Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum Fest der hl. Familie (Lesejahr C) 2000

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30.12.2000 - St. Michael, Göttingen

 

1.

  • 1926 hat Max Ernst ein Bild gemalt, das er genannt hat: "Die Gottesmutter züchtigt das Jesuskind". Das Bild ist ein Skandal, denn es zeigt, was der Titel unverblümt nennt. Ob der Skandal mehr darin besteht, dass das Kind Jesus Anlass zu dieser Tracht Prügel gegeben haben soll, oder ob der Skandal darin besteht, dass sich die Gottesmutter solcher Erziehungsmethoden bedient, braucht nicht entschieden zu werden. Das Bild passt nicht in die Heilige Familie.
  • Wir wissen aus den Jahrzehnten zwischen den dramatischen Kindheitsereignissen und dem ersten Auftreten des erwachsenen Jesus in Galiläa nichts - außer eben dieser Begebenheit auf der Wallfahrt nach Jerusalem.
    Jesus, so wird berichtet, ist zwölf Jahre alt. Er hat also weder das Alter von 13 Jahren, in dem man nach dem Talmud mündig wird, noch gar ist er erwachsen; das wurde man damals erst mit zwanzig. Es ist also klar, dass das, was passiert, nichts allgemein Rechtliches ist, sondern mit der Person Jesu zu tun hat. In der großen Pilgergruppe aus Nazaret nach Jerusalem fällt es nicht auf, dass der Knabe auf dem Rückweg nicht dabei ist. Er ist in Jerusalem geblieben, im Tempel. Er diskutiert dort mit Gesetzeslehrern - Theologieprofessoren.
  • Der Zorn der Eltern ist verständlich. Der Bengel ist einfach dageblieben, die Eltern in Sorge. Mehr noch könnte Maria oder Josef die Hand gezuckt haben, als auf entsprechende Vorhaltung die Antwort kommt: "Wusstet ihr nicht, dass ich in dem sein muss, was meinem Vater gehört?" Es wird aber nicht berichtet, dass Jesus darauf eine Ohrfeige erhalten hätte. Die Eltern ahnen, dass es etwas Großes ist um dieses Kind.
    Sie verstehen nicht, heißt es ausdrücklich. Aber sie behalten das Ereignis in Erinnerung. Keine Tracht Prügel für das Kind, aber Unverständnis, dass Jesus von Gott als seinem Vater spricht, in dessen Eigentum zu bleiben selbst für solches Fehlverhalten hinreichende Entschuldigung ist.

2.

  • Lukas berichtet nur diese eine Episode aus den Jahren des Aufwachsen Jesu. Scheinbar ist darin alles Wichtige gesagt.
  • "Alle, die ihn hörten, waren erstaunt über sein Verständnis und über seine Antworten." Durch diesen kurzen Hinweis macht Lukas deutlich, dass Jesus zwar durchaus gelernt hat, was es in der jüdischen Tradition über Gott zu lernen gibt. Darin aber erschöpft sich nicht Jesu Bedeutung. Er ist nicht ein Weisheitslehrer, der besonders gut in die Schule gegangen ist. Schon der Knabe Jesus macht deutlich: Es ist seine besondere Beziehung zu Gott als seinem Vater. Diese Beziehung zu Gott hat für ihn im Zweifelsfall immer Vorrang gegenüber den natürlichen Autoritäten, sogar gegenüber Mutter und Vater.
  • Nachdem das einmal deutlich ist, geht er mit seinen Eltern wieder mit zurück nach Nazaret - "und war ihnen Gehorsam". Das ist der schwerere Teil der Übung. Die Absolutheit Gottes ist klar. Es muss sich aber im "normalen" Alltag zeigen, dass der Verweis auf Gott nicht die Bemäntelung dafür ist, dass man sich selbst zum Herrn aller Dinge macht. Im Gegenteil, der Gehorsam gegenüber Gott ermöglicht es, sich auf Strukturen und Abhängigkeiten einzulassen - wenn darin und dadurch das tragende Fundament gewahrt ist.

3.

  • Der Jesus in Nazaret ist seinen Eltern gehorsam. Das Fest der Hl. Familie stellt das ohne Zweifel als ein Ideal dar. Nur: Gehorsam ist eine Kategorie aus der Kinderstube, nicht der Politik(1). Schon in der Kinderstube ist der Gehorsam gegenüber Gott Kriterium des Gehorsams gegenüber den Eltern. Den Eltern ist die Autorität über Kinder nur anvertraut, um sie zur Freiheit zu erziehen, die einzig Gott letzten Gehorsam schenkt.
  • Denn für erwachsene Menschen kann der Gehorsam gegenüber Menschen nicht mehr zur Entschuldigung für das eigene Tun werden. Kein Mensch kann sich auf Befehl und Gehorsam herausreden, wenn er die Würde eines anderen verletzt.
    Sicher gibt es, damit soziales Leben funktioniert, Unter- und Überordnungen und die Befugnis, Anweisungen zu geben. Keine Organisation wäre möglich ohne das. Aber über jeder Autorität steht drohend die Absolutheit der Autorität Gottes. Dies gilt in Höchstem Maße für die menschliche Autoritäten, die sich selbst auf Gott berufen, weil der menschgewordene Gott sie zu Aposteln beauftragt hat. An mehreren Stellen macht das Neue Testament deutlich, dass für diese besonders strenge Maßstäbe gelten.
  • Die Sehnsucht nach der Heilen Familie ist groß. Die Sehnsucht nach einer Welt, in der klar ist, was gilt, und doch die heimelige Atmosphäre der Familie herrscht. Dafür nimmt mancher sogar die ab und an züchtigende Hand der Mutter in Kauf.
    Die Heilige Familie macht deutlich: Wir müssen uns zu Menschen bilden, die in dieser Welt skeptisch bleiben, weil sie Ausschau halten nach der kommenden, weil Gott der Einzige ist, dem Gehorsam gebührt. Amen.

1. So Hannah Arendt in "Eichmann in Jerusalem".