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Der Christus-Friede

von Martin Löwenstein SJ, unveröffentlicht(1) (1999)

IHS - Jesuiten

Österlicher Friede

Das erste Wort des Auferstandenen an die hinter verschlossenen Türen versammelten Jünger ist nach dem Johannesevangelium:"Der Friede sei mit euch!". Und sogleich erhält dieser Friedensgruß seine ganz konkrete Illustration: Jesus zeigt den Jüngern seine Hände und seine Seite, gezeichnet von der brutalen Hinrichtung am Kreuz. Zweierlei wird dadurch deutlich: (1) Friede ist eines der Grundworte der Heiligen Schrift und (2) Friede ist nicht in einer allgemeinen, abstrakten Weise, sondern konkret zu verstehen, als ein Friede angesichts der Wunden des Auferstandenen Christus.

Wie sehr Friede ein Grundwort der Heiligen Schrift ist (1), merkt man an dem überaus häufigen Vorkommen des Wortes. Mehr als dreihundert mal zählen die Schriften des Alten und des Neuen Testamentes das Wort. Dabei ist im Neuen Testament auffällig, dass der Friede dort häufig gebunden ist an den Christos, den Messias oder Gesalbten, vor allem in den Anfangs- und Endformeln der Briefe des Apostels Paulus. Dort steht auch der Friede häufig zusammen mit dem anderen Grundwort des Glaubens: Gnade.(2)

Wenn man darauf achtet, stellt man leicht fest, dass Frieden ein Grundwort ist, nicht nur in der Heiligen Schrift sondern auch in der Liturgie der Hl. Messe. Schon die Eröffnung kann mit dem biblischen Gruß beginnen:"Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus." (2 Kor und öfters). Und jede Messe endet mit dem"Gehet hin in Frieden". Dazwischen kommt das Friedensmotiv im Gloria, im Hochgebet als Bitte um Frieden für die Kirche und unsere Zeit („Ordne unsere Tage in Deinem Frieden", 1. Hochgebet), dort insbesondere auch um Bitte um Frieden für die Verstorbenen, dann aber ganz massiv vor der Kommunion: im Einschub vor dem Abschluss des Vater Unser, im eigentlichen Friedensgebet mit dem Friedensgruß und als Abschluss der drei Anrufungen des Lamm Gottes.

(2) Der Gnade und dem Frieden, wie auch der Gerechtigkeit und der Liebe ist gemein, dass sie erst dann so recht ins Bewusstsein kommen, wenn sie verletzt werden. Wo beißender Hass herrscht fehlt die Liebe. Wo Ausbeutung, Armut und Unterdrückung herrscht, müssen die Menschen Gerechtigkeit entbehren. Wo der Mensch Gott verlassen sich in sich selbst verkrümmt ist die Gnade nicht zu ihm vorgedrungen. Und die grausamen Bilder des Krieges und der Vertreibung illustrieren hinreichend die Abwesenheit von Frieden. Verstehen wir aus dem konkreten Gegensatz, was gemeint ist, wenn der Auferstandene"Friede" wünscht? Friede ist ein Grundwort der Hl. Schrift und der Liturgie. Es hat aber keinesfalls immer die gleiche Bedeutung, auch wenn natürlich ein innerer Zusammenhang besteht(3).

Seit der Verinnerlichung des Glaubens am Beginn der Neuzeit und in der Reformation drängt sich ein Aspekt in den Vordergrund: zu einem zentralen Friedensverständnis wurde der"innere Friede". Friede mit Gott ist ein Zustand der Seele, ausgeglichen und mit Gott vereinigt. Dieser mystische Friede der Seele gehört zum schönsten, was die Mystik formuliert hat. Dieses Verständnis von Frieden spielt in der Hl. Schrift aber nur am Rande eine Rolle. Von dieser Innerlichkeit wollte die Aufklärung uns befreien. Nur eine Innerlichkeit sei erlaubt und nur ein Sinn der Religion abzugewinnen: der moralische. Wozu Religion, wenn Sie nicht dazu dient, den Menschen zur Tugend zu erziehen? Ganz zweifellos gibt es in der Hl. Schrift des Alten wie des Neuen Testamentes die Ermahnung zum Frieden. Friedlichkeit als Grundhaltung. Angesichts des Unfriedens in der Welt sollen sich die Christen nicht einreihen in die Reihe der Kriegstreiber und Rachedürstigen. Wir sollen nicht um unseren Vorteil bedacht über Leichen gehen. Soll sich nicht in der Friedfertigkeit unser Glaube erweisen? Dann lasst uns friedlich sein, ohne Waffen, ohne Hinterlist. Mit frommen und seichten Melodien, schunkelnd und wohlmeinend.

