Predigt zum 3. Sonntag im Lesejahr A 2011 (1. Korinther)
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23. Januar 2011 - Kleiner Michel (St. Ansgar), Hamburg
1. Persönlichkeiten
- Neue Ideen haben Menschen, die sie verbreiten. Mindestens so sehr wie die Idee, ist die Persönlichkeit dessen wichtig, der sie ausspricht. Es braucht jemand, dem die anderen vertrauen und der oder die sie begeistert. So jemand setzt sich ein und gibt den anderen die Möglichkeit, sich an ihn anzulehnen und sich auf einem Weg mitzunehmen zu lassen.
- Jesus ist vielleicht nicht nur ein Beispiel unter vielen, sondern das Beispiel überhaupt für eine solche Persönlichkeit. Wenn man liest, was dreißig Jahre später im Evangelium von jener ersten Stunde aufgeschrieben wurde, spürt man noch die ganze Wucht. "Jesus sah zwei Brüder. (...) Da sagte er zu ihnen: Kommt her, folgt mir nach! Ich werde euch zu Menschenfischern machen. Sofort ließen sie ihre Netze liegen und folgten ihm.". Er spricht Menschen an und sie folgen ihm. Jünger oder Nachfolger wird man sie nennen.
- Jemanden nachfolgen, sein Jünger sein, das klingt aber auch verdächtig. Bei allem Schwung am Anfang, kennen wir doch auch die Schattenseiten und böses Erwachen. Es besteht immer die Gefahr, dass starke Persönlichkeiten von sich abhängig machen. Sie können viel und viele bewegen. Das verleiht ihnen aber auch Macht über andere, die missbraucht werden kann. Es gibt viele Beispiele von großartigen Menschen, die viel bewegt und in Gang gesetzt haben, dann aber bis zur Brutalität an ihrer Stellung festhielten und lieber alles den Bach runter gehen ließen, als sich um ihr "Anfangscharisma" bringen zu lassen. Gerade auch im kirchlichen Bereich und bei Jesuiten fallen mir dafür einige Beispiele ein.
2. Spaltungen
- Paulus eröffnet seinen Brief an die Gemeinde in Korinth mit eben diesem Thema. Er wird im Laufe des Briefes auf viele inhaltliche Einzelpunkte zu sprechen kommen. Am Anfang aber versucht er ein grundlegendes Problem klar zu machen, das zur Spaltung der Gemeinde und zur Verfälschung des Evangeliums führen kann. Gerade weil es eine aktive und lebendige Gemeinde im Aufbruch war, droht jetzt Gefahr. Am Anfang stand "die Gnade Gottes, die den korinthischen Christen in Christus Jesus geschenkt wurde"; sie sind dadurch "reich geworden in ihm, an aller Rede und aller Erkenntnis" (1 Kor 1,4f). Aber wird die Erkenntnis und die Gnade auch Frucht bringen?
- Die Spaltung in der Gemeinde in Korinth kommt offenbar daher, dass die Leute ihre christliche Identität an bestimmten Personen festmachen, von denen sie den Glauben empfangen haben oder von denen sie getauft wurden. "Ich meine damit, dass jeder von euch etwas anderes sagt: Ich halte zu Paulus - ich zu Apollos - ich zu Kephas" (also Petrus). Sich selbst nimmt Paulus aus der Reihe nicht aus. Es geht nicht um das, was die verschiedenen Lehrer inhaltlich gesagt haben, sondern um die falsche Bindung an sie.
Deswegen scheinen mir auch die Spekulationen in den meisten exegetischen Kommentaren unsinnig, die versuchen herauszufinden, um welche inhaltlichen Positionen es bei den korinthischen Gemeindegruppen gegangen sein könnte; daher auch die meiner Ansicht nach falsche Übersetzung in den meisten deutschen Bibelausgaben "seid ganz eines Sinnes und einer Meinung". Vielmehr geht es um die Denkungsart. In anderen Sprachen ist das besser übersetzt (frz: sentiment, Engl. proposition).
- Es ist also die Kehrseite dessen, was ich zunächst beschrieben hatte. So wie es starke Persönlichkeiten gibt, die nicht nur Gutes in Gang setzen, sondern dann diesen Anfang an ihre eigene Person binden wollen, so gibt es dann auch diejenigen Menschen, die sich an diese Führerfiguren binden wollen. Sie lassen sich nicht auf das Wagnis des Gedankens ein, sondern suchen ihre Sicherheit in der Anlehnung an starke Persönlichkeiten. Sie haben Angst, dass Gedanken und Aufbrüche Dynamik entwickeln, und versuchen statt dessen krampfhaft festzuhalten, was doch nur ein Anfang war.
3. Christus Jesus
- Paulus warnt nicht nur vor einer falschen Bindung an sich selbst, an Apollos oder Petrus. Er scheut sich nicht als vierten Namen in der Reihe "Christus"zu nennen. Selbst - und vielleicht gerade - gegenüber dem Messias Christus kann es diese falsche Bindung geben. Ich kann mein eigenes Christusbild ausspielen gegen Paulus, Apollos und Petrus und mich daran festklammern, als stünde Christus im Gegensatz zur Kirche, in der ich meinen Glauben und die Taufe empfangen habe.
- So ist es paradox: Das Evangelium von Christus Jesus, also die Verkündigung seiner Herrschaft in Gott, kann in die romantische, sektiererische Enge führen. Wer sich nicht auf die Dynamik seiner Herrschaft einlassen will, wird sich an ein Bild festklammern: Nichts und niemand solle daran etwas verändern. Eine Kirche, die mit der Zeit geht, wird für solche Christen zur bedrohlichen Verunsicherung. Die Verklärung des Anfangs in Galiläa, als Jesus mit seinen ersten Jüngern umherzog, wird dann gegen jede Weiterentwicklung ausgespielt. (Und in ähnlicher Weise kann beliebig jeweils eine frühere Epoche als allein selig machend festgehalten werden, wie es die jetzigen katholischen Traditionalisten mit dem 19. Jahrhundert tun).
- Dagegen erinnert Paulus daran, dass der Christus, Jesus von Nazareth, sich dem Kreuz unterworfen hat. Er, dem nachzufolgen für uns wichtiger als alles ist, hat die Jünger frei gegeben, indem er sich gefangen nehmen ließ. Er hat nicht, wie andere Große, sein Testament schriftlich fixiert und festgelegt, sondern das Evangelium lebendigen Menschen als seinen Aposteln anvertraut. "Gewandte und klugen Worte" ersetzen nicht den Weg, den jeder selbst und die Kirche als Gemeinschaft gehen muss.
Deswegen hat Christus von sich selbst als dem "Weg" gesprochen. Durch ihn und mit ihm und in ihm sollen Menschen zu allen Zeiten und in allen Kulturen zu Gott, unserem himmlischen Vater finden. Ein Weg, der nur in Freiheit gegangen werden kann. Alle Hingabe an Christus selbst ist falsch, wenn sie nicht zugleich Hingabe in dieser Zeit und diesem Leben ist, Hingabe an die Schwestern und Brüder in der Gemeinschaft der Kirche und Hingabe an den Nächsten in Not. Freiheit gegenüber allen Persönlichkeiten, so viel wir ihnen auch in unserem Glaubensleben verdanken, ist wesentlich, um frei zu sein, das Evangelium immer neu zu begreifen und immer neu zu ergreifen. Der Anfang kann Maßstab sein, um neue Energie zu bekommen. Er ist aber nie das Ziel. Amen.