Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zu Weihnachten in der Nacht 2011

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24.12.2011 - Kleiner Michel Hamburg

1. Weihnachten das neumodische Fest

  • "Immer diese neumodischen Feste. Als ich ein Kind war, haben wir Weihnachten nicht gebraucht und waren doch gute Christen". So etwa hätte Oma schimpfen können, damals, als Weihnachten etwas Neumodisches war. Denn so selbstverständlich es heute scheint, so neu war das Fest am Anfang des vierten Jahrhunderts. Bis dahin gab es in der westlichen Kirche kein eigenes Fest der Geburt Jesu; nur im Osten gab es den 6. Januar als Fest der Erscheinung des göttlichen Herrschers in der Welt. Aber die Stimmung eines Festes rund um den Stall von Betlehem hatte das nicht.
  • Dieses Weihnachtsfest kam erst ab 300 in Rom auf. Niemand hat es eingeführt. Es lag irgendwie in der Luft und hat sich entwickelt und schnell über die ganze Kirche verbreitet. Das Weihnachtsfest hat niemand geplant, und es wurde schon gar nicht von oben in der Kirche eingeführt. Der Anstoß kam vielmehr von außen. Damals war es im römischen Reich modisch und politisch korrekt, die Sonne als Gott zu verehren und den Kaiser als Lichtbringer zu feiern. Die Christen waren Teil der Gesellschaft. Die heidnischen Sonnenfeiern in der Mitte des Winters, wenn die Tage wieder länger werden, waren offensichtlich ansprechend inszeniert.
  • Allerdings konnten Christen bei dem Sonnenkult nicht mitmachen. Die Sonne war für Christen keine Gottheit, sondern eine große Lampe, die Gott, der Schöpfer, über das Firmament laufen lässt. Und noch weniger ist uns der Kaiser göttlich, auch wenn er sich mit Strahlenkranz inszenieren lässt. So kamen Christen auf die Idee, ihre eigenen Inhalte als Sonnenfest zu feiern. Denn niemand anderes als Christus selbst ist unsere 'Sonne'. Die Sonne der Gerechtigkeit, sagte man, ein Wort des Propheten Maleachi (Mal 3,20) aufgreifend. Mond, Sterne und Sonne werden vergehen; das Licht der Sonne Christi nicht.
    Am Besten stellt man sich das, was damals in Rom passiert ist, vor wie heute Halloween. Halloween hat (in seiner heutigen Gestalt) keinerlei christlichen Inhalt. Trotzdem ist es zunehmend populär, warum auch immer. Wir wären also, wie die Christen damals in der Situation: Entweder wir schimpfen über die "neumodischen Feste" und verbieten unseren Kindern mitzumachen. Oder wir überlegen uns einen Weg, wie man den Mummenschanz vielleicht christlich uminterpretieren könnte - und machen aus Halloween (wieder) ein christliches Fest. (Allerdings fehlt zumindest mir bislang noch die zündende Idee. Bei Christus, der Sonne, die im Stall von Betlehem so ganz anders aufgeht, als der Kaiser in seinem Palast, war das rückblickend gesehen viel einfacher. Bei der Fassenacht könnte man vielleicht das Thema anbringen, dass in der Gemeinschaft mit Gott keine bösen Wintergeister Macht über uns haben.)

2. Weihnachten, Fest der Menschwerdung

  • Auf jeden Fall ist das, was die Christen damals mit dem heidnischen Sonnenwendfest gemacht haben, kein Zufall. Es war im Gegenteil typisch christlich. Denn im Stall von Betlehem ist der allmächtige Gott, der das ganze Universum geschaffen hat und kein Teil der Welt ist, als Mensch in diese Welt gekommen. Gott selbst hat die Welt verwandelt, indem er Gestalt eines Menschen angenommen hat.
  • So bedeutet Christ sein, nicht aus dem Leben dieser Welt auszuziehen, sondern es anzunehmen und von Gott her verwandeln zu lassen. Natürlich gab und gibt es im Christentum auch den Weg in die Wüste, in die Einsamkeit und die Klöster. Aber das geschieht immer im Zusammenhang der einen Kirche aller Getauften, die mitten in der Welt leben. Diese Welt zu verwandeln in einen Ort, an dem Gottes Gegenwart spürbar ist, ist die Berufung aller Christen.
  • Das Evangelium von der Geburt des göttlichen Kindes im Stall von Bethlehem macht deutlich, dass es hierbei eine Richtung gibt. Die Armut des Stalles, am Rande der Stadt, ist selbst eine Botschaft. Nicht aus den Palästen, nicht aus den Konzernzentralen oder den großen TV-Sendezentren kommt das Heil, sondern aus dem Stall und aus einem Futtertrog für Tiere, in den eine junge Mutter ihr Kind legt. Die Menschheit dieses Kindes ist nicht durch Reichtum und Ansehen verdeckt. Hier ist der Mensch ganz Mensch.

3. Weihnachten der Verwandlung

  • Wir feiern heute Nacht Weihnachten, weil uns diese Botschaft wichtig ist. Hier kann ich erfahren, dass mich Gott annimmt als ein Menschenkind. So will Gott mein und unser Leben verwandeln. Letztlich aber kann das nur gelingen, wenn diese Nacht in unser Leben und in unsere Welt ausstrahlt. Es ist auch an uns, dieses Werk der Verwandlung mitzumachen und den Glauben nicht zur isolierten Sonntagsveranstaltung verkommen zu lassen.
  • So wenig damals das Weihnachtsfest von oben herab durch einen Papst eingeführt wurde, so wenig wird der Glaube heute auf solch einem Weg lebendig.
    Wir sind, denke ich, alles in allem ganz gut in dem Bemühen, Nächstenliebe praktisch umzusetzen. Was verloren zu gehen droht ist jedoch die Grundlage. Wir schöpfen mehr und mehr die Kraft zur Nächstenliebe nur aus uns selbst. Erschöpfung ist die notwendige Konsequenz. Feste wie Weihnachten aktivieren daher den Bezug zur Quelle neuer Kraft und neuer Liebe. Diese Kraft kann uns nur von außen kommen, nur von Gott, der sich uns in Liebe zuwendet.
  • Mein Wunsch für Weihnachten ist daher dies: Dass jeder von uns aus dieser Feier wieder motiviert herausgeht, den Glauben mit anderen zu teilen und dadurch mehr zur Kraftquelle werden zu lassen. Ich wünsche uns, dass wir neue Formen und Gelegenheiten finden, über uns selbst und unseren Glauben zu sprechen. Wenn nicht bei uns selbst das Glaubens- und Lebenslicht scheint, würde die Sonne Christi nicht helfen. Ich wünsche uns, dass wir auch abseits von Weihnachten lernen, Feste zu feiern, die uns verwandeln, weil sie ihren tiefsten Ursprung nicht in uns selbst haben, sondern in Gott, der unter uns Mensch geworden ist. Amen.