Predigten von P. Martin Löwenstein SJ

Predigt zum 1. Fastensonntag Lesejahr A 2002 (Matthäus)

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17. Februar 2002 -

1. Hunger

  • Nach vierzig Tagen Hunger zu haben ist nun wahrlich nichts Überraschendes. Zumeist pflegt sich der Hunger viel schneller einzustellen. Jesus aber geht vierzig Tage in die Wüste zum Fasten, weil hier mehr geschieht als nur eine private Extrem-Erfahrung eines beliebigen Orientalen. Daher vierzig Tage, Heilige Zeit.
  • Überraschend ist, dass das Matthäus-Evangelium davon berichtet, Jesus sei vom Geist in die Wüste "geführt" worden, damit er dort versucht werden "soll". Bei Lukas wird das verschärft: der Geist führte ihn in der Wüste umher. Was hier geschieht ist also etwas, was von Gott her notwendig und gesollt ist. Das Fasten öffnet Jesus für diese tiefste Dimension der Auseinandersetzung, für die letzte geistliche Dimension der Welt. Sein Hunger ist die innerste Mitte einer Entscheidungssituation.
  • Stellen wir uns vor, wir säßen inmitten jeder Menge duftenden Brotes und allerlei Köstlichkeiten. Gar nicht hungrig, kein 40-tägiges Fasten. Wir haben zur Sättigung alles, was das Herz begehrt. Da kommt jemand, hält uns ein weiteres Brot vor die Nase und sagt: dieses Brot kannst Du haben, Du musst nur mir Freund sein und mir einen kleinen Gefallen tun(1). Zugleich ahnen oder wissen wir, dass der Anbieter eigene Gründe hat und uns nicht Gutes will. Welchen Grund könnte es geben, dieses Angebot dennoch anzunehmen?
    • Wir könnten das Angebot annehmen, weil wir Angst haben, ob wir die vielen Köstlichkeiten, die wir haben, auch tatsächlich essen können. Wer weiß, vielleicht werden sie uns genommen? Vielleicht reicht es nicht, man kann nie genug haben!
    • Wir könnten das Angebot annehmen, um zu verhindern, dass es ein anderer tut.
    • Oder wir lassen uns auf das Geschäft ein, weil es etwas Anrüchiges an sich hat und wohl verboten ist. Bekanntlich haben Adam und Eva das Angebot angenommen. Obwohl sie in einem Garten voller Köstlichkeiten saßen und alles hatten, griffen sie nach der einen Frucht, die so verlockend anzusehen ist. Vermutlich ist es das berauschende Machtgefühl dieses Griffes nach dem Verbotenen, dieser winzige Augenblick, in dem wir uns als master of the universe fühlen, der das eigentliche Motiv ist.

2. Versuchungen

  • Es ist dies die Versuchung, mit der der Teufel in der Wüste versucht, Jesus abzufangen, bevor dieser überhaupt nur anfängt vom Reich Gottes zu predigen.
    "Wenn du Gottes Sohn bist, so befiehl, dass aus diesen Steinen Brot wird". Damit trifft der Versucher den wunden Punkt. Denn gerade diese Frage hat Jesus in die Wüste getrieben, in der Wüste umgetrieben. Jesus war aus einer für ihn ganz selbstverständlichen tiefen Liebe zu den Menschen zu Johannes an den Jordan gekommen, um sich taufen zu lassen. An dieser Stelle, wo er sich unter die Menschen eingereiht hatte, hatte sich der Himmel geöffnet und Jesus hat ganz deutlich Gott erfahren: "Du bist mein geliebter Sohn". Das, woraus Jesus gelebt hatte, ist hier Erfahrung und Wort geworden: Gott ist mein Vater, nichts kann mir fehlen.
  • Die erste Versuchung besteht mithin nicht darin, dass der Mensch Hunger hat. Die Versuchung besteht nicht darin, dass der Mensch Brot, das ihm angeboten wird, gerne und freudig nimmt. All dies ist noch Offenheit und Bereitschaft. Die Versuchung ist vielmehr die zur Ausnützung von Macht, zur Machtvollkommenheit, sich letztlich über Gott erheben, indem ich Gott nicht mehr zutraue, dass er mein Leben im Letzten trägt. Der Versucher tritt an Jesus in der Wüste heran und sagt ihm: Wenn Du hier Junior-Chef bist, dann sei doch bereit, den Laden zu übernehmen. Fang damit an, dass du dich in der Brotversorgung unabhängig machst vom Alten.
  • Die beiden anderen Versuchungen können in der gleichen Linie verstanden werden. Es ist die Versuchung zum Herrschen - über die Kräfte der Natur und über die Menschen - mit der der Versucher an Jesus herantritt. Es ist der Versuch jene Urangst zu wecken, dass nur das wirklich sicher ist, was ich selbst restlos bestimmen kann. Es ist die Versuchung zum strategischen Denken, das sich wie Säure durch unseren Geist frisst und alles durchdringt: jedes Gespräch, jede Situation, einfach alles strategisch zu meinem Vorteil zu nutzen und für mich einzusetzen. Master of the universe, darunter geht nichts.

3. Freiheit

  • Den einzigen, den ich dabei nicht mehr im Griff habe, der mir heillos entglitten ist, bin ich selbst. Ich selbst sitze wie eine Spinne im eigenen Netz verwickelt und gefangen. Ich selbst kann nicht mehr davon ablassen, überall zu lauern und zu misstrauen. Ich selbst kann mir keine ruhige Minute mehr gönnen, weil ich sonst die Kontrolle verliere. Ich bin von den Dingen, die ich habe und die mich umgeben, ich bin von meinen mühsam erworbenen Reichtümern und meiner raffiniert erkämpften gesellschaftlichen Stellung so abhängig, dass ich nicht davon lassen kann, selbst wenn ich es will. Diese äußeren Dinge sind für mich lebensnotwendig geworden. Welch Ironie: wenn ich alles beherrsche, beherrsche ich mich selbst am wenigsten. Und damit werde ich von all dem beherrscht, wovon ich abhängig geworden bin. Die Geschichte der menschlichen Herrschaft illustriert diese Tragik hinreichend.
  • Es ist also die Freiheit, mit der Jesus über sich selbst verfügt, die ihn fähig macht, ohne große Aufregung die Versuchung zurückzuweisen. Ja, er will essen, aber nicht um den Preis darüber zu vergessen, dass das ganze Leben seinen Urgrund in Gott hat und in Gott getragen wird. Ja, Christus will sogar herrschen, aber gerade nicht nach der Weise des Versuchers gegen die Menschen, sondern nach der Weise Gottes: die Freiheit des Menschen zu achten und um des Menschen Liebe zu werben.
  • Auch wenn wir im Vater Unser täglich darum beten: wir können uns nicht darauf verlassen, dass wir nicht in Versuchung geraten. Aber wenn dies geschieht und das verlockende Angebot vor uns liegt, sollten wir uns an die Freiheit erinnern, die wir als Erben Gottes haben, als Gottes Töchter und Söhne. Weder Brot, noch Wunder noch Herrschaft um den Preis zu erwerben, diese Freiheit zu verlieren.