Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zu Weihnachten in der Nacht 2018

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24.12.2018 - 22.00 Uhr - Aloisiuskolleg, Bonn - Bad Godesberg

1. 'Ich bin da!'

  • 'Ich bin da!' Nicht 'vielleicht' oder 'mal sehn' oder 'wenn mir nichts dazwischen kommt', sondern: 'Ich bin da!' Das steht nicht unter dem Vorbehalt, man könne im letzten Augenblick eine SMS schreiben, sorry, man habe Besseres zu tun. 'Ich bin da!', das gilt. Es ist nicht nur die Zusage Gottes, es ist sein Name: 'Ich bin da!' So ist Gottes Art!
  • An dieser Stelle geschieht Weihnachten. Nirgends sonst. Mit einem alten Fremdwort: Inkarnation. Menschwerdung. Gott wird Fleisch, das Wort ist Fleisch geworden, wie es das Evangelium sagt.
  • Des Menschen Name hingegen ist so oft: 'Mal sehn' und 'Ich weiß noch nicht'. 'Vielleicht, im Prinzip und grundsätzlich und im Allgemeinen und irgendwie, ja, aber...'
    Göttlich hingegen ist ein Wort das Fleisch wird. Geboren von einer Frau. Inkarnation hinein in eine Geschichte, in eines Menschen Leben und Freude, Geschichte und Verhängnis. Es beginnt in einem Stall in Bethlehem

2. Inkarnation von Gottes Art

  • Wir stellen meist Bedingungen. Zusagen stehen unter Vorbehalt. Es muss uns passen und uns nutzen. Inkarnation hingegen findet nicht am eigenen Ort statt, sondern am Ort des anderen. So ist Bethlehem der Ort der Menschen, nicht der Himmel, der Ort Gottes. Doch wo Gott sich entscheidet zur Inkarnation, dort wird Bethlehem sein Ort, fast mehr als der Himmel, ist der aus Liebe gewählte Ort am meisten Gottes Ort.
  • Inkarnation geschieht immer in den konkreten Kontext hinein. Sie hat Geschichte und ist Geschichte, sie geschieht. Inkarnation lässt sich ein auf die fremde Umgebung, die unvertraute, die unheimliche. Inkarnation geschieht nicht zu den eigenen Bedingungen, sondern ist immer auch Inkulturation, lässt sich ein auf die Kultur des anderen.
    Das bedeutet nicht, dass Inkarnation alles hinnimmt. Im Gegenteil. Nichts verändert das Angesicht der Erde so sehr wie Gottes Menschwerdung. ["Gott will im Dunkel wohnen / und hat es doch erhellt." (Jochen Klepper 1938 im Lied Die Nacht ist vorgedrungen GL 220]]
  • Aber das gerade ist das Geheimnis, dass diese Veränderung geschieht, indem sich Gott ganz und gar auf unsere Geschichte einlässt. Oder, um genau zu sprechen, auf die Geschichte Israels, auf die Geschichte der Armen, auf die Geschichte derer die unterwegs sind, auf die Geschichte derer, die kein Haus haben, sondern nur einen Stall, wo das Kind geboren wird.
    Herrscher dieser Welt - und Menschen, die sich gern in ihrem kleinen Reich als Herrscher fühlen wollen - pflegen das anders zu machen: Sie lassen sich nicht auf die Geschichte Anderer ein, sondern wollen selbst Geschichte schreiben. Schon gar nicht lassen sie sich auf die Geschichte derer ein, die als klein, unbedeutend und arm gelten. Doch genau das wäre göttlich, nach Gottes Art. Wo ein Mensch zuhört, sich einlässt und treu ist, dort geschieht Inkarnation nach Gottes Art.

3. Teil nehmen

  • Es ist nie nur Theorie. Es sind keine wohlfeilen Sprüche. Wo Gott handelt, geschieht das Allgemeine immer im Konkreten. Liebe geschieht nur dort, wo sie sagt: 'Ich bin da, ich bleibe bei dir, ich lasse mich auf deinen Rhythmus und dein Leben ein. Erzähl mal!' - Dabei schaut Liebe, respektvolle Liebe, dem anderen in die Augen.
  • Schaut man sich heute auf der Straße um, dann stellt man schnell fest, dass eine gebeugte Haltung um sich greift. Menschen schauen einander nicht in die Augen, sie beugen sich über ein kleines leuchtendes Rechteck. Sie geben sich nicht die Hand, sie streichen mit dem Finger über kaltes Glas. Es geht schon gar nicht mehr darum, ob wir einander riechen können. Auf den Geruch von Ochs und Esel und Stroh und Windeln brauchen wir uns nicht einzulassen. Das Smartphone kann Bilder und Töne machen, es kann aufgeregt vibrieren, aber es ist geruchslos. Je mehr wir voneinander und von unserer Welt nur noch auf diese Weise erfahren, bleiben wir einander abstrakt, ohne Geschmack, ohne Geruch.
  • Darin liegt die Stärke von Weihnachten. Wir feiern Gottes Inkarnation. Vielleicht wird am Heilig Abend die Elektronik beiseite gelegt und erst nach dem Fest das neue Smartphone ausprobiert. Dafür geschieht das Wunder, dass wir ein paar Stunden einander zumuten. Bekanntlich endet es manches Mal im Streit. Das schadet nicht. Denn es ist ein Teil der Welt, in die hinein Inkarnation geschieht. Vielleicht gibt es auch die Augenblicke, in denen wir miteinander schweigen. Vielleicht wächst aus dem Schweigen ein Hören. Vielleicht geschieht dort der mutige Schritt, da zu sein miteinander und füreinander. Vielleicht nicht nur im schon immer Vertrauten, sorgsam Abgesicherten, zu den eigenen Bedingungen. Vielleicht geschieht Begegnung, die sich auf den anderen einlässt. Das wäre Inkarnation nach Gottes Art. Das ist Weihnachten. Und das Wunder geschieht öfter, als die oft so kalte Welt hätte vermuten lassen. Amen.