Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Kleine Hinführung zur Bibel: Treuer Gott

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22. März 2017, P. Martin Löwenstein SJ Kleiner Michel Hamburg
Im Rahmen des Glaubenskurses "Von einander Glauben lernen"

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Unser Gott

"Unser Gott". So wie "unser Haus", "unser Auto", "unser Land" einfach auch "unser Gott". Die Formulierung kommt Christen meist leicht über die Lippen. An die 200 Mal kommt dieser Ausdruck in der Bibel vor. Anscheinend hat der Glaube, der sich in der Bibel niederschlägt, nicht nur kein Problem mit diesem Ausdruck. Vielmehr fasst dies einen Kernpunkt der Gotteserfahrung Israels und der christlichen Kirche knapp zusammen. Gott steht zu uns. Er ist "unser" nicht in dem Sonne, dass er von unserer Seite verfügbar wäre; dazu ist die Gotteserfahrung zu sperrig. In diesem Sinn könnten nur diejenigen Zeitgenossen heute sprechen, die sich ihr Gottesbild wie einen Warenkorb im Supermarkt selbst zusammenstellen; hinein kommt nur was nicht weh tut. Aber doch unser Gott in dem Sinn: Wir wissen und vertrauen darauf, dass Gott zu uns steht: Treuer Gott! "In deine Hände lege ich voll Vertrauen mein Leben (meinen Geist); du hast mich befreit (erlöst), Herr, du treuer Gott." (Ps 31,6).

Hat unser Gott uns verlassen?

Diese Gotteserfahrung liegt der ganzen Bibel zu Grunde, gerade auch dort wo darum gerungen wird: Gott, bist du uns auch jetzt treu? Stehst du weiter zu uns?
Diese Frage hat das Volk Israel vor allem im 6. Jahrhundert umgetrieben. Denn nach dem nördlichen Teil des alten Landes Israels war auch das verbliebene Königreich Juda durch den babylonischen König Nebukadnezar II. erobert und Jerusalem zerstört worden, Die Oberschicht wurde nach Babylon ins Exil verschleppt. Die Frage war also existenziell: Ist Gott noch bei uns? Oder haben wir uns durch Jahrhunderte, in denen wir unsererseits auf den Bund mit Gott vergessen hatten, Gottes Treue verscherzt? Haben wir uns nicht auf eigene Könige und eigene Macht verlassen, statt Gott zu vertrauen und die Gerechtigkeit im Land stark werden zu lassen?
Dass es in den 400 Jahren zuvor in Israel Könige gab, angefangen von David und Salomo um das Jahr 1.000 vor Christus herum, war ja nie unumstritten. Schon von Anfang an gab es Mahner und Propheten, die gesagt haben: Könige, die einen ebenso prächtigen wie kostspieligen Hofstaat haben, Könige die in den Krieg ziehen und die Jugend des Landes auf der Schlachtbank ihrer Machtansprüche opfern, haben all die Völker um uns herum. Israel aber sollte auf Gott vertrauen. Die Treue Gottes wurde auf eine harte Probe gestellt, als dem Volk auf einmal nicht mehr Gott genug erschien und es einen König haben wollte, um zu sein wie all die anderen Völker.

Treu von Anfang an

In der Zeit des Exils in Babylon wurde der Glaube und die Überlieferung der Vorfahren neu gesehen. Es wurde nach den Anfängen gefragt und danach, worauf eigentlich das Vertrauen gründe, dass Gott, "unser Gott" so unbedingt "seinem Volk" treu sei.

Das erste, was klar sein muss, ist doch, dass Gott der Gott aller Menschen sind. Deswegen wurden an den Beginn der Bibel zwei Überlieferungen gestellt, die vom Urgrund und Beginn der ganzen Schöpfung handelt. Die eine hat die Form eines Liedes und singt davon, dass Gott die Welt geschaffen hat. Eines nach dem anderen hat Gott durch sein Wort ins Dasein gerufen. "Und Gott sah, dass es gut war". Dieses Werk in sechs Tagen findet seinen Höhepunkt und seinen Abschluss in der Erschaffung des Menschen und in der heiligen Ruhe des siebten Tages. Direkt im Anschluss daran wurde in die Bibel eine mythische Erzählung aufgenommen, die von der Entstehung her wohl Jahrhunderte älter ist. Danach hat Gott zuerst den Menschen geschaffen und dann einen Garten angelegt mit all den Pflanzen, damit der Mensch darin leben könne. Und er hat all die Tiere geschaffen, damit der Mensch nicht allein sei. Aber wirklich Mensch ist der Mensch nur, wenn er in Gemeinschaft von Mann und Frau lebt, Adam und Eva.

Zwei sehr verschiedene Traditionen sind so in die Bibel gekommen, die sich oberflächlich betrachtet zu widersprechen scheinen. Wenn ich aber davon ausgehe, dass die Menschen damals auch nicht dümmer waren als wir heute, dann haben sie in den beiden Fassungen nicht den Widerspruch gesehen, sondern das Gemeinsame: Gott ist der Ursprung von allem. Dieser Ursprung ist gut. Gott erschafft eine Welt, in der der Mensch leben kann, in liebender Verbundenheit mit Gott und mit einander. Gott ist der Gott aller Menschen, ohne Einschränkung. Das ist der Ursprung und Anfang und Urgrund von allem.