Aber: Wie passt in dieses Bild das ganz andere Jesus-Wort"Meint ihr, ich sei gekommen, um Frieden auf die Erde zu bringen? Nein, sage ich euch, nicht Frieden, sondern Spaltung." (Lk 12,51);"Denkt nicht, ich sei gekommen, um Frieden auf die Erde zu bringen. Ich bin nicht gekommen, um Frieden zu bringen, sondern das Schwert." (Mt 10,34)? Ganz offensichtlich ist der biblische und liturgische Friedensbegriff nicht einseitig ein moralischer Appell an die Wohlmeinenden, gesungen und gesummt von denen, die von ihrer eigenen Friedfertigkeit immer schon überzeugt sind. Statt dessen birgt der Friedensbegriff Jesu offensichtlich ein Konfliktpotential. Dieses kommt aber erst in den Blick wenn verstanden wird, dass der Friede der Hl. Schrift in einem anderen und viel intensiverem Sinne politisch ist als jede Friedensstimmung bei Kerzenschein ahnen mag.

Ein politisch-theologischer Friede

Zwei Fragen sind politisch interessant. Wie sollen wir Gerechtigkeit üben? Und: Wie sollen Staat und Gesellschaft verfasst sein? -- Zur ersten Frage ist die Heilige Schrift sehr konkret. Gerechtigkeit ist die Hauptforderung Gottes an sein Volk, wie es auch die Hauptforderung der Vernunft an jeden Menschen ist. Der besondere Beitrag der jüdisch-christlichen Tradition ist dabei, dass die Gerechtigkeit in erster Linie die Armen und Schwachen schützen soll. Jeder, der die Heilige Schrift gelesen hat und die Verkündigung der Kirche kennt, sollte um diese Forderung wissen.

Überraschender aber ist die zweite Frage. Ob der Glaube etwas zu sagen hat zur Frage der Verfassung von Staat und Gesellschaft? Zu verschieden sind doch die Verfassungen, die in den Jahrtausenden der Geschichte Gottes mit seinem Volk durchlebt und oftmals durchlitten wurden. Verschiedeneste Spielarten der Monarchie vom heidnischen Herrscher Kaiser Augustus über die christlichen Kaiser und Könige, Diktaturen und Tyranneien, bis hin zu sehr verschiedenen Formen der Demokratie hat die Kirche in ihrer zweitausendjährigen Geschichte erlebt. Manchesmal war die Kirche von diesen Staaten verfolgt, manches Mal haben Christen oder hat die ganze Kirche eine Herrschaftsform gestützt oder gar maßgeblich mitgeprägt.

Der Rückblick auf die frühe Christenheit ist hier wie häufig erhellend, weil damals Fragen radikal gestellt und beantwortet wurden. Die ersten christlichen Jahrhunderte sind Jahrhunderte der Verfolgung. Es gab Zeiten relativer Ruhe; fast immer aber waren sich die Christen bewusst, dass sie im römischen Staat einen Gegner hatten. Das aber nicht deswegen, weil die Kirche wegen ihrer Friedfertigkeit verhasst gewesen wäre. Was kommt den Machthabern mehr entgegen als Friedfertigkeit der Untertanen? Vielmehr haben die Christen Unfrieden gestiftet, weil sie die Legitimität der Herrscher angezweifelt haben. Denn die Kirche behauptet von sich selbst, eine politische Größe zu sein. Nicht von dieser Welt, aber in dieser Welt (Joh 18,36). Die Kirche ist die politische Form, in der das Reich Gottes in Jesus Christus begonnen hat.

