Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 4. Fastensonntag Lesejahr C 2016 (Josua)

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6. März 2016 - Kleiner Michel (St. Ansgar), Hamburg

Man möchte diese Lesung aktuell gar nicht näher erklären. Eine Flüchtlingswelle rollt auf das Land Kanaan zu. Die Menschen, so schildert es die Bibel, waren aus Ägypten geflohen, wo sie als ethnische Minderheit versklavt und verfolgt worden waren. So, wie das Buch Josua heute vor uns liegt, erzählt es, dass dieses ganze große Volk nun die Grenze des Jordans überquert hat. Sein Gott hat ihm das Land Kanaan als angestammte Heimat versprochen. Die derzeitigen Bewohner des Landes werden dabei den Kürzeren ziehen.

Es wäre lange über dieses verstörende Buch Josua im Alten Testament zu sprechen, wie und warum es entstanden ist und warum es die Vorgänge begleitet von einer Gewalt schildert, mit der die Ereignisse historisch gesehen nie stattgefunden haben. Ohne starke Relativierung und Erklärung kann solch ein Text die Wirklichkeit von Gottes Handeln nicht erhellen und "Wort Gottes" sein. Vielleicht ist nur in der vehementen Distanzierung, zu der mich dieser Teil der Bibel zwingt, das Echo des Wortes, mit dem Gott mich durch die alten Worte hindurch anspricht? - Doch heute kann inmitten dessen uns Wort Gottes ansprechen, wie in dem kleinen Ausschnitt heute, oder darin nur in dem Nebensatz: "... von da an hatten die Israeliten kein Manna mehr".

1. Der erste Blick geht zurück.

  • Der Tag, an dem das Volk das Rote Meer durchschritten hatte, war der Tag der Niederlage für die Kriegswagen, aber der Tag der Befreiung für das Volk. Der nun folgende Weg war beschenkt durch das Manna, das Brot auf dem Weg, und durch die Gebote vom Sinai. Alle Weisheit, wie ein Volk in Gerechtigkeit und Frieden leben kann, hat Gott dem Volk geschenkt. Doch die Menschen machen statt dessen einen Tanz um das goldene Kalb. Manna, das Brot vom Himmel, gab es in dieser ganzen Zeit, genug für jeden Tag. Aber der Neuanfang ist in gewisser Weise unter dem Gold des Kalbes verschüttet worden.
  • Schnitt zur Gegenwart. - Mir ist es nicht um ein billiges moralisches Urteil über die sieben Jahrzehnte nach dem Ende des Großen Krieges bei uns in Europa. Aber heute fällt uns vor die Füße, dass die Weltordnung, auf der unser Wohlstand beruht, immer auch die Verliererseite hatte. Das betrifft die bis heute ungerechten Handelsstrukturen ebenso, wie unsere Bereitschaft wegzuschauen, wo Diktatoren und Kleptokratien als unsre so genannten Verbündeten ihre Völker unterdrückt haben. Es sind diese Länder, aus denen heute und mehr noch morgen die Flüchtlinge zu uns unterwegs sind.
    Die Bibel erzählt uns von einem Flüchtlingsvolk, das an der Grenze von Kanaan steht. Vielleicht aber können wir das Bild auch für uns, als die im Lande leben, lesen, umgekehrt also. Denn auch aus dieser Perspektive gilt: Ganz sicher steht auch Westeuropa vor einer Zeitenwende. Wie auch immer, es wird nicht so bleiben, wie es war. Weil wir von dem alten System gewaltig profitiert und unbeschreiblichen Wohlstand darauf errichtet haben, ist die Angst vor der Zukunft nicht ohne Grund. Ich meine das als nüchterne Analyse, nicht um jemanden Schuld zuzuschreiben. Die düstere Aufsicht hat ihren Grund auch in unserer verpassten Vergangenheit.
  • Im Buch Josua finde ich aber auch eine andere Linie: Für Gottes Volk sollte es einen klaren Grund geben, trotz aller Unsicherheit vertrauensvoll voran zu gehen. Denn im Letzten ist Gott der Herr der Geschichte; Gott ist der Herr von allem. Das einzige, was wir wirklich verlieren könnten, wäre die Treue zu ihm und seinem Bund, dem Bund, in dem er uns auf Gerechtigkeit besonders gegenüber den Schwachen verpflichtet. Auch diese Gefahr ist aktuell bei uns gegeben. Aber gerade diese Gefahr, untreu zu werden der uns aufgetragenen Barmherzigkeit, lässt sich vermeiden.

