Predigt zum 14. Sonntag im Lesejahr C 2010 (Galaterbrief)
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4. Juli 2010 - Kleiner Michel (St. Ansgar), Hamburg
1. Des Kreuzes sich Rühmen
- Bei den Lesungen bin ich bei einem Satz hängen geblieben. Zumeist geht er wahrscheinlich zu
einem Ohr rein und zum anderen raus, weil er einem spontan so wenig sagt. In solchen Fällen
kann es lohnen, genauer hinzuschauen.
Paulus schreibt an die christlichen Gemeinden in Galatien, der Gegend des heutigen Ankara:
"Ich will mich allein des Kreuzes Jesu Christi, unseres Herrn, rühmen, durch das mir die Welt
gekreuzigt ist und ich der Welt." Dieser Satz zieht spontan nicht den Verdacht auf sich, für uns
heute relevant zu sein.
- Den ersten Teil verstehe ich leichter: Paulus will sich nicht eigener religiöser Leistungen
rühmen; wichtiger ist ihm das "Kreuz Jesu Christi, unseres Herrn", also dass ein anderer für
ihn sein Leben hingegeben hat. Er würde also sagen: Nur auf das eine bin ich wirklich stolz,
und dafür habe ich selbst noch nicht einmal etwas beigetragen, dass Jesus Christus im Blick
auch auf mich sein Leben eingesetzt hat.
- Warum aber überhaupt ein solches "Sich-Rühmen"? Im Zusammenhang des Galaterbriefes, an
dessen Ende unser Satz steht, wird deutlich, dass Paulus damit ironisch auf Christen antwortet,
die sich ihrer religiösen Leistungen rühmen; sie haben das gemacht, was damals als fromm galt,
haben andere damit beeindrucken und sogar unter Druck setzen wollen. Damals war es das
religiöse Zeichen der Beschneidung. Heute ist es für manche vielleicht, dass sie stolz aufzählen,
welche Rosenkränze, Gebete und Litaneien sie bewältigen. Und wieder andere, da ist das
"Sich-Rühmen" am elegantesten versteckt, rühmen sich, dass sie möglichst nie zum Gottesdienst gehen, weil ja Nächstenliebe viel wichtiger sei. Immer aber ist es ein Sich-Rühmen für
eigene Leistung.
Paulus aber erwidert: Wenn es etwas gäbe, dessen wir uns rühmen können, dann ist es nicht
unsere religiöse oder moralische Position oder Leistung, sondern allein, dass wir von Gott
schon in Jesus Christus geliebt werden - ohne dass wir dazu irgend eine Leistung erbracht
hätten.
2. Der Welt gekreuzigt
- Was aber bedeutet der zweite Teil des Satzes: "Durch das Kreuz Christi ist mir die Welt
gekreuzigt und ich der Welt."? Auf den ersten Blick klingt das deutlich weltfeindlich. Vielleicht
ist es das aber gerade nicht. Vielleicht mein Paulus mit diesem "gekreuzigt werden" ja nicht
eine Ablehnung der Welt, sondern - fast im Gegenteil - ihre Verwandlung. Ja, ganz sicher ist
dieser Satz nicht lebensfeindlich, sondern im Gegenteil will Paulus mehr, besseres, erfüllteres
und freieres Leben!
- Mein Leben ist doch dann mühsam, wenn ich dauern darum kämpfen muss. Wenn ich ständig
auf der Hut sein muss, dass ich von anderen Anerkennung bekomme, dann führt das leicht
dazu, dass ich mich verbiegen lasse. Wenn ich ständig vortäuschen muss, jemand anderer zu
sein, weil mir sonst mit Liebesentzug gedroht wird, dann bleibe ich selbst ebenso auf der
Strecke wie die Wahrheit und die Liebe. Wenn ich dauernd meine schwachen Seiten und meine
Schatten verschleiern muss, dann funktioniere ich vielleicht in den Augen anderer. Unter der
Hand aber bin ich abgestorben.
- Das Kreuz Christi ist für Paulus der Beweis, dass Gott mir vertraut. Ich muss vor Gott keine
Vorleistung erbringen, auch keine fromme. Das ist doch gerade das Kennzeichen des Götterglaubens, dass darin Menschen dauernd den Göttern etwas opfern müssen und dann doch nicht
wissen, ob diese Götter ihnen gnädig sind. Dieses Kennzeichen falschen Glaubens müsste uns
doch hellhörig machen, weil wir dadurch so viele profanen Götter wiedererkennen, denen wir
unsere Zeit, unser Angepasstsein und unser Geld opfern müssen - und doch nicht wissen, ob
wir bei der nächsten Gelegenheit entsorgt werden.
3. Mir die Welt und ich der Welt
- Eines bleibt noch unverständlich: "Durch das Kreuz Christi ist mir die Welt gekreuzigt und ich
der Welt." Was soll diese verschachtelte Formulierung "mir der Welt und ich der Welt"? Der
Satz ist schon ein Versuch, das griechische Original lesbarer zu machen, denn dort steht der
bestimmt Artikel nicht, sondern heißt es: "Durch das Kreuz Christi ist mir Welt gekreuzigt und
ich (der) Welt" - das ginge im Deutschen gar nicht. Paulus geht es also nicht um "die Welt",
sondern um das Welthafte, das Nach-Art-dieser Welt. Was das bedeutet, haben wir schon
gesehen: Es ist die Angst um sich selbst und das ständige Kreisen um sich selbst. Durch die
doppelte Formulierung macht Paulus deutlich: Das ist in mir selbst drin und es ist um mich
herum. Aber beides wird durch das Kreuz Christi verwandelt.
- Das Kreuz Christi bedeutet, dass Gott in der Schwäche und Ohnmacht eines Menschen - Jesus
von Nazareth - dem Mainstream widerstanden hat, um an der Seite der Ausgestoßenen zu sein:
politisch der Zöllner, moralisch der Sünder, sozial der Witwen und Waisen. Weil Jesus sich mit
denen am Rand abgegeben hat, wurde er selbst an den Rand gedrängt. Der "natürliche" Reflex
wäre, die eigene Haut zu retten. Durch Kreuz und Auferstehung aber ist deutlich geworden,
dass dieser natürliche, welthafte Reflex in die Irre führt.
- "Es kommt nicht darauf an, ob einer beschnitten oder unbeschnitten ist, sondern darauf, dass
er neue Schöpfung ist." - Die Beschneidung ist das Bundeszeichen Israels, ein von Gott
gegebenes Geschenk. Wer Kraft findet im regelmäßigen Gebet, wird ebenso dankbar sein dafür.
Es ist nicht überflüssig oder gar schlecht. Es ist aber nur dann fruchtbar und führt zu erfüllterem, liebevollerem Leben, wenn das gegeben ist, worauf es ankommt: Zunächst und zuerst
aus dem Vertrauen zu leben, dass wir von Gott geliebt sind und Gott uns tragen will in Zeit und
Ewigkeit. Amen.
Lied nach der Predigt:
Was keiner wagt, das sollt ihr wagen / Das Kreuz des Jesus Christus
T: Lothar Zenetti, M: Roberto Confucio © Strube München-Berlin