Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Was meinst du, wenn du sagst: "Wunder"? - Philosophische Thesen

Was meinst du, wenn du sagst: "Wunder"?

Martin Löwenstein SJ, "Weiß ich, dass Gott Wunder wirkt?
Ökumenischer Studientag Großer & Kleiner Michel, Hamburg 10. März 2012

Wenn ein Priester zum Thema Wunder spricht, konzentriert sich die Aufmerksamkeit gerne darauf, was er nun sagen werde: Glaubt er an Wunder oder nicht? Die Frage ist aber erst sinnvoll zu beantworten, wenn klar ist, was wir meinen, wenn wir von "Wunder" sprechen. Dieser Teil unseres Studientages will das klären.

Der Klärung von Begriffen widmet sich die Philosophie. Sie will helfen, unser Denken und unsere Begriffe so zu klären, dass wir einander verstehen und damit wir uns nicht in Widersprüche verwickeln, weil wir hier das eine und dort das andere annehmen - obwohl beides genau betrachtet unvereinbar ist.

Einerseits will ich versuchen, das Thema mit ganz einfachen Begriffen einzuführen - und muss ich im Laufe der Einheit differenzierter werden, also auch Einfachheit zurück zu nehmen. Zunächst aber will ich versuchen, Wörter in dem Sinn zu verwenden, wie sie vermutlich die meisten von uns mit ihrem Alltagsverstand verwenden würden.

Das Wort Wunder wird heute gerne für allerlei Staunenswertes verwenden; hier sei strikt das gemeint, was allgemein als "religiöses Wunder" verstanden würde; diese Versuche einer Definition machen die Fragen deutlich, die dahinter stehen:

  • Ein Wunder ist ein Ereignis, das Gott selbst und unmittelbar bewirkt, und von dem wir meinen, dass es Menschen oder der Natur nicht möglich sei; etwas das unser Staunen erregt und uns fragen lässt, was es bedeutet.
  • Wikipedia meint allgemeiner: "Als Wunder gilt umgangssprachlich ein Ereignis, dessen Zustandekommen man sich nicht erklären kann, so dass es Verwunderung und Erstaunen auslöst. Es bezeichnet demnach allgemein etwas »Erstaunliches« und »Außergewöhnliches«"
  • "Ein Wunder ist ein Verwunderung hervorrufendes, außergewöhnliches Ereignis, das eine überraschende Wende zum Heil heraufführt und darin auf Gott als den Grund der Wirklichkeit verweist." (Dirk Evers, S.24, siehe Literaturangaben)

Bei all dem muss man bedenken, dass andere Sprachen weit differenzierter sind; im Englischen kann man »miracle« (mehr das Ereignis betonend) von »wonder« (mehr auf das sich Verwundern gerichtet) unterscheiden und im Griechisch des Neuen Testamentes gibt es sogar noch mehr Ausdrücke, die in einer deutschen Ausgabe mit »Wunder« übersetzt werden können: semeion "Zeichen", teras "Wunder," oder dynamis "Kraft".

Ich will mich dem Verstehen dessen, was Wunder ist durch drei Fragen nähern:

I. Wie können wir wissen, dass ein Ereignis nicht "natürlich" ist? Denn schließlich wurde früher vieles als Wunder gepriesen, was heute naturwissenschaftlich erklärt werden kann.

II. Wie soll ich mir das vorstellen, dass Gott etwas in der Welt bewirkt? Da Christen Gott nicht für einen Teil der Welt halten, müssen sie darauf eine Antwort geben.

III. Kann es ein Wunder geben, ohne dass sich jemand wundert? Denn schließlich gehen wir doch davon aus, dass Gott nicht Wunder wirkt, weil er nichts Besseres zu tun hat, sondern weil er damit etwas bewirken will.


