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Kino oder Kirche?
Anforderungen an die Großstadtpastoral

von Martin Löwenstein SJ, (in Kurzform veröffentlicht 2004)

IHS - Jesuiten

Die Leute gehen häufiger ins Kino als in die Kirche. Das Kino hilft vielen, ihr Leben zu deuten und sich zu orientieren. Roland Emmerich, der deutsche Katastrophenfilmregisseur in Hollywood, beschreibt das für seine Sparte so: "Geht die Welt unter, ist man gezwungen, sein eigenes Leben anzuschauen (...). Die Zuschauer betrachten ihr Leben und müssen sich entscheiden, was sie wollen, wen sie lieben. Gleichzeitig fragen sie sich, was sie tun würden, wären sie selbst in der Katastrophensituation." Die Aufgabe der Seelsorge in der Großstadt besteht darin, den Glauben, die Kirche und die Gemeinde zu dem Ort werden zu lassen, an dem junge Menschen motiviert werden, ihr Leben anzuschauen und Gott als den entdecken zu können, der die Liebe und das Leben ist. Der Weltuntergang ist dabei nicht das unwichtigste Thema - denn es sind die kleinen Weltuntergänge, die den Menschen zu schaffen machen: Einsamkeit, Einsamkeit, Einsamkeit und der Mangel an ermutigender Perspektive.

Vortragsveranstaltungen sind out. Zumindest die Altersgruppe derer unter 50 jährigen ist in den zahllosen Angeboten aller Träger so gut wie gar nicht anzutreffen. Mit hohem Bildungsstandard der jungen Generation ist das nicht zu erklären. Man muss es nicht mögen, aber Vorträge will (zumindest in der Großstadt) kaum einer hören. Der Vortragssaal ist leer, das Kino voll.

Vielleicht gleichen viele Gottesdienste zu sehr Vortragsveranstaltungen. Mit dem Kino haben sie nur gemeinsam, dass offenbar die besten Plätze hinten sind. Wir müssen aber Konsequenzen für die Seelsorge für junge Erwachsenen in Städten aus den geschilderten Beobachtungen ziehen: Lebensrelevantes wird primär nicht durch Theorien vermittelt, sondern durch Symbole, Erlebniswelten und Kult. Dabei geht es nie darum, in der Kirche so sein zu wollen wie die Freizeitangebote rings herum. Das erwartet niemand und das schaffen wir auch nicht. Daher sollten wir beim originären Raum des Glaubens ansetzen: Christen begegnen Gott im persönlichen und gemeinschaftlichen Sprechen mit Gott und in der kultisch-symbolischen Feier. Es braucht die Erfahrung, bevor die Reflexion ansetzen kann. Es braucht den innig gefeierten Gottesdienst, bevor die - gerade vom christlichen Glauben und der Bibel geforderte! - kritische Reflexion ansetzen kann. Es braucht die Erfahrung des persönlichen Gebets, bevor sich aus dem Sprechen mit Gott ein Verstehen des Glaubens erwachsen kann. Erst brauche ich das Gefühlsbad des dramatischen Films - dann beginne ich mich zu fragen, wen ich liebe, und zu entscheiden, was ich will. Wo die Reihenfolge dieser Schritte nicht verwechselt wird, ist gerade in der Generation der heute 25-40 jährigen eine große Offenheit für die christliche Botschaft zu finden.