Diese Behauptung, so unvermittelt wie sie hier steht, ist kaum erträglich. Ist nicht die Kirche in ihrer konkreten Gestalt vom Reich Gottes mehr als verschieden? Und ist nicht der Glaube zuerst eine sehr persönliche, ja intime Sache zwischen mir und Gott, in der Jesus Christus mehr oder weniger hilfreich sein mag? Die Heilige Schrift spricht von der Kirche, der Gemeinschaft der in Christus Getauften, in auffällig vielen politischen, genauerhin staatsrechtlichen Begriffen. Der Name"Kirche" selbst - griechisch:"" (ekklesía)- ist bereits der Sphäre des Politischen entnommen. Die ekklesía ist die Versammlung der Bürger in der griechischen polis, dem Stadtstaat der Griechen und wird in diesem Sinne von der Septuaginta, der griechischen Fassung des Alten Testamentes, auch für die Versammlung des Volkes Gottes verwendet(4). Wenn Jesus das"Reich Gottes" verkündet, dann verkündet er ein neues politisches Reich."Das Reich Gottes ist nahe" (Mk 1,14), ist die Zusammenfassung seiner Botschaft. Selbst das Wort"Evangelium", Frohe Botschaft oder Heilsbotschaft, hatte in der Antike einen politischen Sinn. Es ist die öffentlich ausgerufene Botschaft von der Thronbesteigung eines neuen Herrschers(5). Ein neues Reich beginnt, wenn ein neuer Herrscher den Thron besteigt. Nein, eigentlich beginnt das neue Reich, wenn die Thronbesteigung verkündet wird, wie auch heute ein Gesetz erst Gültigkeit erlangt, wenn es veröffentlicht wurde.

So verkündet das Evangelium das Ende der alten Herrschaft, aller irdischen Herrscher. Es beginnt die neue Herrschaft Gottes und Christus ist - in den Worten der Christen der ersten Jahrhunderte - der neue Imperator. Diese neue Herrschaft ist öffentlich verkündet und hat damit in einem politischen Sinne tatsächlich begonnen. Jesus hat nicht einen verschworenen Haufen religiös Begeisterter begründet. Er hat öffentlich gesprochen (Joh 18,20). Die Machthaber seiner Zeit haben das sehr genau verstanden. Jesus wurde gekreuzigt, weil er König war:"König der Juden" gab die Tafel über dem Kreuz als Hinrichtungsgrund an. Und auch die frühe Kirche wurde von den römischen Caesaren aus genau diesem Grund verfolgt: weil die Christen einen anderen König verehrten und sich daher weigern mussten, dem göttlichen Kaiser zu huldigen. Allerdings steht der Anspruch der Christen"Christus ist der Herr" in augenfälligem Gegensatz dazu, dass sich das Reich dieses neuen Herrschers in der Welt (noch) nicht durchgesetzt hat. Sein"Reich ist nicht von dieser Welt" (Joh 18,36). Dennoch hat sein Reich in dieser Welt begonnen, indem es verkündet wird. Weil Stephanus öffentlich bekannte, dass er den Menschensohn zur Rechten Gottes stehen sah (Apg 7,56) wurde er gesteinigt. Das ist Stellung der Kirche nach dem Neuen Testament: Sie verkündet öffentlich das Reich des neuen Herrschers Christus in einer Welt, in der die alten Reiche, die alten Machthaber noch nicht entthront sind. Die Christen sind in diese alles andere als friedliche Auseinandersetzung gestellt.

Als aber im 4. Jahrhundert das Ende der Verfolgung gekommen war und Kaiser Konstantin sich als Hüter der Kirche verstand, wurde zum ersten Mal versucht, Herrschaft politisch-theologisch zu legitimieren(6). Der Theologe Eusebius feierte damals die Durchsetzung des Glaubens an den Einen Gott statt an die vielen Götter als Werk des Einen Herrschers, der dadurch den Frieden gebracht habe. Die Herrschaft des Kaisers wurde mit der Herrschaft Gottes verglichen, der Friede schafft, dadurch dass er die Spaltung in die vielen Sprachen überwindet und ein Reich des Friedens begründet. Aus dieser Tradition stammt übrigens auch die Sicht des Kaisers Augustus, den wir noch heute in der Weihnachtsliturgie preisen, wenn behauptet wird, unter ihm, zur Zeit der Geburt Jesu, habe Friede geherrscht auf der ganzen Welt.

