauscht. Hier erst, nach der
Verletzung, tauscht sie das weiße Banner und greift selbst zum Schwert.
Hier erst macht sie sich und ihre Autorität zum Argument,
warum die Soldaten ihr folgen sollen: nicht mehr Gott ist es, sondern
sie selbst. Dieser Gott erscheint ihr entsprechend auch hier
zum letzten Mal in einer Vision und mit der vorwurfsvollen Frage: Was
hast Du mir angetan?
- Johanna lässt diese Frage noch nicht an sich heran. Aus der Treue
zu ihrer Sendung wird vielmehr der Hass gegen die Engländer. Sie
selbst beruft sich, kein Gott und kein König, weiterzukämpfen, im Blut
zu waten, ohne zu denken und zurück zu schauen.
4. Die Schuld
- Als der König sie fallen und in die Hände der mit England
verbündeten Burgunder geraten lässt, bricht für die aktionistische
Johanna
alles zusammen. Um sie "legal" beseitigen zu können versuchen die
Feinde, einen Inquisitionsprozess der Kirche gegen Johanna
durchzuführen. Damit gerät die Kirche in die Rolle, einerseits von den
weltlichen Autoritäten abhängig, andererseits an ihre eigenen
Regeln und die dem Verfahren innewohnende Rechtlichkeit gebunden zu
sein. Dieses Hin und Her wird dem Phänomen Inquisition
weit mehr gerecht als die meisten Darstellungen in anderen Filmen. Mit
einem Hauch von Tragik verweigert der Inquisitor der
schlussendlich Verurteilten die von ihr heiß ersehnte Beichte: Im Lauf
des Verfahrens hat er mehr und mehr die "Unschuld" dieser
Frau erkannt, wird aber immer brutaler mit den staatlichen englischen
Strippenziehern des Verfahrens konfrontiert. Ein Verfahren,
dessen er längst nicht mehr Herr ist, führt zum Ausschluss der Johanna
von den Sakramenten und ihrer Hinrichtung, obwohl er es
gerne verhindern wollte, wäre nicht seine eigene Existenz damit
gefährdet.
An der Stelle ein Detail: In Deutschland lief der Film
mit zwei verschieden Fassungen des Schlusstextes. Die letzte Zeile der
einen Fassung lautet: "500 Jahre später
wurde Johanna vom Vatikan heiliggesprochen". In der anderen Fassung (auf Englisch zum deutsch synchronisierten Film) war der Satz umgedreht und durch eine
Schwarzblende getrennt worden: "Johanna wurde vom Vatikan heiliggesprochen /Blende/ 500 Jahre später". Nur bei der zweiten Fassung habe ich beim Publikum
Gelächter als Reaktion erlebt.
- Johanna verteidigt sich vor der Inquisition durch ihre Sendung
durch Gott. Sie kann dafür keine anderen Beweise beibringen als ihre
Glaubwürdigkeit. Nicht zu Unrecht wird an anderer Stelle ihre
Jungfräulichkeit als einziger, aber erschöpfender Beweis für ihre
Glaubwürdigkeit anerkannt. Diese aber hat sie verloren, als sie selbst
zum Schwert griff. Vor dem Gericht, dessen Urteil der
englische Statthalter schon längst hinterlegt hat, bleibt Johanna keine
Chance. Aber auch vor sich selber bricht ihre Verteidigung
zusammen, da sie sich mehr und mehr in ihre eigene Geschichtsfälschung
verstrickt. Sie kann, sie will nicht wahrhaben, dass sie über
ihre ursprüngliche Sendung hinausgegangen ist, dass sie ihre Verletzung
zum Anlass genommen hat, das Schwert des Handelns an
sich zu reißen - und schuldig geworden ist.