2. Der Blick nach vorn

  • Für die Zukunft enthält unser Abschnitt eigentlich nur einen Hinweis. Wir werden von dem Ertrag des Landes leben müssen. Wir werden aber auch davon leben können. Für Israel war das damals die Ankündigung einer Verbesserung auf der Speisekarte: Milch und Honig statt eintönigem Manna. Ich gehe davon aus, dass unsere Speisekarte zwar vielleicht auch vielfältiger wird; syrische oder afghanische Küche hat einiges zu bieten. Aber insgesamt werden auf unserem Planeten und auch in Europa die Ressourcen knapper. Es werden sich immer mehr Menschen nicht damit zufrieden geben, am Rande auf stapelbaren Plastikstühlen geparkt und mit den Resten unseres Wohlstands abgefertigt zu werden.
  • Ob wir wollen oder nicht, die Profiteure bisheriger Verteilung werden teilen und zurückstecken und sich auf tiefgreifende Veränderungen einstellen müssen. Das alles ist nicht planbar und wenig gestaltbar. Lautstark verkündete Obergrenzen für was auch immer sind Luftnummern. Er sie verspricht macht sich oder anderen etwas vor.
  • Ja, es gibt Momente, bei denen die Aussicht auf die Zukunft Angst macht. Das ist ein Teil jener Realität mit der ein großer Teil der Menschheit schon lange leben muss. Und deswegen noch einmal: Wir müssen von den Erträgen des Landes, das vor uns liegt, leben, aber wir werden auch davon leben können.

3. Das Mahl zum Aufbruch

  • Wie werden wir leben? Wovon werden wir leben? Wofür werden wir leben? In der Mitte zwischen Vergangenheit und Zukunft, dort wo unsere Lesung aus dem Buch Josua steht, dort findet das erste rituelle Passah statt, sozusagen die Erstkommunion eines ganzen Volkes. 
    Das ist ein Passah mitten im Leben. Hier geht es nicht nur darum, eine schöne spirituelle Erfahrung zu haben, das auch. Es geht auch nicht nur darum, im Symbol des Mahles die Gemeinschaft der Familie oder der Gemeinde zu feiern und zu erfahren, das auch.
    Das Passah, das das Volk Israel erstmals nach dem Zug durch die Wüste und vor dem Betreten des Heiligen Landes feiert, gehört vielmehr engstens zu dem Bund Gottes mit seinem Volk, wie er für (männliche) Juden in der Beschneidung rituell vergegenwärtigt wird.
  • Das können wir analog auch aus unserer Erfahrung als Christen lesen: Eine Eucharistie, die losgelöst ist von diesem Bundesschluss ist schnell nicht mehr als eine mystisierende Nettigkeit. Eine Eucharistie, die nicht das Leben mit hinein nimmt und unter diesen Bund stellt, ist leerer Ritus und hat nichts mit dem Gott zu tun, der doch deswegen den Bund mit uns schließt, weil er im Leben an unserer Seite stehen will.
    In aller Dramatik wird das in der Erzählung des Buches Josua deutlich. Denn natürlich erschauderte auch der antike Mensch bei der (wie gesagt: historisch falschen) Erinnerung an die gewaltigen Umbrüche bei der Landnahme Kanaan durch das Volk Israel. Aber umso wichtiger ist, dass dieses Geschehen nicht der Willkür des Menschen ausgeliefert ist, sondern im Hören auf Gott geschieht. Gerade in eine ungewisse Geschichte hinein ist die Zusage Gottes gesprochen. Daher setzt die Erzählung an den Anfang die Erneuerung der Beschneidung und das Pessach-Mahl. Das Mahl ist das Mahl des Bundes mit Gott.
  • Und das ist das Bleibende: Wer hinzu tritt zum Bundesmahl stellt den Weg, der vor ihm liegt unter das Wort Gottes. Dieser Bund ist verletzlich: Wenn der Mensch den Pfad der Gerechtigkeit verlässt und die Verpflichtungen des Bundes vergisst, dann scheint Gott wehrlos. Wir müssen ohne die machtvollen Zeichen auskommen, die den Weg durch die Wüste ebenso begleitet haben, wie das Manna, die Stärkung auf dem Weg. Es ist nur ein Bund. Aber es ist Gott, der bindet: sich und uns. Gott bindet sich an seine Zusage, die bleibt: Ich werde mit euch sein auf dem Weg!
    Es ist ein Mahl des Versprechens. Nicht Manna, das sättigt, nicht Milch und Honig wie beim Weg durch die Wüste, sondern nur ungesäuerte Brote beim Aufbruch am Morgen. Es ist nur ein Wort des Versprechens, ein Name "Ich bin der Ich bin da". Nur ein Versprechen. Aber es ist Gott, der es spricht: Ich bin da!