Dagegen regte sich schon damals prominenter Widerstand (Gregor von Nazianz und vor allem der Heilige Augustinus). Denn der Friede der Caesaren war ein blutiger Friede, der nur mit Waffengewalt geschaffen werden konnte. Daher war dieser Friede und diese Einheit des Reiches nicht mit der Herrschaft und dem Frieden Gottes zu vergleichen.

Der österliche Friedensgruß - ein Segen

Im Matthäus-Evangelium gibt es eine eigenartige Passage. Jesus fordert die Jünger, die er zur Predigt aussendet auf, einem Haus, in das sie kommen, als erstes den Frieden zu wünschen."Wenn das Haus es wert ist, soll der Friede, den ihr ihm wünscht, bei ihm einkehren. Ist das Haus es aber nicht wert, dann soll der Friede zu euch zurückkehren." Ganz plastisch wird Friede hier als ein"Gegenstand" geschildert, der von den Jüngern einem Haus, das heißt der Hausgemeinschaft, mitgeteilt, weitergegeben wird, wenn die Jünger einem Haus den Friedensgruß sprechen. Dieser Friede wirkt nicht magisch, dass durch das Sprechen einer Formel blitzartig herniederfährt. Das Haus muss den Frieden auch annehmen. Dieser Friede wird aber durch das Sprechen des Grußes bewirkt. Die Sprechakt-Theorie untersucht diese Eigenart des"performativen" Sprechens. Sprechen (in welchem Medium auch immer) wird dabei als ein Akt des Menschen verstanden, anderen Akten oder Handlungen vergleichbar. Die Eigentümlichkeit des performativen Sprechens ist, dass der Inhalt des Sprechens zugleich auch bewirkt wird. Klassisches Beispiel ist das Ja-Wort mit dem eine Ehe zustandekommt. Das Sprechen bewirkt was es bezeichnet.

Diese Eigenart des Friedensgrußes wird auch in den Grußformeln der Paulusbriefe deutlich.(7)

(Gnade und Friede) lautet die Grußformel des Römerbriefes (von V 1,1 bis 1,7). Darin sind zwei Ausdrucksweisen verbunden und eine neue Form verwendet: die Verbform ist eine typische Grußformel aus einem griechischen Brief. Damit grüßt man und wünscht alles Gute. Dadurch aber, dass die substantivische Form gewählt wird und vor allem dadurch, dass der jüdische Segen: schalom, verwendet wird, verwandelt sich der Wunsch zum Segen. Dem Segen eignet aber zweierlei: Derjenige der segnet tut dies aus einer bestimmten Qualität oder Vollmacht heraus: als Glied des Volkes Gottes, als ein Getaufter oder Priester, immer aus der von Gott rührenden Vollmacht. Und gerade deswegen ist der Segen immer auch performativ: es passiert etwas. Aus der Welt, aus der die Vollmacht herkommt, steigt der Segen und der Frieden herab und bricht in die andere Welt ein. Es wird also genau nicht nur eine gnädige und friedliche Gesinnung ausgedrückt und kommuniziert. Dies sicher auch. Aber darüber hinaus wird etwas mitgeteilt, herabgerufen, hergestellt. Denn nicht nur die Gnade, die Gegenwart Gottes für uns, kann nicht von uns selbst und aus uns selbst"gemacht" werden, sondern auch der Friede entsteht nicht dadurch, dass wir uns gut benehmen und vertragen, sondern muss geschenkt werden. Dieser Frieden, der von außen zu uns kommt, wird vom Apostel und wird von jedem segnenden christlichen Vater und jeder segnenden christlichen Mutter in der Vollmacht des Getauften und Geweihten gespendet. Das macht es so ärgerlich, wenn in der Liturgie aus einem vagen Bedürfnis nach Egalität der Segen formuliert wird:"Es segne uns...", da nur in dem Gegenüber der Segensformel"Es segne Euch..." diese Dimension des Segens, von Gnade und Frieden zum Ausdruck kommt. Denn selbstverständlich ist jeder Priester und jeder priesterliche Christ gleichermaßen auf den von Gott kommenden Frieden angewiesen; aus eigener Vollkommenheit könnte er diese Vollmacht niemals ableiten und daher ist eine Verwechslung diesbezüglich ausgeschlossen und muss nicht durch den Wechsel zum verbindenden"wir" betont werden."Dieser Friede kommt von Gott her über uns"(8)