- Der Scheiterhaufen ist ihr - so oder so - gewiss. Aber im großen (!) Unterschied zur Gewaltverherrlichung in Braveheart wird
Johanna dahin geführt, ihre Schuld zu sehen. Die Beichte hatte ihr zu Beginn die Freiheit geschenkt. Damals waren es harmlose
Sündchen. Jetzt aber muss sie sich ihrer eigenen schrecklichen Schuld stellen. Was Gottes Sendung war, hat sie zu ihrem eigenen
Rachefeldzug umgemünzt. Erst die Tränen über ihre Schuld und das, was man analog wohl eine "Begierde-Beichte" nennen sollte,
da ihr die eigentliche Beichte verwehrt wird, findet sie die Freiheit sich in ihr Schicksal zu fügen. Ihr letzter Blick vom
Scheiterhaufen aus fällt auf das Kreuz. Im Tod ist sie mit Gott vereinigt, nicht mehr aus eigenem Willen und Tun, sondern aus
seinem unergründlichen Willen.
5. Die Destruktion
- So war das Ende dieses Film. Vor dieses zum Ganzen des Filmes, im Hinblick auf die theologische Struktur und Symbolik perfekte
Ende schiebt sich aber lähmend ein Dialog in die Kerkerzelle. Mit schwarzer Kapuze, laut Credits als Darstellung des Gewissens,
von Dustin Hoffmann verkörpert, tritt der Versucher an Johanna heran. Es will mir nicht in den Kopf, dass es Luc Besson gewesen
sein soll, der an den Schluss dieses Films etwas setzt, was am Ende des 20. Jahrhundert nicht nur unzeitgemäß, sondern schlicht
langweilig ist: Entmythologisierung. Soll man den Regisseur verdächtigen, seinen eigenen Film ohne Druck verständnisloser
Produzenten derart verschandelt zu haben? Allein der Stilbruch zum Rest des Films macht das höchst unwahrscheinlich.
- Das "Gewissen" löst alles auf. Kein Zeichen darf seine Offenheit für Transzendenz bewahren. Der Religionspsychologe als
Hoherpriester der Entgöttlichung; die alles erklärende Rationalität spricht ihr Urteil über Johanna: Alles sei von Anfang an
Einbildung, Schuldkomplex, tiefenpsychologisch motiviert und damit - letztlich - sinnlos gewesen.
- Dieser Szene fehlt im Grunde genommen nur ein einziger Satz, um im Kontext des Filmes "wahr" zu werden: "Weg von mir, Satan".
Nehmen wir einen Moment an, Johanna hätte diesen Satz gesprochen, bevor sie Gott um Vergebung ihrer Schuld bittet: wie stünde
diese Szene dann im Ganzen des Films? Wir hätten dann eine an Tiefe mit Tayler Hackford´s "The Devil´s Advocate" (1997)
konkurrierende Versuchergestalt vor uns. Der Teufel in Gestalt des Religionspsychologen, der Versucher als Lichtengel, der mit
lauter guten und richtigen Argumenten die Seele an sich zieht, bis vor lauter geschwätziger Weisheit das Zentrum vergessen ist:
Gott. Denn natürlich hat "das Gewissen" recht, wenn es all die "Zeichen", die Johanna für ihre Berufung gesehen hat, auf
"natürliche" Ursachen zurückführt. Diabolisch und perfide, wie es dem Gewissen gelingt, wiederum ganz korrekt, daran die
Schuldverstrickung der Johanna zu knüpfen. Aber der Schluss, den "das Gewissen" daraus zieht, der Trugschluss, dass Gott uns in
dieser Gewalt und dieser Schuld allein gelassen hat und die Freiheit des Menschen in der Aufklärung über seine psychischen
Tiefenstruktur bestünde, entlarvt dieses "Gewissen" für mich als Versucher. "Weg mit dir, Satan!" wäre die einzige angemessene
Reaktion auf diese Versuchung. Denn die Freiheit besteht darin, mich ganz, mit meiner Schuld, aber ohne an Gottes Gegenwart in
meiner Lebensgeschichte zu zweifeln, seinem Willen zu überlassen. Wenn Johanna mit dem Blick auf das Kreuz stirbt, wird genau
dieser Faden wieder aufgenommen. Wie schade, dass die Entlarvung des "Gewissens" fehlt. Dustin Hoffmann wäre ein guter
Versucher gewesen.