I. Wie können wir wissen, dass ein Ereignis nicht "natürlich" ist?
Wunder und Wissenschaft

  • Wunder würden wir nur etwas nennen, was nicht durch natürliche Ursachen vollständig erklärt werden kann, selbst dann nicht, wenn wir um alle natürlichen Umstände wüssten. Wunder kann also nur sein, was gar nicht natürlich erklärt werden kann, nicht jedoch was noch nicht erklärt werden kann. Unter "natürlich" verstehe ich dabei alles, was 'von alleine' oder 'ohne Zutun' geschieht: es ist in der Kette von Ursache und Wirkung nach vorne (und nach hinten) vollständig eingegliedert.
  • Daher wäre ein Wunder mit den Methoden der Naturwissenschaft unerkennbar, denn 'naturwissenschaftlich erkennen' bedeutet, etwas aus natürlichen Ursachen zu erklären: Der Ball rollt, weil diese Kraft auf ihn eingewirkt hat etc..
    Wenn die Naturwissenschaft etwas nicht erklären kann, dann kann sie lediglich sagen: "Bisher sind die Ursachen noch nicht erkannt, wir müssen weiter erforschen und so den Bereich des Unerkannten verkleinern." Nie kann die Naturwissenschaft sagen: "Bei diesem oder jenem Phänomen sind natürliche Ursachen auszuschließen." Ausschließen können wir bestenfalls bisher bekannte Ursachen.
    Das gilt auch dort, wo die heutige Naturwissenschaft davon ausgeht, dass etwa Tiere oder Menschen "spontan" etwas tun; auch hier kann man streng nur sagen: Bisher kennen wir keine notwendigen Ursachen und nehmen daher an, dass z.B. der Hund spontan an diesem und nicht an jenem Baum sein Bein hebt.
  • Mit naturwissenschaftlichen Methoden kann man über die Möglichkeit von Wundern prinzipiell nichts sagen, außer dass vieles, was Menschen früher für Wunder gehalten haben, später naturwissenschaftlich erklärt werden konnte.
  • Was wir Wunder nennen, ist immer ein Ereignis in der 'Welt der sinnlichen Dinge'. Philosophisch kann ich daher nur darüber nachdenken, ob Wunder möglich sind, vielleicht auch ob sie wahrscheinlich sind, aber ich kann philosophisch nie beweisen, ob es je ein Wunder gegeben hat, noch gar, ob dieses oder jenes Ereignis ein Wunder sei, denn Philosophie beweist keine Tatsächlichkeit in der Welt der sinnlichen Dinge.
  • Kurz gesagt: Wunder können prinzipiell nie bewiesen, nur im Einzelfall naturwissenschaftlich widerlegt werden. Die Möglichkeit von Wundern dagegen ist eine sinnvolle Frage der Philosophie.