Eine ähnliche Beobachtung lässt sich auch im Blick auf die Stellung des Friedensgrußes im Gottesdienst machen(9). In der heutigen Form der lateinischen Messe spricht der Priester der Gemeinde nach dem Vater Unser den Frieden zu („Der Friede des Herrn sei allezeit mit euch.") und greifen die Mitfeiernden diesen Gruß auf und sagen einander das"Der Friede sei mit dir". Die ursprüngliche Stelle des Friedensgrußes war am Ende des Wortgottesdienstes, vor der Gabenbereitung. Dies erklärt sich unmittelbar aus der Aufforderung Jesu, sich vor dem Darbringen der Gaben mit dem Bruder zu versöhnen (Mt 5,24). In der byzantinischen Liturgie ist der Friedensgruß auch heute noch vor der Präfation. Durch den Gruß wird der Friede in der Gottesdienst feiernden Gemeinde hergestellt, die ein Ab- und Vorausbild der himmlischen Liturgie und des kommenden Reiches Gottes ist. Sichtbares Zeichen war dabei der Friedenskuss, der in der heutigen Liturgie zur Umarmung oder - westlicher Kultur entsprechend - zum Händeschütteln wurde. Schon im 5. Jahrhundert rückt aber das Friedensgebet und der Friedensgruß hinter das Hochgebet, gleichsam als Besiegelung desselben und als Illustration des Vater Unser:"....wie auch wir vergeben unsern Schuldigern". Aber gerade das Vater Unser betont den Zusammenhang zwischen der Vergebung Gottes und der Vergebung, die wir einander schulden. Dies kam in der Liturgie dadurch zum Ausdruck, dass der Priester erst den Altar küsst und dann erst den Friedenskuss an die Mitfeiernden weitergibt. Wenn in manchen orientalischen Liturgien an dieser Stelle das Brot des Altares geküsst wird, dann bringt dies noch klarer zum Ausdruck, dass es Christus selbst ist, von dem der Friede ausgeht. Sein ist das Reich und die Macht und die Herrlichkeit (Doxologie am Ende des Hochgebets).

Der Christus-Friede

Der Christus-Friede ist also ein politischer Friede (Abschnitt 2) und es ist ein Friede, der wie ein Segen nur von Gott ausgehen kann (Abschnitt 3). Er ist ein Friede der von Gott ausgeht und gerade darum politisch brisant wird, weil er den Frieden der Menschen in seiner Zerbrechlichkeit entlarvt. Politisch wird Friede nur durch Autorität möglich. Aber die pax romana ist eben nicht die pax Christi. Wir müssen uns - gegen alle Soft-Versionen des Glaubens - wieder daran gewöhnen, dass das Evangelium zuerst und zuvorderst die Ausrufung einer Herrschaft ist. Der Friedensfürst ist Fürst. Das Reich hat einen König, Christus ist Imperator (wie die antike Kirche aufmüpfig gegen die Caesaren formuliert hat). Dieser Herrschaftsanspruch über die ganze Welt, ja die ganze Schöpfung, ist öffentlich erhoben worden und lässt sich nicht wieder zurücknehmen. Denn diese Herrschaft hat begonnen über all jene, die die Staatsbürgerschaft des Himmelreiches in der Taufe empfangen haben.

Wir leben zwar noch in dieser Welt unter menschlichen Herrschern. Wir wissen aber, dass alle Herrscher ihre Macht über die Menschen missbrauchen (Mk 10,42; Mt 20,25). Denn alle Herrschaft dieser Welt ist gezeichnet von der Sünde des ersten Menschen, von der Sünde des Menschen, durch die der Tod in die Welt gekommen ist (Röm 5,12). Daher ist unser Anrecht, unsere Staatsbürgerschaft im Reich Gottes das, was uns prägen soll. Da wir immer zugleich Menschen in dieser Welt sind, geht die Grenze der beiden Reiche, die Grenze zwischen dem alten Menschen und dem neuen des Evangeliums mitten durch unser Leben hindurch. Daher ist das neue Leben in Christus für uns Aufforderung, den Frieden in dieser Welt zu beginnen, dort wo wir stehen und ihn wirken können.

