Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zu Weihnachten in der Nacht 2020

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24. Dezember 2020 - Kirche des Aloisiuskollegs Bonn-Bad Godesberg

1. Unverdient

  • Womit haben wir das verdient? Dabei dürfte dieses "das" bei fast jedem von uns anders sein.
    Womit haben wir es verdient, dass wir trotz der Pandemie hier zusammen Weihnachten feiern dürfen? Womit habe ich das verdient, an Weihnachten allein sein zu müssen? Womit haben wir das verdient, das Gute, das Schlechte, das Wunderbare, das Katastrophale?
  • Das Kind, das im Stall von Bethlehem geboren wird, kommt gänzlich unverdient. Mehr noch als bei jedem anderen Kind, ist dieses Kind ein reines Geschenk. Maria und Josef haben nicht mehr dazu beigetragen, als an der entscheidenden Stelle nicht "nein" zu sagen. Das Kind ist da. Gott kommt unverhofft und unverdient.
  • Einerseits ist das ja schön. Mit unserem Hang, alles machen und kontrollieren zu wollen, richten wir mindestens so oft Schaden an, als dass wir nutzen.
    Andererseits aber ist es doch irgendwie ein Grundsatz für Gerechtigkeit, ein jeder solle das erreichen können und bekommen, was sie oder er sich verdient hat; dass wir unseres Glückes Schmied sind, dass jeder gleiche Chancen hat, sein Schicksal zu bestimmen.
    Dem widerspricht dann doch der christliche Glaube fundamental, wenn er sagt, dass das Entscheidende gänzlich unverdient und reine Gnade ist.

2. Leistung

  • Dieser Gedanke, dass Leistung belohnt wird und Gerechtigkeit darin besteht, dass jeder nach seinen Möglichkeiten und seinen Qualitäten bewertet werden kann, ist uns leider nur allzu selbstverständlich. Selbst wenn sich eine Schule bemüht, dass sich nicht alles nur um die Noten dreht, ist von Seiten der Schüler oft die erste Frage, welche Note bekomme ich dafür? Und auch die ach so zentrale Gesundheit – bleib negativ! – hängt angeblich vor allem davon ab, ob jemand immer schon einen gesunden Lebensstil pflegt.
  • Dieses Denken hat mindestens eine Schattenseite. Denn – eingestanden oder uneingestanden – sind wir versucht zu denken, wenn es jemandem schlecht geht, dass er vielleicht doch selbst daran schuld sei.  
  • Vielleicht ist die Versuchbarkeit durch den Populismus teilweise eine Reaktion darauf: Menschen haben das Gefühl, man schaut auf sie herab, weil es ihnen nicht nur schlechter geht, sondern insgeheim gedacht wird: Das haben sie selbst verdient, sie hätten nur mehr leisten müssen. Populismus ist dann der – ungeeignete – Widerspruch derer, die abgehängt wurden, gegen diese Zuweisung.
    [Vielleicht gibt es noch eine Variante dieses Denkens in Kategorien von Erfolg und „Es-verdient-haben“, die uns vertraut ist. Die Variante lautet: Ja, wir haben uns das verdient, aber „wir“ als Volk und Nation. Und deswegen sollen all die Fremden, die nichts dazu beigetragen haben, draußen bleiben. –
    Doch wer hat hier was verdient? In jedem Land gibt es die auf der Lichtseite und die auf der Schattenseite. Leider sind es allzu oft die Armen, die für die Fehlleistung der Mächtigen leiden müssen. Genauso: „Die Menschheit ruiniert den Planeten!“. Doch haben die Menschen in Ozeanien verdient, dass ihre Inseln im Pazifik verschwinden?]

 3. Weihnachten

  • Es hilft, diese Fragen zu stellen. Denn wir spüren dann, dass Weihnachten nicht ein belangloses romantisches Fest ist, sondern ein sehr reales.
  • Wir können christlich glauben, und doch an einer Ordnung festhalten, die darauf abzielt, dass jeder bekommen möge, was er sich durch Talent und Leistung verdient hat. Denn natürlich sollte Leistung anerkannt werden. Aber Erfolg ist oft nicht eigenes Verdienst und Scheitern nicht eigene Schuld.
    Wir können daher nicht christlich glauben, ohne bei solchen politischen Überzeugungen immer auch einen Zweifel mitlaufen zu lassen. Der Zweifel lautet: Dass wir Menschen eben nicht alles machen können, nicht alles gut machen können, nicht alles verdient haben, nicht im Erfolg und nicht im Scheitern.
  • Doch ist eine gute Nachricht, dass nicht alles an Leistung hängt, mit der man sich etwas verdient zu haben meint. Nicht alles ist mit Macht, Leistung oder Geld zu haben. Es gibt die unverdiente Gnade.
    Genauso ist die Liebe. Käufliche Liebe ist keine Liebe; Liebe die immer nach Gegenleistung fragt, droht zu scheitern. Und auch Weihnachten kann sich niemand kaufen. Im Gegenteil. Weihnachten ist der Tag, an dem wir sowohl dankbar das unverdiente Geschenk von Freundschaften und Liebe, als auch die Gnade von Gottes Gegenwart im Stall von Bethlehem feiern können.
    Wer Weihnachten so erlebt, für den ist es zugleich der Tag, der unsere Herzen öffnet für die Menschen, die gänzlich unverdient und unverschuldet unsere Hilfe brauchen. Weihnachten ist der Tag, wo ich nicht frage: Was hast du verdient?, sondern: Was darf ich dir schenken? Dann komme ich vielleicht auch an den Punkt, wo ich den anderen in dem schätze, was er ist und kann, und entdecke, dass sich vielleicht noch einmal ganz anderes sehen lässt, was ein Mensch sich in seinem Leben "verdient" hat, der so ganz andere Ausgangsbedingungen hatte.
    Gott selbst ist uns dienstbar; er schenkt sich selbst in einem Kind im Stall von Bethlehem. Amen.