II. Wie soll ich mir das vorstellen, dass Gott etwas in der Welt bewirkt? - Freiheit und Geist

  • Zwei weitere Dinge bleiben für die Naturwissenschaft unerkennbar: Freiheit und Gott. Die Naturwissenschaft funktioniert, indem sie jedes Ding oder Ereignis aus einem anderen erklärt. Die Voraussetzung dieser Methode lautet daher: Alles hängt mit allem kausal notwendig zusammen; alles, was es gibt, kann durch ein anderes, das es gegeben hat, erklärt werden.
  • Wie ihn die Hochreligionen verstehen, ist Gott aber nicht ein Teil von 'allem', als wäre Gott erster Verursacher in einer Kette. Gott ist vielmehr der Verursacher und Erhalter der ganzen Kette. Ohne Gott gäbe es die ganze Kette von Ursachen nicht, egal ob diese Kette räumlich oder zeitlich begrenzt ist ("vom Urknall bis zum Weltuntergang") oder ob Raum und Zeit sich ohne Ende ausdehnen. Gott wirkt in allem und durch alles (vgl. Eph 4,6); wenn etwas oder jemand in der Welt "mehr" wirkt, dann wirkt Gott "mehr".
    Naturwissenschaften können daher (aufgrund ihrer Methode der Erforschung von Ursache und Wirkung 'innerhalb von allem') Gott weder erkennen noch ausschließen, weil sie durch ihre Methode auf die sinnlich erkennbare Welt angewiesen sind, in der Gott nicht als "Teil" vorkommt. (Dies gilt, auch wenn vor allem die Physik darüber hinaus gehende Hypothesen über sinnlich nur in seinen Wirkungen beobachtbares angewiesen sind - z.B. vom Magnetismus bis zum subatomaren Bereich).
  • Ebenso kann die Naturwissenschaft Freiheit weder erkennen noch ausschließen. Denn Freiheit wäre ja eine Wirkung, die nach hinten (aus der Vergangenheit) nicht vollständig bestimmt ist, sondern von einem nicht vollständig bedingten Willen eines Subjektes verursacht wird.
    Gerade weil Freiheit beansprucht, zumindest teilweise ohne Notwendigkeit zu sein, ist sie für eine Wissenschaft, die von der Notwendigkeit von Ursache und Wirkung ausgeht, nicht erkennbar. Es könnte ja doch sein, dass es notwendige Ursachen gibt, die wir nur noch nicht erkannt haben, und daher fälschlich einen freien Akt als Ursache annehmen. (Dies gilt auch dann, wenn Vorgänge im subatomaren Bereich der Quanten nicht determiniert, sondern 'zufällig' und in Ursache/Wirkung nur statistisch zu beschreiben wären, denn hier wird der Zufall und nicht ein Wille angenommen).
  • Eine Methode, die zu Gott und Freiheit nichts sagen kann, kann auch zu Wundern nichts sagen. Wenn diese Methode zu einem Weltbild erhoben wird, das Gott und Freiheit ausschließt, muss dieses Weltbild auch Wunder ausschließen.
  • Umgekehrt bleibt die Frage, ob ein Weltbild, das Gott und Freiheit für gegeben hält, Wunder für möglich oder gar wahrscheinlich hält.
  • Wer Freiheit annimmt, geht davon aus, dass der Mensch in irgendeiner Weise Geist und Bewusstsein hat, die eine Wirkung in der physikalischen Welt haben, ohne vollständig durch sie bestimmt zu sein.
  • Wenn es Gott und Freiheit gibt, dann kann es zwei Formen von Wundern geben: Das Freiheits-Wunder und das Gottes-Wunder. Damit ist angesprochen, dass bei einem Wunder immer das Einwirken eines Nicht-Notwendigen auf die Welt physikalischer Bestimmtheit angenommen wird.
    Ein Freiheits-Wunder wäre gegeben, wenn die menschliche Freiheit in irgendeiner Form etwas willentlich bewirkt, das nicht durch vorherige Ursachen bestimmt ist. Ein Gottes-Wunder wäre gegeben, wenn Gott innerhalb der Kausalkette der Natur einen solchen Neuanfang setzen würde.
  • Das Freiheits-Wunder folgt notwendig aus der Definition von Freiheit, weil Freiheit, die nichts bewirkt, keine Freiheit wäre.
  • Allerdings ist ungeklärt, wie mentale Freiheit etwas in der physikalischen Welt bewirkt. Die Naturwissenschaft kann methodisch dazu nichts sagen. Die Philosophie sucht nach einer Erklärung, die nicht in Widerspruch zu den Erkenntnissen der Naturwissenschaft steht.
  • Die Frage stellt sich klassisch nach dem Wirkungsverhältnis von Seele und Leib, also wie das Mentale Ursache im Physischen sein kann. Das Leib-Seele-Problem gehört zu den ganz großen Themen der Philosophie. Die Neuzeit geht dabei - wenn sie überhaupt so etwas wie den seelisch-mentalen Bereich annimmt - in der Tradition von Descartes von einem Dualismus von Leib und Seele aus: beide seien grundsätzlich verschieden. Von dieser Annahme her hat es bis heute keine letztlich überzeugende Antwort darauf gegeben, wie das Mentale auf das Physische einwirkt.
  • Die Richtung, die in der neueren Diskussion am ehesten die naturwissenschaftlichen Erkenntnisse berücksichtigt und sich nicht in philosophische Widersprüche verwickelt, versucht den Dualismus von Physischen und Mentalen abzuschwächen.
    Sie nimmt dabei zumeist auf die Quantenmechanik Bezug. Diese nahm ihren Ausgang von der Beobachtung, dass man das Verhalten einzelner subatomarer Teilchen nicht eindeutig festlegen kann, sondern nur Wahrscheinlichkeiten für das Auftreten bestimmter Messwerte angegeben werden konnten. Das Verhalten einzelner kleinster Teilchen scheint nicht festgelegt zu sein. Erst in der Masse gibt es eindeutige statistische Wahrscheinlichkeiten über das Verhalten der Teilchen.
    Es gibt Versuche, das so zu interpretieren, dass diese Teilchen nicht nur einen pysisch-materiellen Aspekt haben, sondern auch einen Aspekt von "Kommunikation" in einfachster Weise.
    Dies könnte dann als ein "vor-mentaler" Aspekt der ganzen Wirklichkeit interpretiert werden und ein Ansatzpunkt, um das Entstehen des uns im Bewusstsein zugänglichen Mentalen zu erklären. Zugleich würde dieser Ansatz den Dualismus von Mentalem und Pysischem abschwächen.
  • Es ist vernünftig (begründet) anzunehmen, dass es Bewusstsein und Freiheit gibt. Damit ist es nicht unvernünftig anzunehmen, dass das Bewusstsein etwas in der Welt der materiellen Dinge bewirkt. Die Diskussion darüber, wie das möglich ist, ist aber offen. Vielleicht bleibt sie auch offen, weil unser Zugang zu unserem Bewusstsein (Ich-Perspektive) und unser Zugang zur Außenwelt (Außen-Perspektive) notwendig verschieden bleibt.
  • Der angedeutete Versuch über einen vor-mentalen Aspekt auch der nicht-bewussten Wirklichkeit könnte auch als Ansatzpunkt zur Deutung paranormaler Phänomene dienen: mentale Kommunikation jenseits der uns bekannten Wege und mentale Wirkung auf physikalische Vorgänge. Gerade die Nicht-Regelmäßigkeit und Nicht-Vorhersagbarkeit im Bereich des Paranormalen würde dadurch plausibler. All diese Überlegungen sind aber hoch hypothetisch!