Wenn wir aber nicht Frieden aus unserer eigenen moralischen Vollkommenheit schaffen wollen, sondern um den Frieden ringen"den die Welt nicht geben kann" (Joh 14,27), dann bedeutet dies immer zugleich auch Unfriede: Unfriede mit einer Welt die auf sich selbst vertraut, das Wissen um das richtende Schwert Christi. Der österliche Christus ist in dieser Welt den Weg des Kreuzes gegangen. Er hat die Macht und ihre Strukturen in dieser Welt erlitten und am Kreuz getragen. Aber weil er damit den Herrscher dieser Welt als Herrscher des Todes entlarvt hat, ist seine beginnende Herrschaft des Gottesreiches eine andere. Der Auferstandene ist uns in dieses Reich vorangegangen, um uns einen Platz zu bereiten (Joh 14,2). Von dort her ruft er uns zu und sendet uns den Geist. Von dort her rührt auch der Mut, den österlichen Frieden hier auf einer Welt zu verkünden, die noch im Tod gefangen ist. Auch und besonders die Christen sind aufgerufen, Frieden zu stiften wo immer sie können. Sie wissen aber, dass jeder Friede, den wir erringen, immer nur ein Abglanz des Friedens ist, der herrscht, wenn sich die Herrschaft Christi vollendet. Dies ist daher nicht nur ein Motiv, um um Frieden zu ringen, sondern auch ein Schutz davor, angesichts des herrschenden Unfriedens zu verzweifeln. Denn der Tod und seine Mächte haben nicht das letzte Wort. Am Ende wird Christus sein und alles diesem Friedensfürsten unterworfen (Eph 1,21; Hbr 2,8).

Martin Löwenstein SJ
März 1999

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Anmerkungen:

1. Zu einzelnen Passagen vgl. den veröffentlichten Artikel: Keine Herrschaft ist wie die unseres Gottes, (veröffentlicht in Entschluß, Wien 3/99)

2. Schlier, Heinrich: Der Friede nach dem Apostel Paulus. In: Geist und Leben. Zeitschrift für Aszese und Mystik, 1971, S. 282-296.

3. Dazu etwa: Goppelt, Leonhard: Der Friede Jesu und der Friede des Augustus. In: Wort und Wahrheit, 1972, S. 243-251.

4. Vgl. Bauer, Walter: Wörterbuch zum Neuen Testament. Berlin: Alfred Töpelmann 51958, Sp. 477f.

5. Dieser Ansatz ist ganz Erik Peterson verpflicht: Der Brief an die Römer. Ausgewählte Schriften Band 6. Aus dem Nachlass herausgegeben von Barbara Nichtweiß unter Mitarbeit von Ferdinand Hahn. Würzburg: Echter 1997, S. 10 und passim. Ders.: Christus als Imperator. In: Theologische Traktate. Ausgewählte Schriften Band 1. Mit einer Einleitung von Barbara Nichtweiß unter Mitarbeit von Ferdinand Hahn. Würzburg: Echter 1994, 83-92.

6. Ebd.: Der Monotheismus als politisches Problem, S. 23-81.

7. vgl. dazu: Peterson, Erik: Der Brief an die Römer, a.a.O. S. 8ff.

8. Schlier, Heinrich: Der Friede nach dem Apostel Paulus. A.a.O. S. 283.

9. Zum Friedensgruß in der Liturgie: Hermans Jo: Die Feier der Eucharistie. Erklärung und spirituelle Erschließung. Regensburg: Friedrich Pustet 1984, S. 284-290. Kunzler, Michael: Die Liturgie der Kirche. AMATECA. Lehrbücher zur Katholischen Theologie X. Paderborn: Bonifatius-Druckerei 1995, 358-360. Für den evangelischen Bereich: Volp, Rainer: Liturgik. Die Kunst Gott zu feiern. Band II. Theorien und Gestaltung. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus Mohn 1994, 1212f. Die Deutung der Verschiebung des Friedensgrußes ist nicht belegt.