6. Die Deutung
- Warum ist dieser Film nicht nur unterhalt- sondern auch bedeutsam? Weil hier ein Kinofilm der Theologie eines ihrer ureigensten,
nichtsdestotrotz aber verleugneten Themen zurückgibt. War es in "Braking the Waves" das Opfer, das zum theologischen Skandal
wurde, ist es hier der "heilige Kampf"!
- Ich setze das Wort in Anführungszeichen, weil es an "heiliger Krieg" assoziiert, dem vor Orleans vergossenen Blut, was natürlich
für jedwede christliche Theologie problematisch ist. Das Wort ist im Kontext des Koran durch den Missbrauch fanatischer Muslime
geprägt, durch terroristische Gewalt und Vernichtungskrieg. Aber auch durch die Geschichte des Christentums zieht sich die
Blutspur eines "heiligen Krieges", der nichts anderes ist als der fortwährend Verrat an der Botschaft des Evangeliums.
- Das Volk Israel des Alten Bundes kennt den Heiligen Krieg sehr
wohl. Vor allem im Buch der Richter ist ausführlich davon die
Rede. Im Unterschied zum heiligen Krieg des Islam dient dort der Krieg
aber nicht der Ausbreitung des Glaubens, sondern der
Verteidigung der Existenz der Volkes. Und im Unterschied zum Buch der
Richter werden die Kriege der Könige schon dem Alten
Testament höchst zweifelhaft, weil sie nach der Gewohnheit von Königen
geführt (2 Sam 11,1) und von Anfang an durch die
Sündhaftigkeit der Könige entstellt werden. Bereits im Alten Testament,
bei den Propheten und in der nachexilischen Zeit tritt daher
die Abkehr vom Heiligen Krieg ein. Das neue Reich Israel schließlich,
das Christus begründet, trennt exakt zwischen dem Reichen
dieser Welt, in der die Mächtigen ihre Macht missbrauchen, und dem Reich
Christi das "nicht von dieser Welt" ist (Joh 18,36). Das
Erleiden des Kreuzes ist deswegen das Heilssymbol des Christentums, weil
darin der Krieg überwunden wird. Nicht zufällig fällt die
politische Theologie des Mittelalters hinter das Kreuz und hinter die
Propheten zurück und baut die Reichstheologie der Israelischen
Könige in die eigene Legitimation ein. Demgegenüber steht die Jungfrau
von Orleans eindeutig in der Tradition der Richter, bevor
sie, nach der Erzähleweise des Films, sich aus den Rettungsplänen Gottes
verabschiedet und ihren eigenen Krieg führt.
- Der Film hat mich aber die Frage gestoßen, ob wir nicht mit all dem Abschied vom "heiligen Krieg" nicht zu Unrecht auch den
"heiligen Kampf" aus dem theologischen Denken und der gelebten christlichen Spiritualität verbannt haben. In drei Jahren
Französischer Revolution wurden im Namen von "Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit!" mehr Menschen ermordet als in allen
Jahrhunderten zuvor aufgrund von Verurteilungen durch die Inquisition. Kein Kinofilm würde sich dadurch dem "Kampf um
Freiheit" vermiesen lassen; im bereits erwähnten Bravehard von Mel Gibson darf im Namen der Freiheit sogar die Gewaltorgie
verherrlicht werden! Wenn ich das nicht will, bin ich dann zur allem und alles wohlmeinenden Existenz des Religionspsychologen
verdammt?
- Ich habe im Entwurf einer Predigt versucht, diese Frage zu entfalten. Hier daher nur einige nachdenkliche Hinweise.