III. Kann es ein Wunder geben, ohne dass sich jemand wundert?
Warum würde Gott Wunder wirken.

  • Nehmen wir für das Folgende an, dass ganz allgemein (menschlicher oder göttlicher) Geist nicht nur auf die biophysikalischen Zusammenhänge des Gehirns einwirken kann, sondern auch darüber hinaus Ursache im Bereich der sinnlich erfahrbaren Welt sein kann (also etwa ein Krebsgeschwür heilen, eine befruchtete Eizelle im Schoß einer Jungfrau entstehen oder einen Windsturm stillen kann).
  • Auch für eine "mentale" Wirkung Gottes in der Welt muss gelten: Gott ist nicht ein Teil dieser Welt, aber jedes uns zugängliche Phänomen - physikalisch oder mental - ist Teil dieser Welt, also nicht Gott! Auch die beeindruckensten paranormalen Phänomene sind daher nie ein "Beweis" für Gott; jeder Beweis bleibt innerweltlich. Auch Spiritismus ist geistige Physik (und viel unberechenbarer als die normale) und kein Glauben an Gott.
  • Umgekehrt ist jedes uns zugängliche Phänomen von Gott bewirkt. Ohne Gott gäbe es nichts und würde sich nichts ereignen. Selbst und gerade in unseren Akten höchster Freiheit wirkt Gott als Urgrund unserer Freiheit. Wunder unterscheiden sich darin nicht von anderen Ereignissen.
  • Daher kann der Mensch jedes Ereignis auf sein Verhältnis zu Gott beziehen. Es gibt nichts in der Welt, was keine Beziehung zu Gott hätte. Der graduelle oder existentielle Unterschied liegt nur darin, ob ich diese Beziehung erfahre, verstehe, aktiv aufnehme - also darin "an Gott glaube".
  • Wunder sind nicht beweisbar. Sie sind nur dann vernünftig anzunehmen, wenn die "Aussage" oder Sinnstruktur des Ereignisses in Übereinstimmung steht zu dem, was wir über den Urheber des Ereignisses annehmen. Für Christen ist daher nur das ein Wunder Gottes, was "Gottes Handschrift" trägt und zu mehr Glaube, Hoffnung und Liebe bewegen will.
  • Wenn Gott den Menschen nach seinem Angesicht geschaffen und mit Freiheit ausgestattet hat, dann ist es naheliegend, dass Gott in dieser Welt vermittels der menschlichen Freiheit wirkt, also nur so auf den Menschen einwirkt, dass diese Freiheit in ihrem Wesen gewahrt bleibt.
  • Dies muss keine besondere aktuale Einwirkung Gottes auf den menschlichen Geist bedeuten: Wenn der Mensch aufgrund seiner immer schon gegebenen Geschöpflichkeit in Beziehung auf Gott als den 'transzendentalen Grund von allem' unvermischt und ungetrennt in Annahme dieser Geschöpflichkeit - also "in Erfüllung des Willens des Vaters" - einen punktuellen Freiheitsakt setzt und sich zugleich von diesem staunend betreffen lässt, dann ereignet sich ein Wunder (Transzendentales Wunder).
  • Wie aber ist es mit dem anderem Extrem: Würde Gott in die Kausalgesetzlichkeit der Natur eingreifen, um ein Ereignis zu setzen, das in Übereinstimmung mit seinem Schöpfungswillen steht: Das rote Meer teilen, eine befruchtete Eizelle im Schoß der Jungfrau entstehen lassen, einen Seesturm stillen, einen Leichnam aus unserer materiellen Welt herausnehmen und in eine verwandelte Wirklichkeit hinein auferwecken? Man muss sich der Konsequenz einer solchen Annahme bewusst sein. Da die physische Welt kausal miteinander verbunden ist, würde Gott mit einem solchen Akt die ganze Welt verändern.
  • Ein solches Wunder würde letztlich eine Neuerschaffung der Welt bedeuten. Diese Annahme bewegt sich argumentativ in der Nähe jenes Fundamentalismus, der es für möglich hält, dass Gott die Welt mit allen Fossilien zu einem nach Jahresangaben der Bibel errechneten Zeitpunkt geschaffen hat. Bei jeder Annahme einer Neuerschaffung der Welt wäre die Welt, wie sie ist, nicht mehr mit der Welt, wie sie davor war, kausal verknüpft.
  • Die Annahme eines solchen Wunders wäre nur dann zu begründen, wenn der Sinn eines solchen Eingriffs in die Welt in Übereinstimmung mit dem Sinn stünde, der der ganzen Schöpfung zu Grunde liegt. Im Kontext der christlichen Offenbarung könnte ein solches Wunder als möglich angesehen werden, wenn es Teil der Heils- und Offenbarungsgeschichte wäre, durch die Gott eine in der Ursünde gefallene Welt ihrer ursprünglichen Bestimmung zuführen will. Ein solches Wunder müsste mithin eine starke Stellung in dieser Offenbarungsgeschichte haben.
    Man kann daher begründet verschiedener Meinung sein, ob der biblische Bericht über solch ein Wunder eine literarische Form ist oder auf ein historisches Ereignis verweist, denn in beiden Fällen hätte es eine Funktion als Kommunikation mit dem Menschen, der sich durch das Wunder (oder die biblische Erzählung über ein solches) betreffen lässt.
  • Der weniger starke Fall eines Wunders wäre, wenn Gott durch einen Wundertäter wirkt. In diesem Fall wirkt Gott in besonderen Situationen durch einen Menschen, der bewusst und frei im Gehorsam gegenüber dem (explizit oder implizit) erfahrenen Willen Gottes handelt. Dieser Mensch würde dann mit den Kräften handeln, die er als Mensch hat. Dies können die "normalen" Kräfte eines Menschen sein, aber auch solche, die sich uneindeutig auch in paranormalen Fähigkeiten andeuten. Angesichts kulturübergreifender Berichte über solche Fähigkeiten, ist es nicht unvernünftig diese anzunehmen.
  • Aber erst durch die Übereinstimmung mit dem Willen Gottes würde aus einem solchen Krafterweis ein Wunder. Ein altes Sprichwort sagt daher "Auch der Teufel kann Wunder wirken." Ob ein Krafterweis eines Menschen als gottgewirktes Wunder zu gelten hat, ist daher nie alleine daraus zu schließen, dass eine Tat "außerordentlich" ist, sondern immer nur daraus, dass darin Gottes Heilswillen und Heilshandeln erfahrbar und erkennbar ist. Die katholische Kirche lässt daher im Zusammenhang eines Heiligsprechungsverfahren ein Wunder nur gelten, wenn der, auf dessen Fürsprache hin das Wunder geschehen sein soll, auch sonst ein Leben nach dem Willen Gottes erkennen ließ.
  • Gott verschwendet keine Wunder. Wenn Wunder nur geschehen, weil Gott etwas will, dann geschieht es immer im Hinblick auf den Menschen, der sich durch dieses Geschehen betreffen lassen und in seinem Alltag mehr zu einem Menschen machen lässt, der Gottes immer schon gegebenen Schöpfungswillen entspricht.