Israel - Gottes Treue zum Menschengeschlecht

Wenn wir dann weiterlesen im ersten Buch der Bibel wird aber sehr schnell in wiederum mythischer Form benannt, dass gegenüber diesem guten Urgrund der Mensch aus Neid und Herrschsucht Gott untreu geworden ist. Im Paradies greift der Mensch nach der Frucht des Baumes der Unterscheidung von Gut und Böse: Adam will sein wie Gott! Das führt nicht nur zum Verlust des Paradieses sondern numittelbar in die Gewalt, den Brudermord von Kain an Abel und zu einer Welle weiter anwachsenden Welle der Gewalt bis diese Gewalt in einer großen Flut die ganze Erde überschwemmt und nur einer übrig bleibt, um im Vertrauen auf Gottes Treue, Noah, der mit seiner Arche für einen Neuanfang steht: Wenn auch die Gewalt nicht mehr rückgängig zu machen ist, soll diese doch nie wieder die ganze Erde vernichten. Statt dessen, so die Bibel ab dem 12. Kapitel Genesis, beginnt Gott neu im Bund mit einem Menschen, aus dem ein neues Volk werden soll. Aus dem hintersten Irak beruft Gott den Nomaden Abraham loszuziehen in ein neues Land, das ihm und seinen Nachkommen, dem Volk Israel zugesagt ist. Wenn man von hier aus die Bibel liest, dann beginnt hier eine Beziehung zwischen Gott und "seinem Volk", die alle Höhen und Tiefen durchläuft. In zweitausend Jahren, von Abraham bis Jesus, lernt Israel Gott tiefer zu verstehen und reinigt sich mehr und mehr von falsche Vorstellungen über Gott. Zentral ist dabei die Befreiung des Volkes Israel aus der Sklaverei in Ägypten und der lange Zug durch die Wüste. Dabei wird dem Volk das Gesetz geschenkt, in dem es seine Identität als Volk Gottes finden und kultisch feiern kann, dessen Kern jedoch die Zehn Gebote sind. Gott sagt dem Volk seine Treue zu und beruft es in einen Bund, dessen Grundgesetz die Liebe zu Gott und den Nächsten ist.

Hat damit Gott seine Treue zum ganzen Menschengeschlecht aufgegeben? Mitnichten! Schon Abraham ist ausdrücklich berufen, ein "Segen zu sein für alle Völker". Die Hoffnung Gottes ist, nach dem Verlust der Gottesnähe des Menschen im Paradies sich ein Volk auszubilden, das so in Liebe und Gerechtigkeit lebt, dass am Ende der Tage - wie es der Prophet Jesaja sagt - alle Völker nach Jerusalem pilgern und sagen Vater unser, du unser Gott. Gott will mit Israel seinen Bund mit allen Menschen begründen und alle in diesen Bund hineinnehmen.


Jesus und die Kirche

So und nur so hat Jesus seine Sendung verstanden. Dazu ist er gekommen, den Bund Gottes mit seinem Volk Israel zu erneuern. Das predigt er die Erfüllung des Gesetzes, dazu heilt er die Verletzten, sucht die Verlorenen, dazu gibt er sogar sein Leben, sein Blut am Kreuz hingegeben für Viele! Jesus verstand sich selbst als der von Gott gekommene Menschensohn, der Gott "meinen und euren Vater" nennt, Gottes Gegenwart in einem Sohn des Volkes Israel. Indem er die vielen seines Volkes wieder zu Gott führt, will er Gottes Königreich aufrichten, zu dem alle Menschen Zugang haben.

Bekanntlich aber ist Jesus in dieser Sendung von einem großen Teil seines eigenen Volkes nicht angenommen worden. Die Mächtigen des Volkes haben ihn durch die Römer ans Kreuz schlagen lassen. Nur der Teil seines Volkes, die mit ihm als seine Jünger und Apostel waren, also seine Schüler und bevollmächtigten gesandten, haben durch die Erfahrung der Niederlage des Kreuzes erfahren dürfen: Selbst im Tod ist Gott treu geblieben und hat Jesus am dritten Tag auferweckt und als Christus, Gottes Gesalbten in Ewigkeit zum Himmel erhoben.

Die Jünger Jesu haben zuerst wohl gedacht, dass Jesus sehr bald schon vom Himmel herabkommt, das Königreich in Israel aufrichtet und so als machtvolles Zeichen alles Völker befreit und beruft. Aber in den ersten Jahren schon haben sie erfahren, dass Gottes Geist weit über das Volk der Juden hinaus Menschen zu der neuen Gemeinschaft der - wie es bald schon genannt wurde - Christen beruft, einer heiligen Versammlung, einer Kirche aus Juden und Menschen aus allen Völkern, durch alle Zeiten hindurch. Paulus schreibt im Römerbrief darüber, dass in all dem Gott fraglos seinem erstgeliebten Volk Israel treu bleibt, auch wenn der Weg zur Erneuerung des Bundes den weiten Weg über die anderen Völker geht. Gemessen daran, hat die christliche Kirche in ihrem Verhältnis zum Volkes des Ersten Bundes über weite Teile ihrer Geschichte ihre Berufung verfehlt und Schukd auf sich geladen. Doch steht selbst darüber und gerade um des biblischen Volkes Israel willen das Vertrauen, dass Gott durch alle Brüche und alles Versagen von Menschen hindurch sich treu bleibt und sein Königreich auf Wegen verwirklichen wird, die unsere begrenzte Hoffnung bei weitem übersteigen wird. Denn Gott ist treu.