Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 24. Sonntag im Lesejahr A 2023 (Jesu Sirach)

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17. September 2023 - St. Peter, Sinzig

1. Schrift des Namensvetters

  • Jesus von Nazareth könnte die Schriften seines Namensvetters Jesus Sirach gekannt haben. Auch wenn es nicht Teil der hebräischen Bibel der Juden wurde, war immer schon hochgeschätzt, was dieser jüdische Weisheitslehrer etwa zwei Jahrhunderte vor unserer Zeitrechnung aufgeschrieben hat. Luther behielt für das Buch den Namen "Ecclesiasticus" und verbannte es aus dem Hauptteil seiner Bibel in den Anhang, die Apokryphen. Aber in protestantischen Kirchenliedern wurde nicht wenig  daraus zitiert.
  • Wenn Jesus seinem Petrus das Gleichnis von den beiden Knechten erzählt, dann könnten beide die Verse im Ohr und im Sinn gehabt haben, die unsere heutige Erste Lesung bilden. Jesus will deutlich machen, dass Kleinlichkeit beim Vergeben vergessen hat, mit wie viel alles Maß sprengender Großherzigkeit Gott uns entgegenkommt: Das zu vergessen ist wie jener Knecht, dem Millionen Schulden erlassen wurden, der seinem Mitknecht aber ein paar Tausend mit äußerster Härte abzwingt.
  • Was ist da los bei einem solchen Menschen? Jesus erzählt das Gleichnis so, dass man sich genau diese Frage stellen muss. Die Mitknechte, heißt es "waren sehr betrübt" als sie das erlebt haben. Von außen ist das klar. Aber was geht im Herzen dieses Menschen vor, der für sich alle Vergebung wie wie selbstverständlich nimmt, aber sie anderem auch bei Kleinigkeiten vorenthält? Und was könnte ihn davon heilen? Genau diese beiden Fragen beantwortet der Abschnitt aus Jesus Sirach.

2. Groll und Zorn

  • Jesus Sirach stellt die richtige Frage: "Ein Mensch verharrt gegen einen Menschen im Zorn, beim Herrn aber sucht er Heilung? Mit einem Menschen gleich ihm hat er kein Erbarmen, aber wegen seiner Sünden bittet er um Verzeihung?" - Könnte es sein, dass eine Bitterkeit und ein tief sitzender Zorn uns daran hindert, "einem Menschen gleich uns selbst" dasselbe zuzugestehen, das wir wie selbstverständlich für uns erwarten?
  • "Groll und Zorn", schreibt Jesus Sirach, sind ein Gräuel des Herzens. Das heißt: In dem Tempel, in dessen Mitte Gottes Liebe stehen könnte, hat sich eine andere Macht, ein anderer Gott breit gemacht. Ich höre aus diesen Zeilen nicht so sehr einen Vorwurf mit erhobenen Zeigefinger. Vielmehr sucht hier ein Weiser Israels nach dem Weg, wie ein Herz aus solcher Verengung befreit werden kann.
  • Wie kann es sein, wie kann es kommen, dass einer Gott nicht zu sehen vermag, der aus Liebe Vergebung schenkt? Statt dessen setzt sich das Herz der Last aus, alles selbst machen und verdienen zu müssen. Weil es daran scheitert sind "Groll und Zorn" die bittere Frucht. Ein solches Herz hat – aus welcher Erfahrung? – eine panische Angst, von anderen abhängig zu sein, selbst von Gott.
    Dabei ist Gott der einzige, von dem ich abhängig sein darf – weil ich es immer schon bin: Ist nicht Gott der Schöpfer eines jeden Atemzugs? Warum soll ich von ihm nicht dankbar Vergebung annehmen, wo ich mich gegen ihn versündigt habe? Wer Vergebung nicht dankbar annehmen kann, vielmehr meint, sie stehe ihm zu und er habe sie sich selbst verdient, der wird auch anderen nicht vergeben können: Den an ihnen sieht, dass es dafür keinen "Verdienst" gibt.

3. Übersieh die Fehler!

  •  Der Abschnitt bei Jesus Sirach endet mit dem unerhörten Aufruf: "Übersieh die Fehler!". Ganz sicher geht es nicht darum, Unrecht zu ignorieren. Vielmehr ruft der Weisheitslehrer Israels zum Befreiungsschlag für das eigene Herz auf. Das eigene Herz ist gefangen.
  •  Der Weg zur Befreiung ist knapp und präzise beschrieben: "Denk an das Ende" – wohin soll das Aufrechnen und Abrechnen führen? Weder mir noch dem anderen nützt es wirklich. "Lass ab von der Feindschaft", denn es ist oftmals ein unbegreifliches Festhalten daran, Recht haben zu wollen und einen Streit nur ja nicht zu beenden. "Denk an Untergang und Tod", denn unter dem Blickwinkel der Ewigkeit, sub specie aeternitatis, wird so manches, 'was uns groß und wichtig erscheint, plötzlich nichtig und klein'.
  •  Dann aber kommt das Entscheidende. Die Fähigkeit dankbar Vergebung empfangen zu können, um großzügig Vergebung schenken zu können, kommt aus der Treue zu Gott.
    Als erstes heißt es "Bleib den Geboten treu!" Die Grundentscheidung für das Recht ist Voraussetzung, denn sonst sehe ich in jeder Vergebung nur den versteckten Vorwurf, nicht das Vertrauen. Zweitens: "Denk an die Gebote!" Vielleicht wiederholt Jesus Sirach nur das erste, vielleicht betont er, dass es wichtig ist, sich aktiv mit dem auseinanderzusetzen, was richtig und recht ist. Drittens: "Grolle dem Nächsten nicht!" Achte auf Deine Gefühle, gib dem Groll keinen Raum in deinem Herzen, geh den negativen Gefühlen nicht noch nach, wenn sie kommen. Statt dessen viertens: "Denk an den Bund des Höchsten!" Erst im Blick darauf, dass Gott sich entschieden hat, an meiner Seite zu sein, ist es möglich, Vergebung dankbar zu empfangen und zu schenken.  "Denk an den Bund", den Gott mit uns geschlossen hat, und "übersieh die Fehler" deines Nächsten. Und Jesus fügt an, dass wir im Gebet sprechen sollen: "Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern!" Amen.