Literaturhinweise:

Lewis, C.S.: Wunder. Gießen, Basel (Brunnen Verlag). 4 Auflage 1999.. Miracles (1947).

Brüntrup, Godehard: Das Leib-Seele-Problem. Eine Einführung. 3., durchges. u. erweit. Auflage. Stuttgart, Berlin, Köln (Kohlhammer) 2008. (nur für philosophieinteressierte Leser!)

Fitschen, Klaus; Maier, Hans (Hg.): Wunderverständnis im Wandel. Historisch-theologische Beiträge. Edition Mooshausen, Band 5. mit Beiträgen von Dirk Evers, Hans G. Gradl, Hans Maier, Ursula Sottong, Robert Jütte, Klaus Fitschen, Hartmut Lehmann, Reinhard Hempelmann . Annweiler (Thomas Plöger) 2007.

Weissmahr, Bela; Knoch, Otto: Natürliche Phänomene und Wunder. Freiburg, Basel, Wien (Herder). In: Christlicher Glaube in moderner Gesellschaft. Hrsg. von Franz Böckle u.a.. Bd. 4 1982, S. 121-148.

Menke, Karl-Heinz: Handelt Gott, wenn ich ihn bitte?. Kevelaer u.a. (Verlagsgemeinschaft topos plus). 3 Auflage 2008.