- In seiner Aussendungsrede in Mt 10,16ff lässt Jesus keinen
Zweifel, dass er die Jünger nicht zur großen, harmonischen Verbrüderung
aussendet, sondern mitten in den Konflikt hinein, aber nicht wie
dreinschlagende Krieger, sondern wie "Schafe mitten unter die
Wölfe". Dieses "mitten unter" können wir gar nicht wörtlich genug nehmen, da die Berufung des Christen nicht darin besteht, sich
aus "dieser" Welt zu verabsentieren, sondern in ihr lebend die "andere Welt"
zu leben und zu verkünden. In diesem Sinne ist Johanna
für mich ein Symbol an der Grenze: Die Jungfrau, die mit dem weißen
Banner jenen Truppen voraus zieht, die die Existenz
Frankreichs retten wollen, findet sich mitten im Schlachtgetümmel dieser
Welt wieder. Bei aller Unvergleichbarkeit: Mit demselben
Entsetzen haben Staufenberg und Elser auf den Blutzoll ihres Attentats
auf Hitler geblickt.
- Diese Grenzsituation ist nicht unsere normale. Es stellt sich aber
die Frage, ob von der Grenze her nicht Wesentliches deutlich wird:
- Es gibt Berufung durch Gott, mitten in der Welt, und diese Berufung kann nicht nur auf das von allen und überall Anerkannte
beschränkt sein. Dies wäre die Ideologie, wonach nur Sozialarbeiter und Kindergärtnerinnen für sich in Anspruch nehmen
dürften, berufen zu sein.
- Es gibt dort den berechtigten Anspruch, "mit Gott" zu kämpfen, wo sich ein Mensch aus der Tiefe seines oder ihres Gebets
und der Verbundenheit mit Gott aufmacht und Gottes Sendung lebt. Es gibt kein Recht daran zu zweifeln, dass Menschen
sich von Gott berufen und gesandt erfahren und sich an dieser Sendung durch die Einflüsterer nicht irre machen lassen.
- Es gibt die "normalen", "natürlichen" Erlebnisse im Leben, die im Kontext einer Berufung zum Zeichen für den Willen Gottes
werden. Nicht selten wird dieser Wille dunkel sein, weil der "Erfolg" nicht der Maßstab dafür ist. Ganz sicher offenbart sich
der Wille Gottes nicht dadurch, dass Schwerter vom Himmel fallen, sondern dadurch, dass Schwerter am Rand des eigenen
Lebens liegen, wie immer sie dorthin gekommen sein mögen. Entscheidend ist immer der Lebenskontext und die reine
"jungfräuliche" Empfänglichkeit für Gottes Wille im Gebet. Unerlässliches Kriterium für diese Reinheit ist, dass sich die
Berufung einfügt in das geschichtlich gewordene Volk Gottes. Das Publikum mag Johannas ständigen Ruf nach der Beichte
als Gag sehen. Johanna sah das sicher anders.
- Und es gibt ein Letztes. Hier stößt das Verstehen an die Grenze des Geheimnisses des menschgewordenen Gottes. Es wurde
schon erwähnt, dass der "Erfolg" nicht Maßstab der Berufenheit ist. Dem Christen ist es eigen, dass er trotz seiner
Unzulänglichkeit und Schuld von Gott berufen ist, sich mit all seiner Kraft einzusetzen und zugleich sich ganz Gott überlässt.
- Wenn der Mensch sich an der göttlichen Sendung versündigt (und das
tut er immer!), dann ist die große Versuchung, gleich die
ganze Sendung zu negieren, ja sogar die Möglichkeit zu leugnen, dass
Gott in der Geschichte mit einem einzelnen Menschen
konkrete Pläne hat, dass es den Willen Gottes "für mich" gibt. Gerade
aber die Ohnmacht des Kreuzes macht es möglich, dass es die
Sendung gibt, die mich zum "heiligen Kampf" ruft, im dem ich all meine
natürlichen Kräfte aufwende - und dennoch mich ganz dem
Willen und der mächtigen Ohnmacht Gottes übereignen kann.
- Luc Besson überfordert wahrscheinlich das Publikum mit der
Naivität, in der er seine Johanna ihre Berufung erfahren und leben
lässt.
So entgeht leicht der entscheidende Umbruch von der reinen Sendung zur
Anmaßung; die Beichte am Schluss hätte diese Trennlinie
ziehen können. Dass er die Chance nicht ergriffen hat, den Schlussdialog
mit dem als Gewissen auftretenden Religionspsychologen
als Versuchung zu markieren, ist die eigentliche Schwäche dieses Films.